Europas älteste Synagoge wird zum Museum mit einzigartigen Zeugnissen jüdischen Lebens

Hochzeitsring und hebräische Bibel

Das Mittelalter hat in Erfurt eine neue Adresse. Mit der Alten Synagoge wurde am Montag in einem der ältesten Gebäude der Thüringer Landeshauptstadt ein neues Museum eröffnet. Doch nicht nur das Gebäude, das erst nach 1990 wiederentdeckt wurde, ist einzigartig.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Ebenso beispiellos ist der "Erfurter Judenschatz", der dort auf Dauer zu sehen sein soll. Der sensationelle Fund von 1998 sorgte bereits bei Ausstellungen in Paris, New York und London für Aufsehen. Dabei war der fast 30 Kilogramm schwere Schatz mit über 3.100 Silbermünzen, 14 Silberbarren, Silberbestecken und mehr als 600 Goldschmiedearbeiten ein Zufallsfund in letzter Minute. Entdeckt wurde er bei archäologischen Vorarbeiten für einen Neubau in der Altstadt. Fachleute datierten ihn auf das späte 13. und das frühe 14. Jahrhundert.

In der Umgebung des Fundortes lebten bis zum Pest-Pogrom von 1349 überwiegend Mitglieder der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts. Deshalb liegt für Experten die Vermutung nahe, dass der Schatz einst aus Angst vor Vertreibung und Verfolgung vergraben wurde. Die gefundenen Schmuckstücke werden nun im Kellergewölbe der Alten Synagoge großzügig präsentiert. Dazu gehört auch ein kunstvoll gearbeiteter goldener Hochzeitsring, der mittlerweile zum Symbol für das Netzwerk "Jüdisches Leben Erfurt" wurde.

In diesem offenen Verbund von Institutionen und Initiativen sei die Alte Synagoge von zentraler Bedeutung, sagt die Leiterin der städtischen Einrichtung, Ines Beese. Das Schicksal des Gebäudes als Spiegelbild der wechselvollen jüdischen Stadtgeschichte dokumentiert das Museum im Erdgeschoss. Juden sind nach jüngsten Forschungen für Erfurt bereits im karolingischen 8. Jahrhundert nachgewiesen. Ältester schriftlicher Beleg dafür ist der im Obergeschoss gezeigte "Judeneid" von 1183. Damit mussten Juden einst bei einem Rechtsstreit mit Nichtjuden ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.

Größte bekannte hebräische Bibel
Zu den ausgestellten jüdischen Handschriften gehört ferner die größte bekannte hebräische Bibel, ein Zeugnis der herausragenden Stellung der damaligen jüdischen Gemeinde. Sie sei trotz wiederholter Pogrome im mittelalterlichen Erfurt bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Gemeinden im damaligen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gewesen, erläutert Beese.

Einzelheiten zu ihrer Geschichte rückten jedoch erst in den vergangenen Jahren wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. Ein wichtiger Anstoß dafür war neben dem Schatzfund zweifellos die Wiederentdeckung des historischen Bethauses. Ein Foto aus der Zeit vor der Entdeckung zeigt am später nachgewiesenen Standort lediglich abenteuerliche Anbauten. Besse verweist auf das sichtlich brüchige Gebälk eines Spitzgiebels - das Dach der Synagoge: "Doch die hat damals niemand dort vermutet."

Lange Lagerhaus
Erst der Marburger Bauforscher Elmar Altwasser hat das Gebäude
1992 zweifelsfrei als Ort des jüdischen Glaubens und Lebens identifiziert. Zu diesem Zeitpunkt gab es die Synagoge, deren Anfänge bis in die Zeit um das Jahr 1100 zurückreichen, schon seit fast 650 Jahren nicht mehr. Nach dem Pogrom von 1349 machte ein Erfurter Kaufmann das beschädigte Gebäude zum Lagerhaus. In den zwölf Meter hohen Raum mit Tonnengewölbe wurden Toreinfahrten, eine Zwischendecke und im Keller ein Kreuzgewölbe eingezogen.

Seit dem 19. Jahrhundert gehörten die Räume zu Gaststätten in der Nachbarschaft. Im bunt ausgemalten Obergeschoss mit umlaufender Galerie spielten Musiker zum Tanz. So bewahrte jahrhundertelange Zweckentfremdung die Synagoge letztlich vor der Zerstörung.

Anders als die am Stadtring gelegene Synagoge von 1884 überstand so das einstige Bethaus in der Altstadt das nationalsozialistische Pogrom von 1938. Es gilt heute als die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge in ganz Europa. Für 1,4 Millionen Euro ist sie in den vergangenen Jahren zu einem Museum und damit zu einem einzigartigen und sorgsam bewahrten Zeugnis jüdischen Lebens geworden.

Die Alte Synagoge in der Erfurter Waagegasse ist ab 27. Oktober täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.