Freilichtmuseen machen vergangene Zeiten neu erlebbar

Zeitreise unter freiem Himmel

In Freilichtmuseen werden alte Zeiten wieder lebendig, kaum vorstellbare Lebensumstände anschaulich. Besonders in den Sommermonaten ziehen diese Eindrücke an. Eine Reihe ausgewählter Freilichtmuseen aus ganz Deutschland.

Pfahlbaumuseum Unteruhldingen / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Pfahlbaumuseum Unteruhldingen / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Das Mittelalterprojekt "Campus Galli", im südlichen Baden-Württemberg gelegen, ist die wohl ungewöhnlichste Baustelle Deutschlands: Nahe Meßkirch entsteht auf einer Fläche von 25 Hektar seit 2013 eine mittelalterliche Klosterstadt - allein mit den Werkzeugen und Methoden des Frühmittelalters. Zimmermänner, Schmiede, Seilmacherinnen und Steinmetze verzichten auf jede moderne Technik. Und Besucher können beim Wachsen der Stadt mittelalterliche Handwerkstechniken erleben. Vorbild für die Klosterstadt ist der historische Sankt Galler Klosterplan, den Mönche auf der Bodenseeinsel Reichenau vor 1.200 Jahren als Entwurf einer idealtypischen Klosteranlage zeichneten.

Das Pfahlbauermuseum Unteruhldingen am Bodensee verbindet Computeranimationen mit dem Nachbau einer ganzen Siedlung aus der Stein- und Bronzezeit, wie sie die Pfahlbauer ab dem Jahr 4.000 vor Christus am Ufer vieler süddeutscher Seen errichteten. Woher die Menschen damals kamen und warum ihre Kultur schließlich unterging, ist bis heute nicht ganz klar. Ihre eindrucksvolle Siedlungsform wird in dem archäologischen Privatmuseum durch die Rekonstruktionen der auf Stelzen im Wasser errichteten einfachen Holz- und Schilfhütten lebendig. Wer Originale wie Werkzeuge, Gefäße oder Boote der Pfahlbauer sehen will, wird im nahen Konstanzer Archäologiemuseum fündig.

Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach beweist, dass Schwarzwaldkultur mehr ist als Kirschtorte und Bollenhut. Zu entdecken sind typische Schwarzwaldhöfe mit tiefgezogenen Dächern, aber auch ein kleines Schloss, Mühlen und Kapellen. Ursprünglich als Architekturmuseum gegründet, geht es den Museumsmachern heute auch darum, Besucher in den früheren Alltag von Schwarzwaldbauern und Handwerkern mitzunehmen. Neben den detailgetreu eingerichteten Häusern sind beispielsweise Weber, Besenbinder oder Schnapsbrenner bei ihrer Arbeit zu erleben.

Auch von seiner landschaftlich ausgesprochen reizvollen Umgebung profitiert das Hohenloher Freilandmuseum bei Schwäbisch Hall. Rund 70 historische Gebäude verschaffen einen Überblick über die Wohnformen in den vergangenen 500 Jahren. Auf den Streuobstwiesen und Feldern zwischen den Häusern lassen sich auch im fränkischen Teil Baden-Württembergs heute fast vergessene Pflanzen und ungewöhnliche Nutztiere wie "Limpurger Kühe", "Coburger Fuchsschafe" und "Schwäbisch-Hällische Landschweine" finden. Auch hier richten sich viele Angebote an Familien.

Das Schwäbische Bauernhofmuseum Illerbeuren nahe Memmingen zeigt Zeugnisse der ländlichen Baukultur - sprich zeitgenössisch eingerichtete und originalbelassene Häuser und Bauernhöfe. Das 1955 gegründete Museum zeigt die Hausformen der einzelnen Landschaften in Baugruppen, als exemplarische Ansiedlungen. Die ältesten Häuser stammen aus der Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, etwa die Sölde aus Siegertshofen bei Augsburg (1668/69). Die Baugruppe "Technik auf dem Land" widmet sich den landwirtschaftlichen Gerätschaften. Unter den charakteristischen Strohdächern gibt es mehrere Werkstätten, unter anderem eine Wagnerei, eine Bürstenbinderei und eine Küferei. Dem Konzept nach soll das Museum ein "dreidimensionaler Speicher der vergangenen ländlichen Kultur in Schwaben - vom Allgäu bis ins Ries" sein.

