Erzbischof Marx fährt zum Weltwirtschaftsforum

Den Machern auf die Finger schauen

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx nimmt ab heute am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Er sei eingeladen worden und sehr an den Gesprächen interessiert, hieß es am Dienstag in München. Marx werde sich mit eigenen Beiträgen zu Wort melden. Dabei gehe es unter anderem um die Frage, wie das Vertrauen in die Wirtschaft wiederhergestellt und die ethischen Grundlagen des Kapitalismus neu belebt werden könnten.

 (DR)

Marx will beim Weltwirtschaftsforum für eine globale Wettbewerbsordnung werben. Man sollte etwa über ein Weltkartellamt nachdenken, sagte Marx der «Süddeutschen Zeitung» (Mittwoch). «Es gibt doch inzwischen auch einen internationalen Strafgerichtshof.» Diese Institution sei ebenfalls lange undenkbar gewesen. «Es muss Regeln geben, die durchgesetzt werden können», betonte Marx. Auch die Welthandelsorganisation (WTO) könnte dabei helfen, bestimmte unannehmbare Dinge wie Kinderarbeit abzustellen.

«Menschenrechtsfragen sollten in den WTO-Prozess einfließen», erklärte der Erzbischof. Außerdem sei eine Ethikdebatte darüber vonnöten, «welche Güter der Verbraucher nicht akzeptieren sollte». Beim Ringen um eine neue Weltwirtschaftsordnung sieht Marx Europa und die USA in der Pflicht. Diese Chance zur Einflussnahme werde es vielleicht in 30 Jahren nicht mehr geben. «Wir müssen die Amerikaner erinnern, dass wir eine gemeinsame Zivilisation haben», sagte er.

Warnung vor einer Art G 2
Besorgt zeigte sich der Erzbischof darüber, dass aus der Gruppe der 20 größten Industrieländer G 20 inzwischen «eine Art G 2 wird, in der nur noch Amerika und China die Weltordnung ausmachen». Dies wäre für die Welt nicht gut, wie die Klimakonferenz in Kopenhagen gezeigt habe. Vom Zusammentreffen vieler Entscheidungsträger in Davos erhofft sich Marx nach eigenen Worten, «dass der Schwung stärker wird, aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zu lernen». Bisher sei davon nicht viel zu spüren.

Er vermisse «eine Umkehr, in der Wissenschaft wie in den Chefetagen». Die Vertreter der Wirtschaft sollten bescheidener werden und einräumen, Fehler gemacht zu haben. Die Krise als Betriebsunfall abzutun, sei «viel zu schwach». Das Hauptproblem der Krise sei «die Kurzfristigkeit des Denkens», analysierte der Erzbischof. «Es geht um den schnellen Gewinn.» Damit könne man aber keine Wirtschaft aufbauen. Diesen Gedanken wolle er in Davos einbringen. Er wolle «nicht eine Art folkloristischer Dekoration sein, sondern zeigen, dass es vernünftig ist, was wir sagen und dass es der Wirtschaft dient».

Der Markt sei «kein moralfreier Raum», betonte der frühere Professor für christliche Sozialwissenschaft. Es reiche nicht aus, nur den Gesetzen zu entsprechen. Nur moralisches Handeln bringe langfristig ökonomischen Erfolg. «Also nicht: Catch the money and run away - das sollten die Verantwortlichen kapieren.»

Weitere Kirchen-Repräsentanten in Davos
Außer Marx werden weitere 15 Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften zu dem Treffen fahren, darunter Anglikaner-Primas Erzbischof Rowan Williams, der die Abschluss-Sitzung leitet. Insgesamt erwarten die Veranstalter 2.500 Persönlichkeiten, darunter 30 Staats- und Regierungschefs und mehr als 1.400 Führungskräfte weltweit agierender Konzerne. Das diesjährige Treffen steht unter dem Motto: «Den Zustand der Welt verbessern. Überdenken, umgestalten, erneuern».

Die WEF-Stiftung hat die Vertreter der Weltreligionen eingeladen, in der Debatte über Werte eine führende Rolle zu übernehmen. Eine vom Forum am 18. Januar in Genf veröffentlichte onlinebasierte Meinungsumfrage unter mehr als 130.000 Personen in zehn Ländern hatte ergeben, dass eine große Mehrheit die Wirtschaftskrise auch als eine Krise der Ethik und der Werte ansieht.

Krise als einen echter Wendepunkt
Die Umfrage war Teil des WEF-Jahresberichts, der sich mit der Rolle des Glaubens bei internationalen Angelegenheiten beschäftigt. In einem Kurzbeitrag kommt darin auch Erzbischof Marx zu Wort. Er fordert dazu auf, die Krise als einen echten Wendepunkt wahrzunehmen und nicht zu den schlechten alten Gewohnheiten zurückzukehren. Europa und die USA seien hauptverantwortlich für den Ausbruch der Krise. Von ihnen müsse ein nachhaltiger Impuls zu einer Globalisierung fundamentaler gemeinsamer Werte und zu mehr Gerechtigkeit ausgehen.

Die christlichen Kirchen standen dem Weltwirtschaftsforum bisher zwiespältig bis kritisch gegenüber. Seit 2003 organisiert der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK mit Hilfswerken das Open Forum Davos in Kooperation mit dem WEF, um Teilnehmer mit Kritikern zusammenzubringen. Doch dieses Engagement ist auch intern umstritten. Die Kirchen vor Ort, die auch von den massiven Sicherheitsvorkehrungen befremdet sind, konzentrieren sich auf das vor 13 Jahren eingeführte «Schweigen und Beten». Zum Auftakt des Forums am Mittwoch findet ein Requiem statt, bei dem der Opfer der Globalisierung gedacht wird.

Bereits seit Montag tagt im brasilianischen Porto Alegre das Weltsozialforum, das sich als kapitalismuskritischer Gegenpol zu Davos versteht. Dessen ungeachtet nahmen schon öfter einzelne prominente Kirchenleute am Weltwirtschaftsforum teil, darunter der Tübinger Theologe Hans Küng, der Washingtoner Alterzbischof Kardinal Theodore McCarrick und die Generalsekretärin von Caritas Internationalis, Lesley Anne Knight.