Erzbischof von Tripoli fürchtet Eskalation im Nahost-Krieg

"Wir wollen kein weiteres Gaza"

Seit Monaten droht der Krieg im Nahen Osten zu eskalieren. Obwohl viele noch auf eine diplomatische Lösung hoffen, droht eine Ausweitung der Kämpfe auch auf den Libanon. Der Erzbischof von Tripoli, Joseph Soueif, ist besorgt.

Joseph Antoine Soueif, maronitischer Erzbischof von Tripolis / © Johannes Senk (KNA)
Joseph Antoine Soueif, maronitischer Erzbischof von Tripolis / © Johannes Senk ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Anzeichen für eine Ausweitung des Gaza-Krieges auf den Libanon verdichten sich im Moment. Wie ist die Lage bei Ihnen im Land? Wie groß ist die Angst der Christen vor einem neuen Krieg im Libanon?

Erzbischof Joseph Soueif (Maronitischer Erzbischof von Tripoli): Die Frage betrifft nicht nur die Christen, sondern alle Religionen und unser gesamtes Land. Sie haben den Begriff Angst verwendet, das trifft es ganz gut. Unser ganzes Land hat Angst, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit. Niemand will diesen Krieg.

Wenn man unser Land kennt, weiß man, dass wir uns seit fast 50 Jahren immer wieder mit Krieg und Kämpfen auseinandersetzen müssen. Der Libanesische Bürgerkrieg brach 1975 aus. Gerade im letzten Jahrzehnt sind immer neue Konflikte aufgebrochen. Das libanesische Volk hat darauf immer wieder mit einem deutlichen "Nein" geantwortet. Wir wollen keinen Krieg. Wir haben genug Kriege erlebt und wissen, was das bedeutet.

An einem Krieg gewinnt niemand. Auch die psychische und ökonomische Belastung für alle Beteiligten ist enorm. In einem Krieg sind alle Verlierer. Unsere christlichen Gemeinschaften wollen den Libanon in Frieden und Wohlstand sehen. Viele Menschen haben unser Land aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

Bischof Joseph Soueif

"In einem Krieg sind alle Verlierer."

Mit großer Sorge blicken wir im Moment auf den Süden des Landes und die Grenze zu Israel. Das ist kein lokaler Konflikt, er betrifft die ganze Region und hat auch darüber hinaus internationale Auswirkungen. Europa und die internationale Gemeinschaft müssen unsere Situation verstehen. Krieg und Zerstörung können wir von keiner Seite aus gutheißen.

Wie gesagt, alle Seiten werden zum Verlierer. Im Moment können wir nur für Frieden beten und darauf hoffen, dass die Kriegsparteien ein Einsehen haben. Aber das liegt nicht in unserer Hand.

Libanon, Aita al-Shaab: Eine Frau trägt einen Rahmen mit einem Porträt des Hisbollah-Führers Sayyid Hassan Nasrallah, während sie an zerstörten Häusern vorbei geht, die von israelischen Luftangriffen getroffen wurden. / © Mohammad Zaatari (dpa)
Libanon, Aita al-Shaab: Eine Frau trägt einen Rahmen mit einem Porträt des Hisbollah-Führers Sayyid Hassan Nasrallah, während sie an zerstörten Häusern vorbei geht, die von israelischen Luftangriffen getroffen wurden. / © Mohammad Zaatari ( dpa )

DOMRADIO.DE: Im Süden des Landes gibt es bereits seit Monaten immer wieder Kampfhandlungen. Sind davon auch Ihre christlichen Gemeinden betroffen?

Soueif: Nach dem, was ich von den Priestern und Bischöfen höre, gibt es einige Ortschaften, die durch die Kampfhandlungen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Klar lässt sich das nicht definieren, weil der komplette Süden militärisch abgeriegelt ist.

Nach dem, was wir mitbekommen, sind aber viele Dörfer und auch christliche Gemeinden betroffen. Vor allem betrifft das die Felder und die Landwirtschaft. Es gibt viele Olivenplantagen in dieser Region. Wir wollen kein weiteres Gaza, aber im Moment können wir eben nur hoffen und beten. 

DOMRADIO.DE: Bereiten Sie sich denn schon auf einen möglichen Kriegsausbruch vor? 

Soueif: Es klingt zwar traurig, aber man könnte sagen, dass die Libanesen immer auf einen Krieg vorbereitet sind, alleine durch unsere Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Seit langem schon werden Gemeinschaften innerhalb des Landes umgesiedelt, um den Gefahrenzonen zu entrinnen.

Wir sind da, um zu helfen. Unsere Häuser, Kirchen und Klöster sind alles Teil einer Gastfreundschaft und Willkommenskultur, die wir uns in diesen Jahren als Volk angeeignet haben, um die Menschen zu unterstützen, die von Krieg betroffen sind. Das läuft auch komplett unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit. Ich hoffe natürlich, dass es diesmal nicht so weit kommen muss.

Erzbischof Joseph Soueif

"Ohne Gerechtigkeit kann es keinen stabilen Frieden geben."

DOMRADIO.DE: Das Miteinander der Religionen spielt im Libanon seit vielen Jahren eine große Rolle. Setzen Sie sich auch gemeinsam für den Frieden ein?

Soueif: Wir beten gemeinsam. Da gibt es viele Initiativen. Vor einigen Tagen war Kardinal Parolin auf Pastoralreise bei uns. Er hat Politiker, aber auch Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten getroffen. Es gab auch ein Treffen im Patriachat, wo wir als Kirche ein öffentliches Friedensgebet veranstaltet haben. Letzten Sonntag war das. Alle Gemeinden im Land haben sich daran beteiligt und für einen Waffenstillstand gebetet.

Wir beten für Frieden, Versöhnung, aber auch für Gerechtigkeit. Ohne Gerechtigkeit kann es keinen stabilen Frieden geben. Hier können wir als Religionen versuchen ein Zeichen der Verständigung zu setzen und auch an die verschiedenen internationalen Kräfte appellieren. Ob es nun Gaza, Israel, Libanon ist, oder der Rest der Welt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Maroniten

Die Maroniten sind die größte christliche Gemeinschaft im Libanon. Ihren Namen leiten sie von dem Einsiedler Maron ab, der beim nordsyrischen Apameia lebte und laut Überlieferung 410 starb. Zwischen dem Kloster Mar Maron und der byzantinischen Reichskirche gab es im 7. Jahrhundert dogmatische Spannungen. Zum Bruch mit Konstantinopel kam es 745 im Streit um die Einsetzung eines Patriarchen von Antiochien. Zu dieser Zeit hatten die Maroniten bereits einen eigenen Patriarchen gewählt. Die Tradition nennt ihn Johannes Maron.

Symbolbild: Ein Holzkreuz / © enterlinedesign (shutterstock)
Symbolbild: Ein Holzkreuz / © enterlinedesign ( shutterstock )

 

Quelle:
DR