Experte kritisiert Verlegungen in Klinik am Lebensende

Unruhe und Hektik in der Sterbephase

Der neue AOK-Pflegereport zeigt, dass viele Menschen am Lebensende noch aus dem Pflegeheim ins Krankenhaus überwiesen werden. Oft mache das gar keinen Sinn, so der Report. Was sind die Ursachen und wie kann dem vorgebeugt werden?

Zum Sterben vom Pflegeheim ins Krankenhaus? / © nimito (shutterstock)
Zum Sterben vom Pflegeheim ins Krankenhaus? / © nimito ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der AOK-Pflegereport 2021 besagt, dass mehr als die Hälfte der in Pflegeheimen Lebenden kurz vor ihrem Tod noch ins Krankenhaus verlegt werden. Laut Bericht wäre mehr als jede dritte dieser Verlegungen nicht nötig oder könnte vermieden werden. Warum werden so viele Menschen kurz vor ihrem Ableben noch mal verlegt und ins Krankenhaus gebracht?

Dr. Peter Bromkamp (Ansprechpartner für Altenheimseelsorge im Erzbistum Köln): Es kommen unterschiedliche Dinge zusammen. Ich nehme häufig eine Unsicherheit beim pflegenden Personal wahr. Da ist die Frage, ob vor Ort alles getan werden kann, was in dieser Sterbephase notwendig wäre.

Dann erlebe ich manchmal ein Drängen und ein Interesse der Angehörigen, die darum bitten, doch noch wirklich alles zu versuchen. Die Grundursache ist aber, dass im Vorfeld zu wenig über die mögliche Situation gesprochen wird und erst gehandelt und reagiert wird, wenn sie akut eintritt.

Ich finde es schade, dass viele alte Menschen dann noch ins Krankenhaus gebracht werden. Einen großen Teil dieser Menschen könnte man sicherlich in ihrer gewohnten Umgebung in dem Altenpflegeheim, in dem sie leben, viel besser, sinnvoller und auch passender versorgen und auch in dieser letzten Lebensphase im Sterben begleiten.

Krankenwagen des Malteser Rettungsdienstes / © Harald Oppitz (KNA)
Krankenwagen des Malteser Rettungsdienstes / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Konsequenzen einer solchen Verlegung sind wahrscheinlich nicht zu unterschätzen, oder?

Bromkamp: Es führt auf jeden Fall noch mal zu einer größeren Unruhe. Das ist ganz klar. Eine Hektik, eine große Unsicherheit sowie Angst und Unruhe sind dann plötzlich vorhanden.

Es werden Menschen, die ohnehin schon gesundheitlich sehr angeschlagen und beeinträchtigt sind, aus ihrer gewohnten Umgebung weggebracht. Sie kommen dann mit Sirenen in die Kliniken und treffen da auf eine Umgebung, die auch erst mal nicht vertrauenseinflößend ist.

Da herrscht dann auch Unruhe, Hektik, Neonlicht. Da sind ganz viele unbekannte Leute, die um einen herum sind. Da kann es sein, dass Unsicherheit und manchmal auch Angst geschürt wird.

DOMRADIO.DE: Von Menschen, die an Demenz erkrankt sind, wollen wir erst mal gar nicht reden…

Bromkamp: Die bekommen diese Unsicherheit noch mal sehr viel deutlicher mit. Denen kann man ja auch noch schwerer erklären, was da gerade passiert und warum was gerade passiert.

DOMRADIO.DE: Wie kann man dem denn vorbeugen?

Bromkamp: Wie gesagt, wichtig wäre, frühzeitig über solche möglichen Situationen zu sprechen, so unangenehm das vielleicht ist. Dann könnte man den tatsächlichen Bedürfnissen der alten Menschen viel gerechter werden. Man könnte sie letztlich, wenn es soweit ist, sinnvoller und passender begleiten.

DOMRADIO.DE: Wie beeinflusst der Pflegemangel Ihre Arbeit, in der es ja mehr um das Zwischenmenschliche in bestimmten Lebensabschnitten geht.

Bromkamp: Inzwischen haben wir auch in der Altenpflege einen relativ großen Zeitmangel durch den Personalmangel. Längst nicht alle Arbeitsplätze von Pflegerinnen und Pflegern sind wirklich mit adäquaten Personen besetzt. Das führt dazu, dass eine ganzheitliche Begleitung und Pflege häufig zu kurz kommt, weil die Zeit schlicht und ergreifend nicht da ist.

Ich will jetzt nicht alles auf Corona schieben, aber durch Corona ist das noch mal sehr deutlich geworden. Die Missstände in der Pflege, die ein vertrauensvolles und verantwortungsvolles Pflegen sowohl in Kliniken als auch in einem Pflegeheim schwer machen, sind immer wieder Thema. Es hat sich leider nichts Wesentliches verändert. Die Belastung auf Seite der Pflegenden wächst.

Dr. Peter Bromkamp, Altenheimseelsorge im Erzbistum Köln

"Die Seelsorgenden könne das System ja nicht ändern."

DOMRADIO.DE: Und somit auch die auf der Seite der Seelsorgenden?

Bromkamp: Richtig. Wobei Seelsorgende dann zumindest eine Begleitung anbieten können. Ein "Ich sehe dich und ich merke, wie es dir geht. Du darfst dir mal Luft machen und auch mal Luft holen".

Das ist eine große Chance der Seelsorger, denn wenn es um die Regeln und die Abläufe eines Systems in der Pflege geht, stehen sie ja quasi außen vor. Sie können dieses System auch nicht ändern. Sie können keinen anderen Zeittakt anbieten.

Für spirituelle Begleitung auch der Bewohnerinnen und Bewohner bleibt häufig zu wenig Zeit. Und ich glaube, es gibt immer noch viele Pflegende, die zumindest diese Bedürfnisse erkennen, aber darauf weniger reagieren können, als sie eigentlich möchten.

DOMRADIO.DE: Das heißt, es muss sich was an den Strukturen der Einrichtungen ändern?

Bromkamp: An den Strukturen in der Pflege. Es gibt Einrichtungen, die schaffen sich ein bisschen mehr an Spielräumen. Aber insgesamt ist einfach das Zeitbudget zu knapp für eine tatsächlich ganzheitliche Pflege, die auch diesen Namen verdient, zu der eben auch Seelsorge und spirituelle Bedürfnisse gehören.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Studie: Viele Krankenhauseinweisungen vor dem Sterben vermeidbar

Laut einer Studie der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) wäre mehr als jede dritte Krankenhauseinweisung von Pflegeheimbewohnern in den letzten zwölf Wochen vor dem Sterben "potenziell vermeidbar". Das geht aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Pflegereport 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. So seien etwa Herzinsuffizienz, Dehydration oder Harnwegsinfektionen auch im Pflegeheim behandelbar, sagte Antje Schwinger, Mitherausgeberin des Reports.

Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz (KNA)
Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR