Frère Alois zum Todestag von Frère Roger

"Wir brauchen die anderen, damit Standpunkte nicht falsch werden"

Am Todestag von Frère Roger, dem Gründer der Gemeinschaft von Taizé, erinnert Frère Alois an seinen Vorgänger. Frère Roger starb vor zwölf Jahren an den Folgen eines Messer-Attentates.

Taizé-Prior Frère Alois (KNA)
Taizé-Prior Frère Alois / ( KNA )

domradio.de: Zwölf Jahre sind seit dem schmerzhaften Tag vergangen. Sie haben die schlimme Nachricht damals in Köln erfahren – auf dem Weltjugendtag. Wie erinnern Sie sich an den Moment?

Frère Alois (Prior der Ökumenischen Gemeinschaft von Taizé): Wir hatten an dem Abend mehrere Gebete in der Kirche und ich habe das Telefon läuten lassen. Ich habe erst anderthalb Stunden nach dem Attentat die schreckliche Nachricht von einem der Brüder übermittelt bekommen.

domradio.de: Wie haben das die Jugendlichen aufgenommen?

Frère Alois: Ich war zunächst unfähig, das in der Kirche den Jugendlichen zu sagen. Es war so unvorstellbar, dass Frère Roger in der Kirche von Taizè getötet wurde. Aber ich habe dann gemerkt, dass es die Jugendlichen alle schon wussten. Das ging ganz schnell über die Mobiltelefone. Ich bin dann in der Nacht noch nach Taizé zurückgefahren. Am Morgen habe ich alle Brüder umarmt und sofort gespürt, dass es weitergeht.

domradio.de: Sie haben ja lange mit ihm zusammengearbeitet und gelebt – als was für einen Menschen haben Sie ihn im Gedächtnis behalten?

Frère Alois: Er war ein Mensch voller Dynamik, Güte und Vorstellungskraft. Hindernisse haben ihn oft nicht aufgehalten. Eine ökumenische Gemeinschaft in den 1940er und 50er Jahren ins Leben zu rufen, das war etwas ganz Neues. Dazu kamen viele Widerstände in den verschiedenen Kirchen.

domradio.de: Wie hat er darauf reagiert?

Frère Alois: Mit einer großen Ausdauer und mit einem großen Vertrauen. Vertrauen ist vielleicht ein Schlüsselwort, das er selbst oft gebraucht hat. Und das nicht, weil es ihm einfach fiel, Gott immer zu vertrauen, sondern, weil er in allen Situationen darum gerungen hat – und eben auch in den schwierigen Situationen – auf Gottes Gegenwart zu vertrauen.

domradio.de: Können wir das von ihm lernen?

Frère Alois: Ich glaube, das ist ein Erbe, das er uns hinterlassen hat. Das ist auch etwas, was ich den Jugendlichen weitergeben will, dass wir die Schwierigkeiten des Lebens nicht so interpretieren, dass Gott uns verlässt, sondern, dass Gott uns beisteht und es ist wichtig, dass wir die Schwierigkeiten in unser Glaubensleben integrieren.

domradio.de: Sie sind Frère Roger als Prior der Gemeinschaft gefolgt. Hat sich diese seit dem Tod Ihres Gründers verändert?

Frère Alois: Es sind viele neue Brüder hinzugekommen. Andere Brüder sind gestorben. Das ändert natürlich auch die Gemeinschaft. Wir sind sehr dankbar, dass wir alte Brüder haben. Der Älteste ist 96 Jahre alt. Er ist noch einer der ersten Brüder, die sich Frère Roger angeschlossen haben. Der jüngste Bruder ist 23 Jahre jung.

Das ist eine große Spannweite, die auch für das gemeinsame Leben sehr fruchtbar ist. Mittlerweile haben wir eine große Vielfalt in der Communité. Die Brüder kommen aus sehr unterschiedlichen Ländern und Kontinenten. Dafür sind wir sehr dankbar.

domradio.de: Sie sind eine ökumenische Gemeinschaft – im Jubiläumsjahr der Reformation noch Ihre Einschätzung: Wie ist es um die Ökumene bestellt? 

Frère Alois: Es ist ganz wichtig, dass wir uns durch manche Situationen, in denen es scheint, dass es nicht weiter geht, nicht entmutigen lassen. Es ist doch schon unglaublich viel geschehen. Die Kirchen sind sich in den letzten Jahrzehnten viel näher gekommen.

domradio.de: Was können wir in dieser Hinsicht von Frère Roger lernen?

Frère Alois: Frère Roger hat wirklich die verschiedenen Traditionen in sich versöhnt. Er hat die verschiedenen Traditionen als ergänzend gesehen. Wir brauchen die anderen, damit wir unsere Standpunkte nicht verabsolutieren und sie damit falsch werden. Wir brauchen die anderen als Korrektur und Infragestellung unserer eigenen Standpunkte. Die Wahrheit liegt in dieser Spannung zwischen den verschiedenen Traditionen und Konfessionen.

Das hat Frère Roger persönlich gelebt und das wollen wir weiterleben. Weil wir bei den Jugendlichen sehen, dass sie selbst so die Ökumene leben. Sie sind sehr offen für die anderen – ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen.  

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR