DOMRADIO.DE: An diesem Montag jährt sich der der Angriff Russlands auf die Ukraine. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, dass der Krieg jetzt schon drei Jahre andauert?
Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Aktionsratsvorsitzender des katholischen Mittel- und Osteuropahilfswerkes Renovabis): Das Elend der Menschen in der Ukraine scheint kein Ende zu nehmen, es ist erschütternd. Hinzu kommt die schwierige Lage der Geflüchteten in Deutschland. Viele Familien sind ohne die Väter hier, leben mit der ständigen Angst und der Frage: "Wie geht es eigentlich weiter?" Ich frage mich immer wieder, warum es dazu gekommen ist. Haben wir im Westen nach der Krimkrise nicht entschieden genug reagiert?
War das ein Fehler? Haben wir alle Möglichkeiten des Dialogs mit Russland ausgeschöpft? Hätten wir militärisch früher eingreifen müssen? Diese Fragen beschäftigten mich. Natürlich geht es nun auch um die große Frage, wie sich die Situation unter einer neuen US-Regierung weiterentwickeln wird. Was bedeutet das für die NATO? Aber eine Grundsatzfrage, die mich weiterhin sehr beschäftigt, ist: Müssen wir alles, was einmal aus der Friedensbewegung und der Botschaft Jesu kam, aufgeben? Dass nur noch Gewalt, Macht und Waffen den Weg weisen? Und lässt sich in all dem Bemühen um eine friedliche Entwicklung in der Welt, auch an anderen Orten, noch Hoffnung finden?
DOMRADIO.DE: Die christliche Friedensethik wird immer wieder kontrovers diskutiert. Der unbedingte Wille zum Frieden steht gegen die Meinung, dass bei Putin nur Aufrüstung und Abschreckung helfen, um ein Machtgleichgewicht und damit zumindest Ruhe zu erreichen. Muss die christliche Friedensethik seit dem Beginn des Ukraine-Krieges neu gedacht werden?
Koch: Sowohl Christen, die sich für eine militärische Stärkung aussprechen, als auch diejenigen, die einen eher pazifistischen Ansatz verfolgen, streben nach Frieden. Ich würde nie behaupten, dass nur ein Weg der wahre Friedensweg ist. Es muss eine Mischung aus beidem geben. Wir haben die Verantwortung, Menschen zu schützen, auch mit militärischer Gewalt, aber wir müssen auch alles daran setzen, dass diese Gewalt entweder gar nicht oder nur minimal angewendet wird. Ich glaube wirklich nicht, dass es nur ein "Entweder-oder" gibt, sondern es muss beides geben. Ob wir in den Jahren seit 2014 in Bezug auf die Ukraine wirklich genug getan haben, kann man infrage stellen.
DOMRADIO.DE: US-Präsident Trump hat Gespräche mit Russlands Präsident Putin aufgenommen, weil einen "Deal" will. Berichten zufolge sollen die USA Russland weitreichende Zugeständnisse für einen Friedensvertrag oder zumindest einen Waffenstillstand anbieten. Dazu könnte gehören, dass die Ukraine auf einen NATO-Beitritt verzichtet, bestimmte Rohstoffe abtritt oder sogar auf einige Landesteile verzichtet. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen, bei denen Europa und die Ukraine offenbar kaum einbezogen werden?
Koch: Meiner Ansicht nach ist es unmöglich, Frieden zu schließen, ohne die direkt Betroffenen einzubeziehen. Die Ukraine wurde angegriffen und wir alle erinnern uns an die schrecklichen Bilder der vorrückenden russischen Truppen in den ersten Tagen des Krieges. Dies zu ignorieren, wäre ein Skandal. Gleichzeitig sind Verhandlungen notwendig, auch wenn sie schmerzhaft sind. Ohne sie geht das Blutvergießen weiter. Doch Europa muss sich stärker einmischen, besonders angesichts der Entwicklungen in den USA. Es muss seine Position klar vertreten und seinen Einfluss nutzen. Europa verfügt über eine bedeutende Geschichte, wirtschaftliche Stärke und eine gefestigte Demokratie: All das sollte stärker ins Gespräch gebracht werden. Denn die Werte, für die Europa steht, sind weltweit bedroht. Dass Europa in dieser Frage bewusst außen vor gelassen wird, ist ein alarmierendes Signal.
DOMRADIO.DE: Drei Jahre dauert dieser Krieg in der Ukraine jetzt schon an, die Menschen vor Ort leiden physisch wie psychisch. Wie kann Kirche in so einer Situation den Menschen helfen?
Koch: Das ist für mich ein sehr schmerzhaftes Thema. Als Kirchen müssen wir aufeinander zugehen und unsere gemeinsame Verantwortung für den Frieden wahrnehmen, die Friedensbotschaft, die Friedensverheißung und die Ermutigung zum Frieden aktiv einbringen. Dass Christen gegen Christen kämpfen, ist grausam und zutiefst verletzend. Wir können nur tun, was in unserer Macht steht, um den Menschen zu helfen. Das katholische Osteuropahilfswerk Renovabis hat in diesem Jahr dank großzügiger Spenden, vor allem von Katholiken in Deutschland, über 30 Millionen Euro in 400 Projekte in der Ukraine investiert. Wir müssen weiterhin unterstützen, sowohl vor Ort als auch hier in Deutschland. In Berlin zum Beispiel leben viele ukrainische Familien unter prekären Bedingungen. Das ist keine langfristige Lösung. Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele von ihnen möglicherweise dauerhaft hier bleiben werden.
DOMRADIO.DE: An diesem Sonntag haben wir in Deutschland die neue Bundesregierung gewählt. Unser neuer Bundeskanzler wird vermutlich Friedrich Merz von der CDU. Wie auch immer seine Regierung aussehen wird: Was ist Ihr Appell an sie?
Koch: In dieser Angelegenheit muss Deutschland sich weiterhin engagiert und öffentlich für die Ukraine einsetzen, so, wie es auch die vorherige Regierung getan hat. Es gilt, entschiedener in der Weltöffentlichkeit aufzutreten, in enger Abstimmung mit Europa. Die Bundesregierung muss die europäische Einheit aktiv stärken und ihre Kraft einbringen, damit im Ukrainekrieg nicht bloß fragwürdige Deals geschlossen werden. Stattdessen braucht es eine stabile und gerechte Lösung für das ukrainische Volk, die von Europa mitgetragen und gesichert wird.
DOMRADIO.DE: Trauen Sie Friedrich Merz zu, dass er die notwendige Entschiedenheit dafür an den Tag legt?
Koch: Ich hoffe sehr, dass die Worte, die ich nach der Wahl von ihm gehört habe, in diese Richtung deuten. Doch letztlich zählt die Bewährungsprobe der Taten.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.