EU-Entscheidung über Aufnahme verfolgter Christen vertagt - CDU begründet Schritt im domradio - Kirche und Menschenrechtler kritisieren

"Gleichgewicht der Religionen bewahren"

Einen gemeinsamen Appell der EU an ihre Mitgliedstaaten zur Aufnahme besonders bedrohter Flüchtlinge wird es vorerst nicht geben. Bis zu ihrer nächsten Sitzung Ende September wollen die EU-Innenminister stattdessen gemeinsam mit der irakischen Regierung prüfen, welche Form der Solidarität am angemessensten sei, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nach den Beratungen der Minister am Donnerstag in Brüssel. Kirchen und Menschenrechtler kritisieren die Entscheidung. NRW-Integrationsminister Armin Laschet begrüßt und begründet ihn im domradio-Interview.

 (DR)

Es sei "ja auch gut", dass Christen im Irak präsent seien, so Laschet. Deutschland und Europa seien in der Verantwortung, das "Gleichgewicht der Religionen" im Land zu bewahren. "Wenn man alle gut Ausgebildeten nach Europa holt, bringt das dem Irak Nachteile."  

Dass Deutschland sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak auf Christen konzentrieren werde, begründet der CDU-Politiker so: "Das ist keine Sonderregelung. 4.500 Asylbewerber aus dem Irak sind bereits im Lande. Aber die besondere Situation der Christen hat nun Wolfgang Schäuble dazu geführt, dies eigens zu thematisieren. Er hat das inzwischen erweitert auf religiöse Minderheiten: auf alle, die im Moment dort unter der besonderen Lage leiden."

Laschet befürwortet diesen Plan im domradio. In einer internationalen Arbeitsteilung könne man sich darauf verständigen, dass muslimische Länder in der Nachbarschaft des Iraks "verstärkt Muslime" aufnehmen. Europa und insbesondere Deutschland würden sich dabei auf die Christen konzentrieren. "Es geht bei dieser Aktion um eine humanitäre Aktion."

Bundesregierung kommt Bitte aus dem Irak nach
Schäuble hatte sich bei seinen Amtskollegen für die Vertagung eingesetzt. Er zog damit die Konsequenz aus den Gesprächen des irakischen Ministerpräsidenten Nuri el Maliki zu Wochenbeginn in Berlin. Der irakische Regierungschef habe dabei die geplanten Appelle zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge vor allem verfolgter religiöser Minderheiten als das falsche Signal bezeichnet.

Der irakische Innenminister habe ihm erklärt, innerhalb von zwei Monaten sollten im Irak substanzielle Verbesserungen geschaffen werden, damit Christen und andere verfolgte Minderheiten dort in allen Landesteilen leben könnten, sagte Schäuble. Der Innenminister erinnerte daran, dass auch christliche Bischöfe aus dem Irak vor einer völligen Abwanderung der Christen aus der Region gewarnt hätten. Es sei sinnvoll abzuwarten, ob sich die Hoffnungen der irakischen Politiker erfüllten und dann gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Lage zu prüfen.

«Deutschland nimmt weiter Flüchtlinge auf»
Schäuble sagte, unabhängig davon werde Deutschland daran festhalten, Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. Derzeit seien es 600 bis 700 pro Monat. Unter den EU-Staaten wachse das Verständnis dafür, dass für die besonders verfolgten Flüchtlinge etwas getan werden müsse.  Der CDU-Politiker räumte aber zugleich ein, dass man in der EU weit davon entfernt sei, etwa einen Verteilungsschlüssel für die Aufnahme irakischer Flüchtlinge festlegen zu können.

Ursprünglich hatte Schäuble mit Rückendeckung der Länderinnenminister im April eine gemeinsame Aktion der EU-Staaten für die Aufnahme christlicher Flüchtlinge aus dem Irak gefordert und für deren proportionale Verteilung in der EU plädiert. Ein letzter Entwurf der französischen EU-Präsidentschaft sah dagegen nur noch einen unverbindlichen Appell an die EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. Dieser Satz wurde angesichts der von Deutschland vorgetragenen irakischen Bedenken aus dem Beschluss gestrichen.

Nach EU-Angaben haben derzeit rund 4,7 Millionen Menschen im Irak ihre Heimat verloren; 2,7 Millionen davon als Binnenvertriebene und weitere 2 Millionen als Flüchtlinge, vor allem in den Nachbarländern Jordanien und Syrien. In der EU nimmt vor allem Schweden Flüchtlinge aus dem Irak auf, 18.600 im vergangenen Jahr. Deutschland beschied 5.760 Asylanträge von Irakern positiv. Die EU-Bischofskommission COMECE hatte bereits im vergangenen Jahr die EU aufgerufen, 60.000 besonders bedrohte Flüchtlinge aufzunehmen.

Kritik von Kirche und amnesty
amnesty international (ai) hat das Vorgehen der Bundesregierung scharf kritisiert. Die Irak-Expertin der Menschenrechtsorganisation, Ruth Jüttner, nannte die Vertagung einer EU-Entscheidung am Donnerstag in Berlin "falsch und gefährlich".

Auch die katholische Kirche in Deutschland hat zu einer unverzüglichen Regelung zur Aufnahme verfolgter Iraker aufgerufen.  Es sei außerordentlich bedauerlich, dass die EU sich offensichtlich nicht darauf verständigen könne, den irakischen Flüchtlingen zu helfen, sagte der Leiter des Katholischen Büros bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Viele geflohene Iraker seien heute in großer Not und bräuchten Unterstützung.

Die Kirche, so Jüsten, fordere aus humanitären Gründen die verantwortlichen Politiker auf, jenen, die aus religiösen, ethnischen oder anderen humanitären Gründen verfolgt seien, unverzüglich einen rechtlich abgesicherten Aufenthaltsstatus in der EU zu ermöglichen. Die Sicherheitszusage des irakischen Ministerpräsidenten Nurial-Maliki, die die deutsche Wirtschaft zu einem Engagement im Irak bewegen solle, bedürfe erst noch eines Beweises. Dagegen dauere die Bedrohung und Verfolgung gerade der nichtmuslimischen religiösen Minderheiten an. Nach wie vor seien viele Menschen ihres Lebens nicht sicher, wie jüngste Todesfälle im Irak zeigten.