Wie Pfarrer früher Impfungen befördert haben

"Evangelische Geistliche konnten besser werben als katholische"

​Impfen ist ein aktuelles, gleichwohl aber kein neues Thema. Hierzulande kam es erstmals im 18. Jahrhundert auf - zum Schutz vor Pocken. Geistliche spielten damals eine wichtige Rolle, um die neue Medizintechnik unters Volk zu bringen.

Symbolbild Impfen / © New Africa (shutterstock)

KNA: Frau Ruisinger, inwiefern haben Pfarrer einst das Impfen befördert?

Marion Ruisinger (Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt): Sie waren auf dem Land oft die einzigen Akademiker und als solche überwiegend an der damals aktuellen Aufklärung und an Innovationen interessiert. Sie fühlten den Kitzel der Wissenschaft und ließen in der Folge mancherorts Votivtafeln aus ihren Kirchen räumen, die sie für abergläubischen Tand hielten. Stattdessen propagierten sie neue Einsichten wie zum Beispiel die, dass der Anbau von Klee Felder mit Stickstoff anreichert. So haben sich die geistlichen Herren eben auch vielfach von der neuen Errungenschaft des Impfens begeistern lassen und diese Haltung an die Gläubigen vermittelt.

KNA: Wie?

Ruisinger: Indem sie etwa von der Kanzel dafür warben und Impftermine verkündeten. Das half sehr bei der Impfverbreitung. Denn Pfarrer waren Respektspersonen, ihre Stimme hatte großes Gewicht. Ab 1807 waren sie allerdings zumindest in Bayern auch von Amts wegen dazu verpflichtet, die staatlichen Impfbemühungen zu unterstützen.

KNA: Was geschah 1807?

Ruisinger: Damals trat in Bayern das weltweit erste Impfgesetz samt Impfzwang in Kraft. So wollte man den Pocken Einhalt gebieten. Wer sich dem Schutz verweigerte, musste Bußgeld zahlen - eine Zwangsimpfung wiederum gab es nicht. Pfarrer wurden verpflichtet, Kinder anhand ihrer Taufbuch-Daten zu melden und deren Impfstatus bei der Einschulung zu überprüfen.

KNA: Welche Haltung hatte die Kirche als Institution zur Impffreundlichkeit der Pfarrer?

Ruisinger: In der Pastoraltheologie gab es zumindest Diskussionen darüber, ob das Impfen wirklich ein Predigtthema sein sollte. Man sprach in diesem Zusammenhang von Nützlichkeitspredigten. Deren Gegner wollten die Predigt lieber dem ewigen Leben vorbehalten wissen und darin nichts vom weltlichen hören.

KNA: Gab es bei der Haltung zum Impfen konfessionelle Unterschiede unter den Gottesmännern?

Ruisinger: Evangelische Geistliche konnten besser für das Impfen werben als katholische. Sie hatten schließlich Kinder. Und indem sie diese impfen ließen, vermittelten sie der Bevölkerung deutlich, dass dieser Vorgang sinnvoll sei.

KNA: Heute machen Impfgegner Schlagzeilen. Existierten die auch vor 200 Jahren schon?

Ruisinger: Ja. Manche von ihnen führten für ihre Haltung religiöse Gründe an. Ihrer Meinung nach waren Krankheiten wie die Pocken Strafen Gottes. Gegen diese dürfe man sich doch nicht wehren, hieß es. Dieselbe Argumentation fand sich übrigens in Bezug auf die zur selben Zeit entwickelten Blitzableiter: Blitze kämen vom Himmel, ihre Folgen müsse man aushalten. Und dann gab es noch den Irrglauben, es könnten einem nach einer Impfung Kuhköpfe und -füße aus dem Körper wachsen.

KNA: Wie bitte?

Ruisinger: Diese Befürchtung kam auf, nachdem man erkannt hatte, dass man für eine Schutzimpfung statt der viel gefährlicheren Menschen- auch harmlosere Kuhpockenerreger nehmen kann. Daher der Begriff Vakzination, ein anderes Wort für Impfung: Er geht auf "vacca" zurück, die lateinische Bezeichnung der Kuh.

KNA: Zurück zur Kirche. Die hat im Verlauf der Impfgeschichte nicht immer eine derart rühmliche Rolle gespielt wie zu Beginn. So behaupteten in den 1990er Jahren katholische Kreise auf den Philippinen fälschlicherweise, dass das bei einer Tetanusimpfung verwendete Serum Fehl- und Frühgeburten auslösen und zur Unfruchtbarkeit führen könne. Sie wollten damit die staatliche Gesundheitspolitik diskreditieren, die sich damals die Geburtenplanung auf die Fahnen geschrieben hatte. Gibt es weitere Fälle solcher kirchlichen Impfinstrumentalisierung?

Ruisinger: Das ist mir nicht bekannt. Was nicht heißt, dass es sie nicht gegeben hätte.

Das Interview führte Christopher Beschnitt.


Marion Ruisinger / © Christopher Beschnitt (KNA)
Marion Ruisinger / © Christopher Beschnitt ( KNA )
Quelle:
KNA