Neuer Familienbund-Präsident über Reformen in Familienpolitik

"Erziehungszeiten besser bewerten"

Der neue Präsident des Familienbundes der Katholiken, Ulrich Hoffmann, vermisst durchgreifende Reformen in der Familienpolitik. Die erfolgten Änderungen seien lediglich ein "Drehen an Stellschrauben", sagte Hoffmann im Interview.

Mutter mit Kind / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Mutter mit Kind / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

KNA: Jährlich gibt die Politik zig Millionen Euro für die Unterstützung von Familien aus. Jetzt plant die Regierung unter anderem die Reform des Kinderzuschlags. Ist das ein richtiger Schritt?

Ulrich Hoffmann (Präsident des Familienbundes der Katholiken): Die derzeit geplanten Reformen bedeuten lediglich ein Drehen an Stellschrauben. Mir fehlt die langfristige Perspektive. Statt in einem System mal dies und mal das zu verbessern, sollte die Politik andere Schritte gehen. Dazu gehört für mich, dass Erziehungs- und Pflegezeiten grundsätzlich anders bewerten werden sollten.

KNA: Heißt das umgekehrt auch, dass Kinderlose mehr Abgaben leisten sollten, wie es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert?

Hoffmann: Derzeit sind Eltern doppelt belastet. Sie zahlen in die Sozialversicherungskassen und leisten außerdem die Erziehungsarbeit für ihre Kinder. Das ist nicht gerecht. Die Finanzierung der Sozialsysteme hat ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem. Wer leistungsfähiger ist, weil er in seiner augenblicklichen Lebenssituation keine Kinder zu erziehen und zu finanzieren hat, kann auch mehr zahlen.

Ein guter Schritt in Richtung eines gerechteren Systems wären etwa Kinderfreibeträge in der Sozialversicherung - ähnlich wie im Steuerrecht. Dann wäre deutlich, worum es geht: Nicht um eine zusätzliche Belastung Kinderloser, sondern um eine Entlastung von Familien entsprechend der Kinderzahl.

KNA: Sollte die Politik denn bedürftigen Familien mehr Geld in die Hand geben oder sollten sie stärker von Sachleistungen wie etwa dem Bildungs- und Teilhabepaket profitieren?

Hoffmann: Die Eltern wissen am besten, was für ihre Kinder gut ist. Das hat jetzt auch eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung noch einmal gezeigt. Deswegen ist der Familienbund dafür, höhere Zahlungen direkt an die Eltern weiterzugeben. Das schließt natürlich nicht aus, dass es dann Familien gibt, bei denen die Kinder nicht davon profitieren. Aber das sind Ausnahmen. Solche Fälle in Kauf zu nehmen, ist allemal besser, als große Teile der Gelder in einer komplexen Bürokratie versickern zu lassen.

KNA: Die Grünen, aber auch die SPD haben die Debatte über eine Reform der Hartz-IV-Regelungen neu entfacht. Was halten Sie davon?

Hoffmann: Die Hartz-IV-Reformen waren in der damaligen Zeit ein richtiger Schritt. In der derzeitigen guten wirtschaftlichen Situation brauchen wir aber einen Richtungswechsel, denn Teile unserer Gesellschaft profitieren nicht oder zu wenig von der Prosperität. Auch hier muss wieder der Ansatz gelten, Menschen etwas zuzutrauen.

Den Vorschlag einer Grundsicherung, den nun der Grünen-Chef Robert Habeck eingebracht hat, finde ich vernünftig. Menschen wollen grundsätzlich tätig sein, das gilt auch für den Bereich des Ehrenamtes. Für mich wäre das eine sinnvolle Investition auch mit Blick auf den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Debatte sollte aber mit möglichst wenig Schaum vor dem Mund geführt werden.

KNA: In Zeiten von Social Media scheint gerade das Führen fairer und sachlicher Debatten schwieriger geworden zu sein...

Hoffmann: Ja und rechtspopulistische Stimmen, die Hass in die Gesellschaft tragen, scheinen eher lauter als leiser zu werden. Auch zivilgesellschaftliche Kräfte müssen da gegensteuern und versuchen, die Debattenkultur zu verbessern. Da sind auch die Kirchen gefordert.

Diese Kräfte und natürlich die demokratischen Parteien müssen zeigen, dass wir eine Mitmachgesellschaft sind, die auch die Sorgen ihrer Bürger ernst nimmt. Ich würde mir in diesem Zusammenhang wünschen, dass die kirchliche Jugendarbeit wieder stärker würde. Viele Politiker haben ja dort mal angefangen und sich dort im Debattieren geübt.

KNA: Ein anderes Vorhaben der großen Koalition ist es, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Was halten Sie davon?

Hoffmann: Ich finde, eine Verankerung der Kinderrechte überflüssig. Wir haben doch ein Grundgesetz, dass die Menschenrechte ganz nach vorne stellt und die Kinder mit einschließt. Bei einer zusätzlichen Verankerung sehe ich sogar die Gefahr, dass staatliche Eingriffsrechte in Familien gestärkt werden. Das hielte ich für keine gute Entwicklung.

KNA: Die Kirche hat selbst massiv gegen Kinderrechte verstoßen, Geistliche und andere Mitarbeiter haben Kinder missbraucht und vielfach wurden Taten vertuscht. Wie stehen Sie zum Stand der Aufarbeitung?

Hoffmann: Ich bin als Theologe im Bistum Augsburg tätig. Das, was dort passiert ist, erfüllt mich mit tiefer Scham. Ich möchte nicht bei einem Arbeitgeber arbeiten, bei dem Missbrauch geschieht und Taten vertuscht werden.

Auch vor diesem Hintergrund habe ich ein großes Interesse daran, dass alles, was vorgekommen ist, rückhaltlos aufgeklärt wird, dass Täter nicht gedeckt werden, sondern ihre gerechte Strafe erhalten und dass die Kirche in diesem Bereich maximale Transparenz pflegt und dass sie Betroffene bei der Aufarbeitung stärker einbezieht. Zugleich bin ich skeptisch gegenüber zu einfachen Erklärungen: Um es kurz zu sagen: Die Kirche ist das Thema nicht los, wenn sie den Zölibat abschafft.

Das Interview führte Birgit Wilke.


Ulrich Hoffmann / © Werner Schüring (KNA)
Ulrich Hoffmann / © Werner Schüring ( KNA )
Quelle:
KNA
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