Dass es im Erzbistum Köln eine lebhafte Edith Stein-Verehrung gibt, verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass die ehemalige Jüdin und spätere Kölner Karmelitin 1987 von Papst Johannes Paul II. zunächst selig und elf Jahre später dann auch heilig gesprochen wurde. Die "Erhebung zur Ehre der Altäre", wie die sogenannte Beatifikation im kirchlichen Vokabular heißt, erfolgte damals in Köln, die Kanonisation in Rom. Die Konvertitin, die sich 1922 taufen ließ und 1933 als Postulantin in den Kölner Karmel eintrat, lebte schon früh die Ausnahmeform weiblicher Existenz – auch das machte ihre Besonderheit aus: intellektuelle Selbständigkeit als Beruf.
Für den Kölner Metallbildhauer und Kunstschmied Paul Nagel wurde die Auseinandersetzung mit der in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Biografie Edith Steins, die bei ihrem Eintritt ins Kloster den Namen Schwester Teresia Benedicta a cruce annimmt und 1942 in den Gaskammern von Auschwitz umkommt, in gewisser Weise zum Lebensthema. Denn gleich an mehreren Orten hat der Künstler ihr – nach eingehender Beschäftigung mit ihren philosophischen Schriften – ein Denkmal gesetzt.
So auch in Bensberg. Mit der Edith Stein-Kapelle im Kardinal Schulte-Haus hoch über der Stadt hinterlässt der 2016 verstorbene Künstler eine Art Gesamtkunstwerk zum Leben und Wirken dieser großen Ordensheiligen, wie es auch später noch einmal in ähnlicher Weise in der Würzburger Karmelitenkirche und in der Taufkirche Edith Steins in Bad Bergzabern aus seiner Hand entsteht. In allen drei Kirchenräumen arbeitet er viele Jahre an einer berührenden Veranschaulichung der Lebensgeschichte Edith Steins, ihrer Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen und ihres beispiellosen Glaubenszeugnisses.
Künstlerischem Konzept liegt Hauptschrift Edith Steins zugrunde
In Bensberg, wo Paul Nagel mit der Ausgestaltung der Kapelle Mitte der 1980er Jahre im Auftrag von Erzbischof Joseph Kardinal Höffner begonnen hat, legt er seinem künstlerischen Konzept die Hauptschrift Edith Steins zugrunde: "Endliches und ewiges Sein". Der untere Teil des Kapellenraumes vergegenwärtigt die menschliche Endlichkeit. Er ist ganz auf den Tod Edith Steins im Konzentrationslager hin konzipiert und empfindet die Wirklichkeit dieses Lagers nach: durch die Gestaltung der Mauern, die Farbe von geronnenem Blut in den Fenstern, das dunkle Olivgrün und die Stacheldraht-Bindungen der Bänke, das vergitterte Fensterchen zur Sakristei. Die Kuppel hingegen zeigt und symbolisiert das Ziel allen Lebens und Sterbens – erst recht des Martyriums: den Himmel.
Aber noch vor dem Eintritt ins Kapelleninnere berichtet eine Bildergeschichte auf dem Triptychon des kleinen Vorraums von den wichtigsten Lebensstationen der 1891 in Breslau geborenen Heiligen: Die kleinteiligen Gemälde skizzieren sie als Krankenschwester im Seuchenlazarett, bei Gebet und Studium, als Lehrerin am Mädchenlyzeum in Speyer, mit Gefährtinnen in Auschwitz, während der Aufzeichnung ihres letzten Buches "Kreuzeswissenschaft", mit ihrer alten Mutter in der Breslauer Synagoge und schließlich kurz vor ihrer Entscheidung, in den Karmel einzutreten, wo sie ihr Noviziat absolviert, ihre Gelübde ablegt und von wo aus sie von ihrem Orden aus Gründen ihrer persönlichen Sicherheit am Silvestertag 1938 nach Echt in Holland gebracht wird. Christus als Schmerzensmann im Zentrum des Bildes wie auch als Mittelpunkt im Leben Edith Steins wird hier eine bewusst gewollte Doppelfunktion zuteil. Schließt man die Flügel dieses Klappbildes, liest man einen Ausschnitt aus einem Brief Edith Steins von 1930, in dem sie – mit Bezug auf ihren Philosophie-Lehrer Edmund Husserl in Freiburg – den eigenen Opfertod (holocaustum) vorausahnt.
Prägende Worte von Heiligen ins Portal eingearbeitet
Ins Portal, das den Sakral- vom Vorraum abgrenzt, sind die vier Heiligen eingearbeitet, die eng mit der Vita und Philosophie Edith Steins in Zusammenhang stehen: Teresia von Avila, Johannes vom Kreuz, Benedikt von Nursia und Thomas von Aquin. Gleichzeitig stehen auf den Türflügeln prägende Worte, darunter das berühmte Gebet Teresias "Nada te turbe" über ihre Leidenschaft für Gott oder als lateinischer Schriftzug Benedikts Wort von Gebet und Arbeit im Kloster.
