Franziskaner in Marrakesch berichtet von Erdbeben und Hilfen

"Haben uns vollkommen machtlos gefühlt"

Tausende Menschen haben beim Erdbeben in Marokko ihr Leben verloren. In Marrakesch sitzt der Ordensbruder Manuel Corullón Fernández, der nun Hilfsleistungen organisiert. Er ist dankbar für die Hilfsbereitschaft, auch aus Deutschland.

Erdbeben in Marokko / © Fernando Sánchez (dpa)
Erdbeben in Marokko / © Fernando Sánchez ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie stammen aus Spanien, leben als Ordensbruder seit 22 Jahren in Marokko. Wie haben Sie das Erdbeben in Marrakesch am Freitagabend erlebt?

Fr. Manuel Corullón Fernández OFM (DR)
Fr. Manuel Corullón Fernández OFM / ( DR )

Fr. Manuel Corullón Fernández OFM (Kustos der Franziskanerkustodie Marokko und Pfarrer der katholischen Gemeinde der Heiligen Märtyrer in Marrakesch): Ich saß in dem Moment in meinem Büro und habe gearbeitet. Die Erschütterungen hat man auch bei uns in der Stadt noch sehr stark gespürt. Wir hatten in dem Moment überhaupt keine Ahnung, was passiert. Wir haben uns vollkommen machtlos gefühlt, weil wir nicht wussten, was gerade passiert und ob wir sicher sind. Mit den anderen Brüdern sind wir dann raus in den Garten. Wir wussten gar nicht, ob die Kirche oder unser Wohnhaus die Erschütterungen überstehen würden. Wir sind dann die ganze Nacht wach geblieben. Gegen ungefähr 4:30 Uhr am Morgen haben wir dann das Nachbeben gespürt. Das war nicht so stark wie das erste. Man hat uns gesagt, dass in den ersten 24 Stunden das Risiko von Nachbeben am größten sei. Zum Glück ist nach dem zweiten nichts mehr passiert.

DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihrer Kirche aus?

Fr. Manuel Corullón Fernández OFM

"Es gibt Orte, die komplett zerstört wurden, wo niemand überlebt hat."

Fernández: Am Samstag haben wir die Kirche untersucht. Sie musste an mehreren Stellen gereinigt werden, aber es ist nichts Dramatisches passiert. Es gibt keine strukturellen Schäden. Beim Saubermachen haben uns auch viele Gemeindemitglieder unterstützt. Am Sonntag hat uns dann direkt Kardinal Cristóbal López Romero, der Erzbischof von Rabat, besucht und mit der Gemeinde Gottesdienst gefeiert. Ein wichtiges Zeichen des Zusammenhalts und des gemeinsamen Gebetes für uns. Bei dieser Messe haben wir gemerkt, dass die Leute ein wirkliches Bedürfnis nach dem Gebet, nach der Stille und nach der Gemeinschaft hatten. Das war ein wichtiger Moment für uns.

Kirche der Heiligen Märtyrer in Marrakesch (Archiv) / © Jaroslav A. Polak (shutterstock)
Kirche der Heiligen Märtyrer in Marrakesch (Archiv) / © Jaroslav A. Polak ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das war am Wochenende. Wie ist aktuell die Lage bei Ihnen?

Fernández: Gott sei Dank ist das Erdbeben hier in der Stadt Marrakesch relativ glimpflich ausgefallen. In der Altstadt von Marrakesch gab es einiges an Zerstörung. Bei uns in der Neustadt ist die Lage aber ganz in Ordnung.
Das Problem sind eher die ländlichen Regionen, ungefähr 85 Kilometer südlich von Marrakesch, wo das Epizentrum des Bebens lag. Am Montag waren wir mit einer Gruppe der Caritas vor Ort, um in den Dörfern erste Hilfe zu leisten. Wir haben kleine Geschenke und Nothilfen verteilt, die uns Mitglieder unserer Gemeinde zur Verfügung gestellt haben. Außerdem noch Essen, Vitamine, einfach die Grundlagen. Je näher wir dem Epizentrum kamen, umso schwieriger wurde die Lage. Es gibt Orte, kleine Dörfer, die komplett zerstört wurden, wo niemand überlebt hat.

Marokko organisiert auch Hilfen auf staatlicher Ebene, das funktioniert schon sehr gut. Wir erwarten eine ganze Reihe an Hilfsleistungen, die in den kommenden Tagen bei uns eintreffen soll: Essen, Kochgeschirr, Decken, Medizin. Morgen werden wir noch mal mit einer kleinen Gruppe in die Dörfer fahren.

