Früherer Pfarrer und Bürgerrechtler Rainer Eppelmann wird 80

"Auch die Kirche ist nicht der liebe Gott"

Ihm zuzuhören, ist ein bisschen wie der Besuch in einer Berliner Eckkneipe. Rainer Eppelmann war Pfarrer, DDR-Bürgerrechtler, Abrüstungsminister. Am 12. Februar wird der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Aufarbeitung 80 Jahre alt.

Autor/in:
Markus Geiler
Rainer Eppelmann / © Hans Scherhaufer (epd)
Rainer Eppelmann / © Hans Scherhaufer ( epd )

epd: Ist der 80. Geburtstag eine Zäsur?

Eppelmann: Ich werde 80 Jahre alt, aber sie brauchen keine Angst haben, zumindest wenn ich da mitreden darf: Ich muss mindestens 93 werden. Ich gehe davon aus, dass ich noch etliche Jahre Zeit habe.

epd: Und warum gerade 93?

Eppelmann: Weil ich 46 Jahre alt war, als die Deutsche Demokratische Republik aufhörte, zu existieren. Und ich habe ein bisschen dazu beigetragen, dass das nicht noch länger gedauert hat.

Und wenn ich 93 Jahre alt werde, meine Frau geht dann gerade in Rente, kann ich sagen, Schatz, jetzt lebe ich ein Jahr länger in der Demokratie, als ich zuvor in der Diktatur gelebt habe.

epd: Gibt es etwas, was Sie bereuen?

Eppelmann: Ich schäme mich für den Titel meines allerersten Buches "Wendewege". Weil das historisch völlig falsch ist. Der Begriff Wende erweckt außerdem den Eindruck, man sei ein Fan von Egon Krenz, der den Begriff geprägt hat. Ich ärgere mich über den Titel und darüber, dass ich damals so doof und naiv gewesen bin und das übernommen habe, bloß weil das andere auch gesagt haben. Heute kann ich das leider nicht mehr ändern und sage mir: Haste nicht zu Ende gedacht!

Inzwischen bin ich historischer und politischer.

epd: Wir leben in völlig anderen Zeiten. Sehen sie bei den Jungen überhaupt noch Interesse an der Geschichte der SED/DDR-Diktatur?

Diskriminierung von Christen in der DDR

Seit 1. Januar 2020 widmet sich ein interdisziplinäres Forschungsteam von vier Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen unter der Leitung von Prof. Dr. Christopher Spehr am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der wissenschaftlichen Aufarbeitung von verfolgten Christinnen und Christen in der DDR. Ziel ist es, die Unterdrückungsmechanismen und Repressionsmaßnahmen in den 1960er-Jahren am Beispiel der Bausoldaten, Totalverweigerer und Jugendlichen im Widerstand gegen die Wehrerziehung mit Schwerpunkt Thüringer Raum zu erkunden.

Männerwallfahrt zum Kläschen Hagis im Kreise Worbis (DDR) mit dem Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, 1980 (KNA)
Männerwallfahrt zum Kläschen Hagis im Kreise Worbis (DDR) mit dem Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck, 1980 / ( KNA )

Eppelmann: Seit meinem Ausstieg aus dem Bundestag 2005 und vor Corona war ich Herumreisender mit 100 bis 150 Veranstaltungen pro Jahr. Und die allermeisten waren mit Abstand in Schulen. Und zwar auf Anfrage. Ich habe keine Zettel herumgeschickt, seid so lieb und holt mich ab, sondern das waren Leute, die gefragt haben, ob ich vorbeikommen würde.

epd: Was erzählen Sie dort?

Eppelmann: Im Normalfall rede ich über Diktatur und Demokratie. Denn was können meine Enkelkinder wissen über dieses Spannungsfeld?

Die Annahme, die interessieren sich nicht dafür, ist dann die Entschuldigung der Älteren, dass sie ihnen nichts davon erzählen wollen. Wenn man ihnen davon erzählt, noch dazu, wie das mein Leben beeinflusste, dann sind die hoch interessiert, weil sie sofort spüren, na so wie ihr in der DDR gelebt habt, so möchte ich aber nicht leben. Zumindest, wenn ich eine Chance habe, das verhindern.

epd: Wie viel Ostdeutschland steckt in Gesamtdeutschland?

Eppelmann: Wenn ich davon ausgehe, was für uns ehemalige DDR-Bürger und die Deutschen insgesamt ab 1989 geworden ist und wo wir heute stehen, kann ich nur sagen, ist es erstaunlich, wie gut wir das gemacht haben. Was nicht heißt, es war alles richtig. Aber die Mehrheit hat es überwiegend gut getroffen, im Vergleich zu früher.

Für viele kam das Ende der DDR völlig überraschend. Sie hatten sich eingerichtet, keine Hoffnung auf Veränderung mehr - mich eingeschlossen. Dann brechen plötzlich die ganzen verschütteten Träume und Hoffnungen wieder durch. Da musste es Enttäuschungen geben, weil sie wenig mit der knallharten Realität zu tun hatten.

epd: Sind Sie eigentlich noch Pazifist?

