Freiwilligendienst auf der Kriegsgräberstätte

"Erinnerungsarbeit ist superwichtig"

Der Volkstrauertag erinnert an die Opfer der beiden Weltkriege und der NS-Herrschaft. Junge Menschen können mit diesem Tag meist wenig anfangen. Aber dennoch mit dem Gedenken. Ein Beispiel.

Autor/in:
Nicola Trenz
Allerheiligen auf dem Friedhof (dpa)
Allerheiligen auf dem Friedhof / ( dpa )

Bevor Luise ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) auf dem größten deutschen Soldatenfriedhof Westeuropas begann, hatte sie nie eine Kriegsgräberstätte besucht. Das Feld mit rund 20.000 Kreuzen habe sie bei ihrer Ankunft sehr bewegt, erzählt die 18-Jährige. Aber ganz bewusst hatte sie sich nach dem Abitur in diesem Jahr für einen Freiwilligendienst auf der Kriegsgräberstätte Lommel entschieden: "Kriegsgräber sind für mich ein Zeichen gegen die Grausamkeiten eines Krieges".

Der Soldatenfriedhof im flämischen Lommel ist die größte Kriegsgräberstätte mit deutschen Toten im westeuropäischen Ausland. Eine internationale Jugendbegegnungsstätte schließt sich daran an, in der die Bedeutung von friedlichem Zusammenleben vermittelt wird. Luise betreut als FSJlerin die Begegnungsstätte und begleitet Workshops für Jugendliche.

20.000 Kreuze am Morgen

Seit sie Anfang September ihr FSJ begonnen hat, seien einige Schulklassen vor Ort gewesen. "Man kennt diese typische Klassenfahrtstimmung, wenn alle aus dem Bus aussteigen", erzählt sie. Aber der Ort wirke dann auf die Jugendlichen,und gute Gespräche ergäben sich. "Erinnerungsarbeit ist superwichtig", sagt Luise, und Jugendarbeit an einem historischen Ort sei noch viel bedeutender. Deshalb hat sie sich auch bewusst nicht für ein Jugendbildungshaus, sondern für die Kriegsgräberstätte entschieden.

Luise wohnt selbst vor Ort. "Das erste, was ich jeden Morgen sehe, sind 20.000 Kreuze und die schwarze Krypta mit einem großen Kreuz drauf" - ein eher ungewöhnlicher Ort für einen jungen Menschen zwischen Abi und Studium. Die 18-Jährige verhehlt nicht, dass dies anfangs nicht leicht war. In Lommel liegen rund 38.500 Gefallene des Zweiten Weltkrieges begraben, die kurz nach dem Krieg von provisorischen Sammelfriedhöfen dorthin umgebettet wurden. Auch 500 deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges erhielten dort ihren letzten Ruheplatz. Jeweils zwei Gräber teilen sich ein Kreuz als Grabstein.

832 weitere Kriegsgräberstätten weltweit

Kriegsgräber sind Orte öffentlichen Gedenkens wie auch Orte privater Trauer. Immer wieder kommen Angehörige auf der Suche nach Verstorbenen nach Lommel. Bewegt erzählt Luise, wie sie eine Familie zum Grab begleiten durfte, die hier einen verstorbenen Angehörigen ausgemacht hatten. Die Familie habe vom Verstorbenen erzählt, ein sehr intimer Moment: "Es war superspannend zu sehen, wie so ein steinernes Kreuz ein Gesicht bekommt".

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge unterhält den Friedhof in Lommel und 831 weitere Kriegsgräberstätten weltweit. Der Verein ist damit beauftragt, die Gräber deutscher Kriegstoten im Ausland zu erfassen und zu erhalten. Historisch-politische Bildungsarbeit und internationale Begegnung an Kriegsgräberstätten gehören ebenso zu seinen Aufgaben wie das Gestalten des öffentlichen Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Symbolisches Trauern

Ein wichtiger Tag hierfür ist der Volkstrauertag, der in Federführung des Volksbundes in diesem Jahr am 14. November begangen wird. Luise ging es vor ihrem FSJ ähnlich wie vielen: Sie assoziierte wenig mit diesem Tag. Sie wusste nur, dass es eine Gedenkfeier in ihrer Heimatstadt Berlin gibt. Der Volkstrauertag reiht sich ein in die stillen und dunklen Feiertage im November, deren einzelne Bedeutung insbesondere jüngeren Menschen weniger bekannt ist. Immer am zweiten Sonntag vor dem ersten Advent wird mit dem Volkstrauertag den Opfern beider Weltkriege sowie des Nationalsozialismus gedacht.

Der Tag entstand aus der Idee, dass nicht nur die Familien, sondern an einem Tag das ganze Volk symbolisch trauert. Blumen und Kränze werden an Ehrenmälern oder Gräbern niedergelegt und mit der Mahnung für Versöhnung, Verständigung und Frieden verbunden. Das für Militärbegräbnisse bedeutende Lied "Der gute Kamerad" ertönt, eine Rede wird gehalten, und häufig beteiligen sich Schülerinnen und Schüler mit Beiträgen, die sie im Unterricht zum Thema Krieg und Gewaltherrschaft vorbereitet haben - so erklärt es der Volksbund.

Warum Erinnern nötig ist

Es sollte wenig verwundern, dass ein Tag, der Trauer und militärische Rituale gemeinsam in den Mittelpunkt setzt, wenig prominent ist in einer Gesellschaft, die Tod und Trauer - quer durch alle Generationen - gerne an den Rand drängt und mit vielem Militärischen fremdelt. Entgegnen könnte man: Es braucht Erinnerungen, um zu wissen, wer man ist - ob als Individuum, als Familie oder als Gesellschaft.

Wurde anfangs am Volkstrauertag gefallenen Soldaten gedacht, stehen heute zusätzlich auch weitere Opfer von Krieg und Verfolgung im Mittelpunkt. Einen ähnlichen Wandel haben im Laufe der Jahrzehnte auch die Kriegsgräber durchlaufen: Nicht mehr die Ehrung der Gefallenen, sondern das erlittene Leid aller Kriegsopfer sowie politische Bildungs- und Erinnerungsarbeit werden mit den Soldatengräbern verknüpft. Dennoch kritisierten manche Historiker, dass der Volkstrauertag ebenso wie Kriegsgräberstätten nicht ausreichend unterscheiden zwischen Opfern und Tätern der nationalsozialistischen Herrschaft.

"Damit so etwas nicht mehr passiert"

Auch Luise fand es anfangs merkwürdig, an einem Ort zu sein, an dem Leute geehrt werden, die im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht gedient haben. Viele Fragen habe es für sie aufgeworfen, dass es in Lommel auch Gräber von Kriegsverbrechern gebe, sagt sie. Sie sei sich der Schwierigkeiten gesellschaftlichen Gedenkens bewusst.

Aber: "Als ich das erste Mal diese Kriegsgräberstätte gesehen habe, hat es bei mir keinen Nationalstolz ausgelöst, sondern Grauen", sagt sie. Durch die Arbeit an Gräbern und der Gedenkstätte will sie sich für Frieden einsetzen: "Damit so etwas nicht mehr passiert." Nach ihrem FSJ möchte Luise studieren - vielleicht Geschichte.


Quelle:
KNA