Evangelische Kirche beginnt mit neuer Missbrauchsstudie

Expertise von Betroffenen gefragt

Die Evangelische Kirche hat den Beginn einer neuen Missbrauchsstudie vorgestellt. Das Besondere: Erstmals werden Betroffene des sexuellen Missbrauchs in der Evangelischen Kirche als "Co-Forschende" an der Erstellung einer Studie beteiligt.

Symbolbild Missbrauch, Schatten eines Kreuzes / © Taigi (shutterstock)
Symbolbild Missbrauch, Schatten eines Kreuzes / © Taigi ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das Besondere an dieser Studie ist die Einbeziehung der Betroffenen?

Benjamin Lassiwe (Journalist): Das denke ich schon. Detlev Zander, einer der profiliertesten evangelischen Missbrauchsbetroffenen, einer der profiliertesten Warner und Mahner in Sachen Missbrauch in der Evangelischen Kirche, hat sehr deutlich gesagt heute, dass es auch das erste Mal ist, dass Betroffene in einem derartigen Maß mitwirken können. Die Betroffenen sind Co-Forscher, sie bekommen die Interviews, die in dieser Studie geführt werden, mit anderen Betroffenen, mit Verantwortlichen, auch mit Tätern, in anonymisierter Form zu sehen. Ihre Expertise wird von den Forschern mit in die Erforschung des Missbrauchs in der Evangelischen Kirche und ihrer Diakonie mit eingebracht.

DOMRADIO.DE:  Bei der Katholischen Kirche wurden ja auch Betroffenenbeiräte gegründet. Da wurden Menschen auch in die Aufarbeitung mit einbezogen. Aber wie unterscheidet sich genau das, was wir bisher gehört haben, von dieser heute vorgestellten Geschichte?

Lassiwe: Wir reden ja nicht über einen Beirat, wir reden auch nicht über ein Gremium der Kirche. Wir reden hier über eine wissenschaftliche Studie, die von einem Institut im Auftrag der Kirche erarbeitet wird. Das ist ein bisschen so wie die MAG-Studie auf katholischer Seite, die damals das Ausmaß und die qualitative Situation beim Missbrauch, die Menge einfach aufgedeckt hat. Hier wird jetzt genau geforscht zu den Themen: Was hat Missbrauch in der Evangelischen Kirche begünstigt? Welche Phänomene gibt es da? Was waren das für Täter? Was waren das für Betroffene und wie kann man das verhindern? Da haben Betroffene natürlich eine gewisse Expertise in eigener Sache und die bringen sie hier ein.

DOMRADIO.DE: Was sagen denn die Betroffenen selbst dazu?

Lassiwe: Detlev Zander sagte sehr deutlich, dass eine solche Studie dazu beitragen kann, dass man weitere Missbrauchsfälle in der Kirche verhindern kann. Man weiß, was in der Evangelischen Kirche Missbrauch begünstigt hat. Wir sind ja in der anderen Konfession. Das heißt, wir haben in diesem Fall nicht das Zölibatsproblem. Wir haben hier auch nicht das Priesterbild, das ein Problem darstellen könnte. Wir haben eher organisierte Verantwortungslosigkeit. So war es jedenfalls in der Vergangenheit oft bei evangelischen Studien, bei evangelischen Missbrauchsfällen. Bei Aufarbeitungsdiskussionen kam heraus, dass sich niemand so recht zuständig fühlte und irgendwie haben alle weggeguckt, wenn etwas war. Und insofern wird man jetzt gespannt sein, was bei dieser Studie am Ende herauskommt.

DOMRADIO.DE: Dieses vorgestellte Projekt ist nur eines von fünfen, diese neue Studie. Was sind die anderen Sachen?

Lassiwe: Zu den anderen Studien gehört eine quantitative Studie, mit der Fragestellung: Wie viele Missbrauchsfälle gab es eigentlich in der Evangelischen Kirche? Dabei ist zu beachten, dass die evangelische Aufarbeitung sich eben nicht nur auf Pfarrerinnen und Pfarrer beschränkt, sondern tatsächlich auch Ehrenamtliche in den Blick nimmt. Sie untersucht auch das Verhalten sonstiger Mitarbeitenden in den Gemeinden, also auch Personengruppen, die bisher auf katholischer Seite noch gar nicht im Blick waren. Dann gibt es eine Studie, die sich noch mal sehr speziell mit der Geschichte der Aufarbeitung, mit möglichen Fehlern, die man in der Evangelischen Kirche gemacht hat in der Vergangenheit, beschäftigt. Es gibt eine Teilstudie, die sich mit der Frage der Prävention beschäftigt. Das sind also verschiedene Ansätze, die alle zusammen am Ende ein großes, gemeinsames Bild bieten sollen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe (privat)
Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe ( privat )
Quelle:
DR