Die Regierung richtet Hilfszentren ein, wo das Essen verteilt wird und auch medizinische Ersthilfe geboten wird. Die Solidarität, die wir aus dem ganzen Land erfahren, ist wirklich beeindruckend. Wir sind auch sehr bewegt, wie viele Rückmeldungen wir aus dem Ausland bekommen, vor allem auf kirchlicher Ebene. Viele Organisationen, die finanzielle Hilfe leisten, entweder direkt an unsere Gemeinde oder an die Caritas Marokko.

DOMRADIO.DE: Die Franziskaner sammeln unter anderem Spenden in Deutschland. Die Caritas ist aktiv. Andererseits lehnt die Regierung Marokkos staatliche Hilfe aus Deutschland und anderen Ländern ab, was zu Irritation führt. Auf der katholischen Ebene funktioniert die Hilfe? Auf welchem Wege erreichen Sie die internationalen Hilfen?

Fernández: Marokko erhält in der Tat Hilfe, auch technische Hilfe von Spanien, Frankreich und England. Wir haben im Moment nur nicht die Kapazitäten für weitere Hilfen, die aus der ganzen Welt angeboten werden.

Fr. Manuel Corullón Fernández OFM

"Als Caritas Marokko bieten wir zum Beispiel unsere Hilfe beim Wiederaufbau von Schulen und Apotheken an."

Auf kirchlicher Ebene funktioniert das aber in der Tat sehr gut, auch mit den Hilfen aus Deutschland. Die deutschen Franziskaner unterstützen uns, das Erzbistum Köln hat über die Franziskaner auch Hilfsleistungen angeboten. Auch die Missionszentrale der Franziskaner. Wir bekommen aber auch Hilfen aus Spanien, Italien und sogar den USA. Es gibt viele aufmerksame Menschen, die uns helfen wollen, aber nicht nur große Organisationen und Institutionen. Bei uns hat sich eine kleine Gemeinschaft von Ordensschwestern gemeldet, die gefragt haben, wie sie uns helfen können.

Erzbistum Köln gibt 300.000 Euro Soforthilfe für Erdbebenopfer

Nach dem Erdbeben in Marokko hat das Erzbistum Köln 300.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Damit würden die betroffenen Menschen und die Diözesen vor Ort unterstützt, teilte das Erzbistum am Montag mit.

"Die Nachrichten und Bilder aus den betroffenen Gebieten zeugen von unendlichem Leid", erklärte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. "Meine Gebete und Gedanken sind bei den Opfern des Erdbebens und ihren Angehörigen."

Erdbeben in Marokko / © Mosa'ab Elshamy (dpa)
Erdbeben in Marokko / © Mosa'ab Elshamy ( dpa )

Wir arbeiten im Moment mit einem sehr kleinen Budget als Caritas und als Gemeinde. Wir erwarten in den kommenden Tagen, dass das Geld aus dem Ausland ankommt und wir in größerem Maße helfen können.

DOMRADIO.DE: Was brauchen Sie, um den Menschen konkret zu helfen?

Fernández: Es gibt zwei Ebenen, auf denen Hilfe nötig ist. Das ist die finanzielle Hilfe, mit der wir Essen, Wasser und Zelte organisieren können. Genauso wichtig ist aber die Wiederaufbauhilfe, die wir leisten müssen. Dafür müssen wir große Anstrengungen leisten, auch logistisch. Dafür müssen wir mit den lokalen Organisatoren in den Dörfern zusammenarbeiten. Als Caritas Marokko bieten wir zum Beispiel unsere Hilfe beim Wiederaufbau von Schulen und Apotheken an. Am Montag hat unser Bischof ein Treffen mit Caritas International gehabt und der Caritas für Nordafrika, um darüber zu sprechen, wie wir das Geld für den Wiederaufbau nach Marokko bekommen.

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist in Marokko eine sehr kleine Minderheit. Arbeiten Sie bei den Hilfen interreligiös zum Beispiel auch mit muslimischen Gemeinschaften zusammen?

Fernández: Natürlich, auch für unsere Caritas in Marrakesch arbeiten Muslime. Da gibt es schon seit Jahren eine enge Zusammenarbeit. Diese karitative Zusammenarbeit hat für uns aber auch eine soziale und theologische Dimension. Das ist eine wichtige Ebene, um den interreligiösen Dialog zu fördern.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR