Experten und Betroffene diskutieren über Organspende

Mehr Aufklärung statt moralischer Druck

Seit Jahren stagniert die Zahl der Organspender in Deutschland: Während pro Jahr rund 4.000 Spenderorgane zur Verfügung stehen, warten derzeit rund 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan. In der Wartezeit sterben täglich drei Menschen. Politiker und Ärzte suchen deshalb händeringend nach Auswegen.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Und können darauf verweisen, dass laut Umfragen rund 80 Prozent der Bürger "grundsätzlich" zur Organspende bereit sind - während nur 20 Prozent einen Spendenausweis ausgefüllt haben. Nach geltendem Recht ist eine Organentnahme nach dem Tod nur erlaubt, wenn entweder der Betroffene zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat oder nach seinem Tod die Angehörigen einwilligen.



Lässt sich eine Auskunftspflicht mit dem Selbstbestimmungsrecht der Bürger vereinbaren? Dieser Frage ging der Deutsche Ethikrat am Mittwochabend in einer Diskussionsveranstaltung in Berlin nach.



Goldene Regel

Weyma Lübbe, Regensburger Philosophin und Mitglied des Ethikrats, verwies darauf, dass der Nationale Ethikrat noch 2007 eine Pflicht zur Auskunft empfohlen hatte. Zugleich ging das Gremium davon aus, dass bei Verstorbenen, die sich zu Lebzeiten nicht geäußert hatten, eine Zustimmung zu vermuten sei. Der Ethikrat begründete dies mit der Goldenen Regel, "dass man zu Leistungen, die man von anderen erwartet oder zumindest erhofft, auch selbst breit sein soll".



Für Lübbe geht diese Überlegung aber zu weit. Daraus spreche die "Logik des Tauschenwollens" und nicht mehr der Wunsch des Helfens.

Der Mensch drohe zum Tauschobjekt zu werden, warnte sie. Vor allem aber sieht Lübbe hinter dem Vorschlag eher das Interesse an "mehr Ressourcen". Grundsätzlich beklagte die Philosophin, dass der Bürger in der derzeitigen Diskussion geradezu moralisch zu einer Organspende genötigt werden. Sie forderte "mehr Respekt vor den Nichtspendern".



Datenschutzrechtliche Bedenken

Auch die Empfänger von Organen legen großen Wert auf die Freiwilligkeit der Organspende, so Jutta Riemer vom Interessenverband der Lebertransplantierten. "Wir müssen mit den Organen leben." Eine Äußerungspflicht sollte deshalb auch die Möglichkeit der Nichtentscheidung vorsehen.



Festgehalten könnte eine solche Aussage in der Krankenversicherungskarte. Hier machte aber der Hallenser Jurist und Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, datenschutzrechtliche Bedenken geltend. Ferner müsse jederzeit eine Willensänderung möglich sein.



Lilie wandte sich aber auch aus ganz praktischen Gründen gegen neue gesetzliche Regelungen. Wesentlich für mehr Organspenden seien bessere Strukturen in den Kliniken. Auch Experten aus Spanien hielten die Frage, ob eine Zustimmungs-, Widerspruchs- oder Auskunftsregelung gilt, nicht für entscheidend. Das mehr als doppelt so hohe Spendenaufkommen in Spanien sei nicht auf die dort gültige Widerspruchregelung zurückzuführen, sondern auf die höhere Zahl an Transplantationsbeauftragten. In Deutschland besitze kaum die Hälfte aller Krankenhäuser einen Beauftragten - trotz gesetzlicher Pflicht.



Einigkeit herrschte darüber, dass vor allem mehr Information und Aufklärung der Bürger nötig seien. Dazu gehöre es auch, die Ängste und Bedenken der Menschen erst zu nehmen, nicht zuletzt mit Blick auf den Hirntod. Die Parlamentarische Staatsekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU), wandte sich ebenfalls gegen jeden Druck. Nicht "verpflichten und verrechtlichen", sondern "soviel Information wie möglich". Der Charakter des Geschenks müsse erhalten bleiben. Lilie zeigte sich überzeugt, dass bei richtigen Strukturen und angemessenem Umgang mit Patienten und Angehörigen das Spendenaufkommen in Deutschland mittelfristig an Spanien heranreichen könne.