DOMRADIO.DE: Haben Ihre Eltern Sie unterstützt, als Sie in jungen Jahren gesagt haben: Ich möchte Stuntfrau werden und von Wolkenkratzern springen?

Miriam Höller (Ex-Stuntfrau, Moderatorin, Speakerin, Model und ehemalige GNTM-Teilnehmerin): Ja, ich hatte sehr viel Glück, dass ich Eltern hatte, die mich immer unterstützt haben. Ich habe schon als kleines Mädchen vor meinen Eltern gestanden und gesagt, Mama, Papa, wenn ich mal groß bin, werde ich Actionheldin. Dann werde ich außergewöhnliche Kräfte haben und die Menschheit vor den Bösen beschützen. Meine Eltern haben mich ernst genommen. Als ich dann zum Moviepark nach Bottrop ging und meine Ausbildung zur Stuntfrau machte, haben sie mich auch dabei unterstützt. Das war ein sehr wichtiges Fundament, denn mit 15, 16 hat man gar nicht die Kraft, das alleine zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Sie waren eine der wenigen Stuntfrauen in Deutschland. Dann hat sich Ihr Leben um 180 Grad gedreht, durch einen schweren Unfall. Sprechen Sie viel darüber?
Höller: Ja, weil mir das geholfen hat zu heilen. Ich glaube, wir sprechen viel zu wenig miteinander. Je öfter ich diese Geschichte erzähle, desto leichter wird es, und deswegen erzähle ich das bis heute gerne. Und auch, weil in meiner Lebensgeschichte viel Mut und Inspiration für andere Menschen steckt, die gerade in schwierigen Zeiten sind.

Ich war zehn Jahre Stuntfrau und habe diese Passion wirklich gelebt, war stets sicher, hatte immer alles unter Kontrolle. Das war mein Job. Dann kam dieser Tag, an dem ich viele Fehler gemacht habe. Ich war nicht gut drauf. Ich war nicht bei der Sache, was schon sehr große Warnsignale sind, denn man macht einen Stunt nicht einfach mal so. Ich hing an dem Tag für ein Fotoshooting unter einem Helikopter und bin von da aus abgestürzt. Bei diesem Unfall habe ich mir beide Füße zertrümmert, also schwer verletzt, sodass ich erst einmal im Rollstuhl saß.
DOMRADIO.DE: Das war im Juli 2016, ein paar Wochen später gab es den nächsten Rückschlag. Ihr Lebensgefährte und Red Bull Air Race-Weltmeister Hannes Arch stürzte mit dem Helikopter ab und verunglückte. Wie schafft man es, danach wieder Boden zu fassen?