Eppelmann: Ja klar. Ich träume immer noch davon, das Schönste wäre, wenn nur noch Polizisten Waffen haben und dann auch nur Tränengas und Knüppel. Aber ich bin inzwischen realistischer, als ich das zu DDR-Zeiten gewesen bin. Vielleicht mit Ausnahme der Zeiten, als ich Minister im Kabinett von Hans Modrow und später Abrüstungs- und Verteidigungsminister unter Lothar de Maizière war.

epd: Heißt das, Waffenlieferungen ja oder nein an die Ukraine?

Eppelmann: Ich kann die Diskussionen um Waffenlieferungen durchaus verstehen. Aber es gibt Situationen, in der das Festhalten an einer Ideologie nicht weiter führt. Das sehe ich an den beiden grünen Spitzenpolitikern Baerbock und Habeck in der Bundesregierung. Die haben in den vergangenen Monaten einige heilige Kühe schlachten müssen und haben damit meiner Meinung nach wirklich überzeugt.

epd: Ihre Zeit als letzter Verteidigungs- und Abrüstungsminister der DDR hat damals zu Enttäuschungen und Entfremdungen bei Weggefährten geführt.

Eppelmann: Ich sehe heute noch das Schild an der Samariterstraße 27: "Eppelmann treibt uns in die Nato." Und ich sehe noch heute die Zeitungsannonce von Katja Havemann und Bärbel Bohley unterschrieben "Rainer Eppelmann! Wir schämen uns für Dich". Nach deren Lesart hätte ich das Amt damals überhaupt nicht übernehmen dürfen und wenn ich es übernehme, nur einen Befehl ausgeben: Ich löse die Nationale Volksarmee (NVA) auf.

epd: Hat Sie das verletzt?

Eppelmann: Zumindest verärgert und traurig gemacht. Dann dachte ich, das war eine spontane Reaktion auf etwas, was ich getan habe, womit sie offensichtlich überhaupt nicht gerechnet haben. Der Eppelmann war aber immer noch der Eppelmann.

epd: Warum haben Sie das Amt überhaupt übernommen?

Eppelmann: Eigentlich wollte ich meinen guten Ruf behalten. Dann hat mich Lothar de Maizière gefragt, ob ich Verteidigungsminister werden würde. Da habe ich gesagt, nee, das mache ich nicht. Aber Abrüstungs- und Verteidigungsminister würde ich machen. Erst später habe ich erfahren, dass andere ihm schon abgesagt hatten. Ich hatte mich aber zuvor schon gefragt, wer das machen soll? Etwa ein NVA-General, der 1.000-prozentiger SED-Genosse war?

Als Pfarrer hatte ich die Erfahrung, mich um diejenigen zu kümmern, bei denen etwas zusammengebrochen ist. Und für die NVA-Militärs war auf einmal alles anders. Zugleich waren sie die einzigen, die schwer bewaffnet waren. Wie würden die reagieren? Wie der Bär, der in die Ecke gedrängt wird?

Bei der ersten Kommandeurstagung, die ich abhielt, haben sie mir am Ende Beifall geklatscht. Das habe es zuvor noch nie gegeben, sagte mir damals der langjährige Büroleiter der DDR-Verteidigungsminister.

Ich bin noch heute darauf stolz, dass es damals keine Rebellion der DDR-Militärs gab.

epd: Wie viel Pfarrer steckt noch in Ihnen?

Eppelmann: Mir passiert es immer wieder, dass Leute am Ende einer meiner Reden sagen, hier sieht man aber wieder den Pfarrer. Und das ist mir nicht unangenehm. Das, was ich gemacht habe, wäre in der DDR gar nicht möglich gewesen, ohne Pfarrer zu sein. Da hätten die mich dauernd in den Knast gesteckt.

epd: Verfolgen Sie heute noch Entwicklungen und Diskussionen in der evangelischen Kirche?

Eppelmann: Im Detail nicht, weil das in den Zeitungen nicht vorkommt. Ich weiß heute über kirchliches Innenleben sehr viel weniger als früher, weil ich nicht mehr in den Gremien sitze. Im Detail kann ich dazu fairerweise nichts sagen.

Ich denke aber weiterhin, die evangelische Kirche war noch nie so dicht an den Menschen dran, wie in den 1980er Jahren in der DDR. Warum? Weil sie etwas anbot, wonach sich auch Nichtgläubige sehnten: Die Möglichkeit, mit anderen frei zu reden.

Leute wie ich waren aber auch in der Kirche in der DDR eine Minderheit. Vielen Kirchenleuten passte das damals nicht, dass wir die Kirchen für oppositionelle Gruppen und Menschen öffneten. Sie wollten uns stiller kriegen. Wie oft ich für die Bluesmessen Keile gekriegt habe von den eigenen Leuten. Zum Glück gab es aber auch entscheidende Kirchenleute, die mich gestützt haben.

epd: Fühlen Sie sich in der CDU zu Hause?

Eppelmann: Für mich ist die CDU eine Partei und nicht der liebe Gott. Mit einer großen Gruppe kann man aber bestimmte Dinge in der Gesellschaft, wenn man Mehrheiten dafür findet, besser durchsetzen als alleine. Und das ist im Normalfall in einer Demokratie eine Partei. Aber ich habe mich auch immer wieder gefragt, ob die CDU das Richtige für mich ist. Zugleich hatte für mich die Partei nie den Stellenwert Nummer eins. Wie übrigens auch die Kirche nicht. Auch diese ist nicht der liebe Gott.

Quelle:
epd