Gleich hinterm Schliersee, nach dem Bahnübergang links, liegt das Museumsdorf von Markus Wasmeier. Der einstige Skistar hat mit seinem Vater, einem gelernten Restaurator und Lüftlmaler, und Sponsoren dort ein Ensemble denkmalgeschützter Höfe wiederaufgebaut. "Damit die Kinder wissen, dass die Kühe nicht lila sind", beschreibt der "Wasi" seine Motivation. Erwachsene können bei ihm lernen, wie vor 300 Jahren Bier gebraut wurde. Die Jüngeren begeistern sich fürs Kasperltheater, bei dem alle Puppen in bayerischer Mundart daherreden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Jeden Sommer findet außerdem mit mehreren Bühnen ein Kasperltheaterfestival statt. Als Schirmherr fungiert der Kabarettist Gerhard Polt, der auch am Schliersee wohnt.

Wer zwischen Thüringen und Bayern auf der A71 unterwegs ist, sollte einmal die Ausfahrt Rentwertshausen/Behrungen nehmen. Dort - an der "Erlebnisstraße der deutschen Einheit" - lässt sich nämlich im Deutsch-deutschen Freilandmuseum ein bedeutsames Stück Zeitgeschichte erkunden: Auf einem etwa 3,5 Kilometer langen Denkmalschutz- und Naturlehrweg wird mittels original erhaltener Grenzanlagen die innerdeutsche Teilung greif- und erfahrbar. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Situation der Grenzgemeinden auf beiden Seiten. Aus einigen grenznahen Orten wie etwa Berkach wurden beispielsweise auf DDR-Regierungsbeschluss alle Familien zwangsumgesiedelt. Wer mag, kann auf bayerischer Seite auf einen Grenzaussichtsturm steigen, von dem aus man früher Gästen einen "Blick nach Drüben in die Zone" ermöglichte.

Das Freilandmuseum Lehde liegt mitten im Spreewald - idyllisch, in früheren Zeiten aber auch beschwerlich. Erst seit den 1920er Jahren gibt es hier Straßen, zuvor war Fortbewegung nur über die Fließen genannten Kanäle möglich. Das "Dorf im Dorf", wie sich das Museum selbst bezeichnet, versetzt den Besucher zurück in das 19. Jahrhundert: auf Höfe ohne elektrischen Strom, auf denen mehrere Generationen in einem einzigen Zimmer zusammenlebten. Sorbische und wendische Trachten sind zu sehen, und Gäste können selbst alte Handwerkstechniken ausprobieren. Ein besonderes Highlight gibt es an Ostern mit dem Gestalten von sorbischen Ostereiern.

Das Freilichtmuseum am Kiekeberg südlich von Hamburg ist nicht nur für die Einwohner der Hansestadt ein beliebtes Ausflugsziel. Die über 40 historischen Gebäude und Gärten auf einem zwölf Hektar großen Freigelände erzählen von Kultur und Lebensweise in der nördlichen Lüneburger Heide und den angrenzenden Elbmarschen. Vorführungen zeigen dem Publikum anschaulich, wie früher auf dem Lande gelebt und gearbeitet wurde - vom Korbflechten über Flachsen, Weben und Klöppeln bis hin zum Bierbrauen und Brotbacken. Mitmachen hat einen hohen Stellenwert, etwa beim Lenken eines Mähdreschers oder beim Melken einer Plüschkuh versuchen. Kinder sind besonders willkommen: Unter-18-Jährige haben freien Eintritt.

Beim Korbflechten zuschauen, im Bett-Alkoven Probe liegen - und schließlich auf dem altmodischen Karussell eine Runde drehen: Das Freilichtmuseum Molfsee in Schleswig-Holstein zeigt auf seinem weitläufigen, 40 Hektar großen Gelände 60 historische Gebäude aus dem 16. bis 20. Jahrhundert. Sie stammen aus verschiedenen Landesteilen sowie der dänischen Grenzregion und wurden in Molfsee wieder aufgebaut. Eingebettet in Felder, Wiesen und Gärten liegen die Katen und Bauernhäuser sowie Bäcker, Korbmacher und Schmied, außerdem drei Wind- und eine Wassermühle und eine historische Apotheke. Zudem gibt es einen Jahrmarkt und ein Haus, das altes Spielzeug präsentiert.