Höller: Ich saß zu dem Zeitpunkt im Rollstuhl, hatte die Reha gerade hinter mir und war langsam auf dem Weg, psychisch wieder stabil zu werden. Ich wusste nicht, ob ich im Rollstuhl bleibe und es stand zur Frage, ob ich je wieder als Stuntfrau arbeiten kann. Genau in diesem Moment brach die Säule, auf die ich mich gestützt habe, weg. Hinzu kam, dass mein Lebenspartner und ich noch nicht verheiratet waren. Das war ein großes Problem, weil wir uns finanziell nicht abgesichert hatten. Ich bin für ihn nach Österreich gezogen, wir haben ein altes Bauernhaus umgebaut. Ich hatte mein Geld in dieses Haus investiert. Innerhalb von sechs Wochen habe ich meine Gesundheit verloren, meine berufliche Grundlage, mein Lebenspartner ist gestorben, ich musste aus dem Haus ausziehen und mein Geld war weg. So bin ich dann gefühlt wieder zu Mama und Papa in mein altes Kinderzimmer gezogen. Ich wusste nicht, wo oben und unten ist. Wenn dir so viele Dinge in kürzester Zeit weggenommen werden, stellst du einfach das gesamte Leben in Frage. Das war für mich mit Sicherheit die größte Herausforderung meines Lebens - von der lebensbejahenden, kraftvollen Powerfrau zum emotionalen Wrack, ohne Ziele, Halt und Orientierung.
DOMRADIO.DE: Da braucht es etwas, das einen wieder in die Spur bringt. Hat Ihnen da der Glaube geholfen? Oder Rituale?
Höller: Erst einmal nicht, mir war alles zu viel. Natürlich gab es Menschen, die gesagt haben, Miriam, du brauchst Routine, dann stehst du jeden Morgen um 7 Uhr auf und machst fünf Liegestütze, denn deine Beine funktionieren noch nicht, aber dein Oberkörper schon. Du denkst einfach, Leute, seid ihr alle wahnsinnig?
Ich komme aus einer Unternehmerfamilie. Meine Eltern haben mir immer gesagt, Miriam, du musst nur fleißig genug arbeiten und ein guter Mensch sein, dann wird das Leben dich beschenken. So kam es aber nicht. Ich weiß nicht, warum das Leben das mit mir gemacht hat, aber es kommt irgendwann der Punkt, wo du monatelang im Bett liegst, nicht mehr willst, dich selbst bemitleidest - diese typischen Depressionen - und dann muss man eine Entscheidung treffen: Möchte ich mit 29 Jahren dieser Mensch bleiben, der das Haus nicht mehr verlässt? Oder sage ich, ich weiß nicht womit ich das verdient habe, aber es wird irgendwo in dieser Zerstörung ein Geschenk liegen? Ich mache mich jetzt, wie eine kleine Abenteurerin, auf den Weg und versuche die Schönheit des Lebens wiederzufinden.

DOMRADIO.DE: In dem Buch "Das Leben ist ungerecht und das ist gut so" verarbeiten Sie diese Erfahrungen. Wieso dieser Titel?
Höller: Weil ich die Ungerechtigkeit wirklich so empfunden habe. Der Untertitel "und das ist gut so" hebt die Aussage wieder auf. Wir Menschen werden immer wieder herausgefordert. Ob man Eltern wird, sich selbstständig macht. Ob es eine Krebsdiagnose ist oder der Tod eines geliebten Menschen. Hinzuschauen und zu sagen, welche Möglichkeiten und welche Chancen liegen in dieser Herausforderung? Und wie schaffe ich es, auf diese schmerzhaften Dinge zu schauen und zu sagen, ich habe jetzt Frieden damit geschlossen? Darum geht es.

Mein Buch ist acht Jahre später auf den Markt gekommen. Das zeigt, wie lange man braucht, um solche Ereignisse zu verarbeiten und daran zu wachsen. Hätte man mir ein Jahr nach dem, was mir passiert ist, dieses Buch in die Hand gedrückt mit dem Titel "Das Leben ist ungerecht und das ist gut so", hätte ich das Buch demjenigen rechts und links um die Ohren gehauen. Wenn man sich aber Lebensgeschichten von Menschen anschaut, die besonders erfolgreich geworden sind, liegen in deren Vergangenheit oft Schmerz und extreme Herausforderungen. Diese Menschen haben sich genau an dem Punkt entschlossen, nicht in der Opferrolle zu bleiben, sondern Verantwortung zu übernehmen. Etwas aus dem zu machen, was das Leben einem vor die Füße schmeißt.
DOMRADIO.DE: Was wollen Sie den Menschen da draußen mitgeben?

Höller: Ich sage immer: Tu genau das, wovor du vielleicht am meisten Angst hast. Lass dich positiv überraschen. Das kann was ganz Kleines sein, jemanden anzurufen oder zu einem gewissen Ort zu fahren, etwas Neues auszuprobieren. Es geht darum, nicht einfach nur der Mensch zu bleiben, der ich schon bin, sondern immer wieder auch zu entdecken, was gibt es Neues? Wie kann ich mich selber herausfordern, wieder ein Stück besser zu werden? Ich glaube, genau durch diese mutigen Entscheidungen formen wir uns immer weiter.
Das Interview führte Oliver Kelch.