Die Deckenmalerei in der Laterne greift thematisch den erlösenden Christus auf, der den gefesselten Menschen von seinen Qualen befreit und mit dem Kreuz die Macht des Bösen zerstört. Dort liest man auf Griechisch und Latein aus dem Buch Sirach: "Der Herr, der in Ewigkeit lebt, hat alles insgesamt geschaffen, der Herr allein erweist sich als gerecht. Man kann nichts wegnehmen und nichts hinzutun; unmöglich ist es, die Wunder des Herrn zu ergründen". Auch das Alpha und Omega, das Lamm sowie die sieben Leuchter – Themen aus dem Alten Testament und der Offenbarung des Johannes – sind deutlich erkennbar und vervollständigen das von Nagel entworfene Gesamtkonzept, das von einer reichen Symbolsprache lebt. In farblicher Harmonie und Entsprechung zur Kuppelmalerei ist der mit einem steinernen Blattrelief umrankte Altarblock aus rotem Travertin errichtet.
Den Blickfang bildet an der Stirnwand dieses oktogonen Raums hinter dem Altar ein in ähnlicher Rottönung gehaltenes Retabel. Ein großer, eher stehend wirkender Christus scheint die Szene zu teilen: Während auf der rechten Seite Mörder gezeigt werden, die mit Stock und Stein zwei Ordensfrauen töten – sehr wahrscheinlich sind damit Edith Stein und ihre Schwester Rosa gemeint, die ebenfalls in den Karmel und in den Tod in Auschwitz ging – könnte die am linken Bildrand klagende Frau die Kirche darstellen, die um die Toten weint und sich um die Opfer kümmert.
Paul Nagel verstand seine Kunst als Dienst
Der in den unterschiedlichsten Disziplinen versierte Künstler gestaltete neben den Haupteinrichtungsstücken Kreuzigungsgruppe, Altar, Tabernakel und Ambo aber auch den schwebenden Lichterkranz der als Zentralbau konzipierten Kapelle, die Fenster und den Orgelprospekt der Klais-Orgel. Paul Nagel war ein tiefreligiöser Mensch und verstand seine Kunst als Dienst. Das hat er immer wieder selbst zu verstehen gegeben. Dabei kam sein künstlerisches Schaffen in sehr unterschiedlichen Auftragswerken zum Ausdruck: in Skulpturen aus Stein, Bronze oder Holz genauso wie in Altarretabeln oder großen Wand- und Deckengemälden.
Er plante immer wieder die gesamte Innenarchitektur von Kirchen, inklusive Fußbodenbeläge. Er wählte geeignete Beleuchtungsmittel sowie Bänke und entwarf ganze Altarräume. Sein größtes Schmiedewerk ist der fast 60 Meter lange und bis zu 3,80 Meter hohe Eisengitterzaun vor der südlichen Querfassade des Kölner Domes, der die Kathedrale vor Vandalismus schützen soll. Und sein berühmtester Export ist zweifelsohne das Kuppelkreuz auf der Grabeskirche in Jerusalem, während seine imposanteste Skulptur aus Carrara-Marmor wiederum Edith Stein gewidmet ist: Sie steht seit 2006 in einer Nische der Außenwand des Petersdoms in Rom und gilt als Schenkung Kardinal Meisners an den damaligen Papst Benedikt XVI.
Weg Edith Steins detailreich verlebendigt
Paul Nagel hat sich jahrzehntelang immer wieder mit dem Leben von Edith Stein beschäftigt. Nur weil er sich ihr über die Lektüre ihrer Literatur so intensiv näherte, konnte er ihren Weg bis zu ihrem grausamen Tod im Konzentrationslager auch so authentisch nachzeichnen und für die Nachwelt detailreich verlebendigen. So ergibt das gesamte Interieur der Bensberger Edith Stein-Kapelle letztlich das vollständige Bild eines ganz außergewöhnlichen Lebensentwurfes: Zunächst widmete sich die ambitionierte Studentin den Fächern Germanistik, Geschichte und Psychologie an der Universität Breslau. Später erweiterte sie ihre Wahl in Göttingen um die Fakultät der Philosophie, in der sie dann 1916 bei Edmund Husserl in Freiburg promovierte und seine wissenschaftliche Assistentin wurde. Nur der Wunsch, sich schließlich auch zu habilitieren, wurde gleich mehrfach abgewiesen und setzte einem weiteren akademischen Streben ein Ende.
"Dieser Philosophin, Ordensfrau und Märtyrerin, deren Leben mit Köln eng verbunden war, schuf die Erzdiözese Köln gleichsam eine Grabeskirche, da ja kein Platz der Welt ihre in den Wind verwehten Gebeine bergen kann." Das schrieb einst in den 1990er Jahren der langjährige Rector ecclesiae der Bensberger Kapelle, Prälat Gottfried Weber. Und: "Das, was das Herz trägt und noch im KZ auf Gott ausrichtet, erweist sich als das Wesentliche und Bleibende." Während Paul Nagel einmal über die Heilige ohne Grab gesagt hat: "Physisch wurde Edith Stein vernichtet, doch sie ist lebendig in der Wirklichkeit." Edith Stein lebe in Christus. "Denn Gott lässt seine Geschöpfe nicht im Stich."