Ein bundesweit einzigartiges Projekt entsteht derzeit im Museumsdorf Cloppenburg: 2020 soll dort die Land-Disco "Zum Sonnenstein" eröffnet werden, die in den 70er und 80er Jahren ein Anziehungspunkt im nahegelegenen Harpstedt war. Jugendkultur, Musik und Mode aus dieser Zeit werden laut Ankündigung des Hauses eine wichtige Rolle spielen - und manchen Besucher in die eigene Jugend zurückversetzen. Darüber hinaus gilt das Museumsdorf als das älteste nach wissenschaftlich-museologischen Maßstäben geführte Freilichtmuseum Mitteleuropas. Mehr als 50 Gebäude, darunter drei Mühlen, eine Kirche und eine Schule bieten einen Einblick in die Alltags- und Kulturgeschichte des Nordwestens.

Das Mühlenhof Freilichtmuseum an Münsters Aasee bietet auf rund 5 Hektar 30 Bauwerke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Die Originalbauten wurden an ihren ursprünglichen Standorten im Münster- und Emsland abgebaut, in Einzelteilen nach Münster geschafft und dort zusammengesetzt. Besuchern vermitteln die volleingerichteten Gebäude eine Ahnung vom Bauernleben vor mehreren hundert Jahren – meist mit dem Herdfeuer als Mittelpunkt für Mensch und Tier. Zum Ensemble gehören auch eine einklassige Landschule, ein Dorfladen sowie eine Bockwindmühle aus dem 18. Jahrhundert, das erste Museumsstück bei der Eröffnung 1963. Hier wird neben Hochdeutsch vor allem Münsterländer Platt gesprochen – auch bei den Führungen. Der "Dorfkrug" bietet neben warmen Speisen auch Kaffee und Kuchen aus eigener Bäckerei.

Als das Freilichtmuseum Detmold im Juli 1971 erstmals die Tore für Besucher öffnete, zählte es 24 Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Mit 120 Gebäuden von 1550 bis 1960 auf 90 Hektar ist es heute das größte Freilichtmuseum Deutschlands. Man kann dort heiraten, als Schulklasse übernachten oder bei Tankstellenpartys im 1960er-Jahre-Dorf das Tanzbein schwingen. Das Museum arbeitet zudem gegen die Zeit, etwa, wenn alte Pflanzenarten und Haustierrassen vor dem Verschwinden gerettet werden. Dann wieder ist es, als wäre die Zeit stehen geblieben: im Tageslichtatelier aus dem Jahr 1891 zum Beispiel, wo Fotografen Besucher bis heute für Porträts inszenieren. Seit 2008 stellt das Museum jedes Jahr unter ein Motto. Für "Scheiße sagt man nicht" zur Geschichte der Toilette (2016) wurde das Museum mit dem internationalen iF Design Award ausgezeichnet.

Der Duft von frisch gebackenem Brot und geröstetem Kaffee, lodernde Schmiedefeuer und schlagende Hämmer: Anders als die meisten europäischen Freilichtmuseen widmet sich das Westfälische Landesmuseum für Handwerk und Technik in Hagen (WFH) nicht der Darstellung des bäuerlich-ländlichen Alltags. Auf etwa 42 Hektar Fläche wird seit 1973 die Geschichte von Handwerk und Technik in Westfalen vom 18. bis 20. Jahrhundert gezeigt. Mehr als 60 Werkstätten wurden wieder aufgebaut oder rekonstruiert. Die meisten sind betriebsbereit; täglich zeigen geschulte Handwerker alte Techniken. Sie schmieden Nägel, rollen Zigarren, schlagen Seile und vermitteln andere, heute vielfach in Vergessenheit geratene Arbeitstechniken. Etwa 18 der rund 60 Werkstätten sind jeden Tag in Betrieb, darunter ein Messingstampfhammer, eine Senfmühle und Essigbrauerei, eine Drahtzieherei, Weißgerberei und Kaffeerösterei.

Wer eine Zeitreise ins späte 19. und frühe 20. Jahrhundert machen möchte, der ist im LVR-Freilichtmuseum Lindlarim Bergischen Land richtig. Nicht nur die Häuser stammen aus dieser Zeit, auch die umliegende Kulturlandschaft wurde konsequent in den Zustand um die Jahrhundertwende zurückversetzt. Das heißt: kleinste Ackerparzellen, denn im Bergischen Land war die Erbteilung üblich, sich selbst überlassene Feldhaine mit Wildblumen und Kräutern neben Streuobstwiesen auf sanft hügeliger Landschaft. Nicht Maschinen, sondern Ackergäule bestimmen hier das Tempo. Ihnen angepasst schlendern die Besucher über die Feldwege und ziehen Kinder in Bollerwagen hinter sich her. Das Museum wird ständig erweitert, indem alte Häuser aus dem Umland wieder aufgebaut werden. Es gibt also immer wieder etwas Neues zu entdecken.


Quelle:
KNA