kfd wertet Parteiprogramme nach Geschlechtergerechtigkeit aus

"Es gibt sehr krasse Gegensätze"

Geschlechtergerechtigkeit ist in Kirche und Gesellschaft ein wichtiges Thema. Die kfd hat nun die Wahlprogramme der Parteien genauer unter die Lupe genommen und auf ihr gleichstellungspolitisches Potenzial geprüft. Das Ergebnis?

kfd wertet Parteiprogramme nach Geschlechtergerechtigkeit aus / © nito (shutterstock)
kfd wertet Parteiprogramme nach Geschlechtergerechtigkeit aus / © nito ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie leiten an diesem Mittwoch das Seminar "Frauen, ihr habt die Wahl". Wollen Sie damit eine Art Entscheidungshilfe vor der Bundestagswahl im Herbst geben?

Anja Weiß (Referentin für Gesellschaftspolitik der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands / kfd): Jein. Wir möchten die Teilnehmerinnen dazu befähigen, sich mit den Themen individuell auseinanderzusetzen. Das Seminar soll den Wahlomat nicht ersetzen, sondern die Frauen sollen sich mit den Themen selbst auseinandersetzen und fragen: Was sind überhaupt meine Anforderungen an beispielsweise Vereinbarkeit oder professionelle Sorgearbeit, um daraufhin dann zu schauen: Wie sind denn die Positionen der einzelnen Parteien dazu? Und am Ende: Wem fühle ich mich eher zugeneigt? 

DOMRADIO.DE: Sie haben ja schon einiges an Vorarbeit geleistet. Sie haben nämlich die Parteiprogramme auf das gleichstellungspolitische Potenzial überprüft. Wie genau sind Sie vorgegangen? 

Weiß: Wir haben uns sieben Themenfelder der Gleichstellungspolitik ausgesucht. Das eine ist das klassische: Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Sorge und Ehrenamt. Dann das große Thema Gleichstellung in der Erwerbsarbeit. Außerdem professionelle Sorgearbeit, Rente, Nachhaltigkeitshemen, das breite Spektrum Frauengesundheit und Diversität, also Vielfalt der Lebensverhältnisse, Migration und Integration. 

DOMRADIO.DE: Was haben Sie herausbekommen? Gibt es da Tendenzen? 

Weiß: Es gibt unterschiedliche Tendenzen, insbesondere was die Herangehensweise angeht. Wenn wir uns beispielsweise die professionellen Sorgeberufen anschauen, wo es natürlich für uns als Frauenverband, der seit vielen Jahren dafür kämpft, sehr erfreulich ist, dass dieses Thema auch sehr zentral in die Wahlprogramme Eingang gefunden hat.

Da gibt es Parteien, die noch mehr auf Digitalisierung pochen, dass also vieles ins Digitale umgemünzt wird. Dann gibt es andere Parteien, die sehr stark auf die Aufwertung von Sorgeberufen schauen - also finanzielle Aufwertung und Verdichtung der Personalstärke. Eine weitere Partei ist für die Auflösung der Personaluntergrenzen. Also da gibt es sehr krasse Gegensätze. Bei der Gleichstellung in der Erwerbsarbeit gibt es Parteien, die für die Aufwertung der typischen SAGE-Berufe (Anm. d. Red.: Berufe in der Sozialen Arbeit, Gesundheit und Pflege, Erziehung und Bildung) sind. Andere Parteien pochen darauf, Frauen mehr in die MINT-Berufe (Anm. der Red.: Berufe in den Bereichen Mathematik, Indormatik, Naturwissenschaft und Technik) zu bekommen.

DOMRADIO.DE: Sie wollen beim Seminar auch zurückblicken, nämlich auf gleichstellungspolitische Meilensteine und Versäumnisse der aktuellen Bundesregierung. Was sind da die wichtigsten? 

Weiß: Einer der wichtigsten Meilensteine ist tatsächlich im Bereich professionelle Sorgearbeit und haushaltsnahe Dienstleistungen das im Koalitionsvertrag stehende Gutscheinmodell, um haushaltsnahe Dienstleistungen aus der Illegalität herauszuholen. Meilensteine sind auch das Recht auf Rückkehr nach Teilzeit, der Ausbau von Kita-Plätzen, eine Gründung der Ehrenamts- und natürlich auch der Gleichstellungs-Stiftung oder die Einführung eines Mindestlohns für Pflege.

Versäumnisse sind aber im Gegensatz dazu auch ganz besonders der flächendeckende Tarifvertrag für Beschäftigte in den SAGE-Berufen, keine Ausweitung des Entgeld-Transparenz-Gesetzes, eine unzureichende Ausweitung der Frauenquote, Fortbestand von Minijobs und Arbeitslosigkeit von Frauen, insbesondere jetzt natürlich auch in der Corona-Pandemie. Die ersten Jobs, die weggebrochen sind, sind eben die 450-Euro-Stellen, die sehr vielen Familien und sehr vielen Frauen eine Lebensgrundlage geboten haben. 

DOMRADIO.DE: Soll Ihr Seminar jetzt auch helfen, an der Basis besser mit politischen Themen umzugehen und sich die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen zu lassen? 

Weiß: Genau. Das Ziel ist es tatsächlich auch, dass mit unseren Materialien an der Basis gearbeitet werden kann und sich die Frauen vor Ort eine eigene Meinung bilden können, um selbstbewusst und selbstbestimmt in die Bundestagswahl zu gehen und ihre Stimme abzugeben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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