Der deutsche Salafismus, laut Verfassungsschutz die am schnellsten wachsende radikale Strömung innerhalb des Islam, musste in den vergangenen Wochen empfindliche Rückschläge hinnehmen. Fünf sogenannte "Islamseminare" wurden abgesagt, das Innenministerium durchsuchte Vereins- und Privaträume von Salafisten in mehreren Bundesländern, und demnächst droht ein Verbotsverfahren gegen den Verein "Einladung zum Paradies" (EZP) mit dem bundesweit bekannten Prediger Pierre Vogel.
Es begann mit einer kleinen dapd-Meldung über ein für den 23. Oktober geplantes Islamseminar der wohl radikalsten Predigergruppe Deutschlands. Abu Abdullah, Abu Dujana, und Ibrahim Abou-Nagie vom Verein "Die wahre Religion" wollten ihre Ansichten zum Heiligen Krieg (Pflicht für jeden Muslim), zum islamischen Rechtssystem Scharia (einzig gültige Gesetzgebung) oder zur Homosexualität (eine der schlimmsten Sünden überhaupt) in einer Moschee in Berlin-Neukölln kundtun. Die Medien berichteten, die Berliner Polizei sprach mit dem Moscheevorstand, und der lud die Extremisten einen Tag vor dem Veranstaltung wieder aus. Es folgten Absagen aus Wien und aus Bonn.
Hetz-Predigten blieben fast unbemerkt
Jahre lang konnten die Anhänger der "wahren Religion" von der breiten Öffentlichkeit fast unbeachtet über den Jihad, die Mujahideen und das Handabhacken bei Diebstahl schwadronieren. Nun schienen sie mehr und mehr isoliert. Doch die großen Schlagzeilen beherrschte eine andere Predigergruppe: der Verein "Einladung zum Paradies" und ihr Talkshow-erfahrener, bundesweit bekannter Starprediger Pierre Vogel. Auf einem Marktplatz im Herzen Möchengladbachs empfahl er Kanzlerin Merkel, für ungezogene muslimische Jugendliche in Problemvierteln die Scharia auszuprobieren. Todesstrafe für einen Ehrenmord, Hand ab für einen Raubüerfall "und dann wollen wir mal schauen, wie das ganze sich entwickelt."
Die Quittung für Vogels genussvoll ausgekostete Provokationen folgte prompt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte genug von dem Treiben des rheinländischen Konvertiten und so durchsuchten am Dienstag dieser Woche Polizisten insgesamt 23 Privat- und Vereinsräume von EZP und des mit ihm verflochtenen Vereins "Islamisches Kulturzentrum Bremen". De Maizières Auftrag: Beweismaterial sichern, um die Vereine möglichst schnell verbieten zu können.
Prediger: "Merkel landet in der Hölle"
Vogel tobte: In einer Videobotschaft bezeichnete er die Durchsuchungen als "Schande für die Demokratie" und forderte Kanzlerin Merkel auf, den Islam anzunehmen. Sonst würden sie "für alle Ewigkeit in die Hölle gehen", sagte er in einer Videobotschaft.
Doch es kam noch schlimmer für EZP: Auch ihre Seminare wurden abgesagt. In Konstanz, so erklärte die Stadtverwaltung, sei das Dach der Stadthalle wegen des Schnees einsturzgefährdet, und der Berliner Al-Nur-Moschee sagte, es gebe nicht genug Geld für das Seminar. Der einstige Boxer und seine Anhänger fühlen sich ungerecht behandelt. Tatsächlich erklären sie nach praktisch jedem Anschlag, Terror sei mit dem Islam nicht vereinbar. Angesichts der deutlichen Worte, die sie dabei finden, kann man ihnen das wohl glauben.
Die Vorbeter der "wahren Relgion", Abou-Nagie und Abu Abdullah, verherrlichen dagegen regelmäßig den Heiligen Krieg und das Märtyrertum: "Wenn der erste Blutstropfen den Körper verlassen hat, hat Allah ihm alle seine Sünden vergeben. Allauh Akbar! Warum? Weil er hat alles gegeben für Allah." Von solchen Äußerungen bis zu Gedanken an den Weg ins Terrorcamp scheint es nicht weit.
Unverständnis über ungleiche Behandlung
Umso unverständlicher sei es, dass der Innenminister gegen Vogel und Co. klar Stellung beziehe, zur "wahren Religion" aber kein Wort verliere, sagt die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom Berliner Zentrum Demokratische Kultur. "Vogels Ansprachen sind durchaus integrations- und verfassungsfeindlich. Er legt durch seine fundamentalistische Koran-Interpretation sicherlich auch bei manchen die Grundlage für eine weitere Radikalisierung. Offen Gewalt verherrlichend und damit noch gefährlicher sind aber die Predigten der "wahren Religion"", sagt Dantschke.
Vogel habe allerdings eine wesentlich größere Anhängerschaft. "Deshalb reicht es nicht, nur seine Seminar abzusagen. Man muss vor allem die Jugendlichen wieder in die Gesellschaft zurückholen."
In der islamistischen Szene ist das Unverständnis über de Maizières Vorgehen noch größer. Öffentlich mag kaum einer über die Radikalen der "wahren Religion" sprechen - ein Muslim hackt seinem Mitbruder kein Auge aus. Aber es sei abstrus, EZP zu verbieten und DWR einfach weiter machen, heißt es. Durch die Durchsuchungen und das offenbar angestrebte Verbotsverfahren hätten die betroffenen Muslime das Gefühl, der Staat handle willkürlich und sei islamfeindlich. So - und das finden nicht nur Anhänger Pierre Vogels - treibe man Muslime in die Hände der Ultraradikalen.
Extremistische Muslime wollten über Weihnachten "zum Islam einladen"
Rückschlag für Radikale
Es ist ein bisschen viel für die deutsche Islamisten-Szene: Anhänger der als fundamentalistisch geltenden Bewegung des Salafismus wollten in der Advents- und Weihnachtszeit ordentlich "Dawa" machen. Doch die "Einladung zum Islam", die manche eher als extrem offensive Missionierung bezeichnen würden, fällt aus.
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