Entlassungen von Bischöfen bleiben die Ausnahme

Wenn der oberste Hirte Oberhirten absetzt

Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche wieder eingeholt. Papst Franziskus kündigt seit drei Jahren Durchgreifen gegen Bischöfe an. Doch wie das funktionieren soll, ist noch immer nicht klar.

Papst Franziskus hört Missbrauchsopfern zu / © Alessandra Tarantino (dpa)
Papst Franziskus hört Missbrauchsopfern zu / © Alessandra Tarantino ( dpa )

Vor drei Jahren sagte Franziskus dem Missbrauch den Kampf an. "Die Verbrechen und Sünden sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen können nicht länger geheim gehalten werden." Und: "Ich verspreche, dass alle Verantwortlichen Rechenschaft werden ablegen müssen."

Das sagte Paspt Franziskus am 27. September 2015 in Philadelphia vor 300 Bischöfen aus aller Welt. Vorher hatte er Missbrauchsopfer getroffen. Nach der Rede herzte er Kardinal Theodore McCarrick, einen alten Recken der US-Kirche, hielt ihn bei den Händen, lachte, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Seit Ende Juli ist McCarrick kein Kardinal mehr. Wegen sexueller Vergehen an Jungen, die noch nicht volljährig waren.

Wird es strengere Regeln geben?

Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche wieder eingeholt, und Franziskus kündigt entschlossenes Durchgreifen an. Vergangenes Wochenende in Irland räumte er ein Versäumnis von Bischöfen und Ordensoberen ein, "mit diesen abscheulichen Verbrechen angemessen umzugehen".

Um das Übel auszurotten, rief Franziskus jetzt nach strengeren Regeln. Dabei erließ er schon selber welche: Im Juni 2015 kündigte der Vatikan eine eigene Gerichtssektion innerhalb der Glaubenskongregation an, die gegen vertuschende Bischöfe vorgehen sollte. Inzwischen wird der Beschluss, damals vorgestellt bei einer Pressekonferenz, als Missverständnis bezeichnet.

Dann gab es einen Erlass, der die Absetzung pflichtvergessener Bischöfe ermöglichen soll; nach den italienischen Anfangsworten heißt er: "Wie eine liebende Mutter". Seit Inkrafttreten im September 2016 hat man wenig davon gehört, und wenn, dann eher als Nachfrage, was denn daraus geworden ist. Gegenstand sind Bischöfe, die ihre Aufsichtspflicht schwerwiegend verletzen, insbesondere wenn es um Kinderschutz geht.

Auf "ernstzunehmende Hinweis" hin kann die Kurie Ermittlungen aufnehmen; ihr Urteil legt sie dem Papst vor, der es mit einem ad hoc berufenen Juristenkollegium prüft und gegebenenfalls billigt.

Für Strafen gegen Oberhirten ist allein der Papst zuständig

Franziskus erinnerte an das Dekret, als er auf dem Rückflug von Irland mit Journalisten sprach. Eine Reihe von Bischöfen sei so inzwischen abgeurteilt worden, sagte er, zuletzt der Erzbischof von Guam im Westpazifik, Anthony Apuron. Dieser legte gleichwohl Berufung ein, was der Papst ebenfalls erwähnte. Die Beweislage sei erdrückend, aber er wolle der von ihm bestellten Jury nicht vorgreifen; "ich warte ihren Bericht ab, und dann spreche ich das Urteil".

Einen Bischof als Apostelnachfolger vor den kirchlichen Kadi zu ziehen, ist theologisch keine einfache Vorstellung. Für Strafsachen gegen Oberhirten erklärt das Kirchenrecht daher allein den Papst zuständig. Bevor es zu einem Verfahren kommt, muss er die Immunität des Beschuldigten aufheben. Der Papst ernennt seine juristischen Berater, der Papst fällt das Urteil, der Papst ist Appellationsinstanz.

Laut dem Schreiben von 2016 liegen Aufsichtsverfahren gegen Kirchenobere bei der "zuständigen Kongregation". Das sind in erster Linie die Bischofs- und die Missionskongregation. Der Fall aus Guam, den Franziskus als Beleg für diesen Anklagemechanismus anführt, wurde hingegen vor einem Tribunal der Glaubenskongregation (zuständig für Sexualdelikte) verhandelt, also eher nach dem Modell von 2015.

Papst Franziskus hat Transparenz zugesichert

"Wie eine liebende Mutter" ist ein kurzer Text. Es fehlten die Ausführungsbestimmungen. Soweit aus dem Vatikan zu erfahren ist, fehlen sie bis heute. Doch ohne solche Regularien gibt es eigentlich kein rechtssicheres Instrument. Wie viele Verfahren seit 2016 angeleiert wurden, kann das vatikanische Presseamt auch nach einer Woche interner Recherchen nicht sagen.

Für die fehlenden Fallzahlen gibt es mögliche Erklärungen. Ein Vatikanmitarbeiter verweist darauf, die jetzt amtierenden Bischöfe seien sensibilisiert; sprich: es gebe kaum Anlässe, jemanden abzusetzen. Dann ist selbst innerhalb der Kongregationen oft nicht klar, wie bestimmte Vorgänge behandelt werden. "Der Papst kann einfach eine Akte anfordern und jedes Verfahren an sich ziehen", sagt ein Kurialer.

Und schließlich vermeidet der Vatikan, Oberhirten an den Pranger zu stellen. So räumt der Papst-Erlass Bischöfen nach einer Verurteilung die Chance ein, binnen 15 Tagen freiwillig abzutreten. Seit geraumer Zeit teilt das Presseamt grundsätzlich keine Gründe für Bischofsrücktritte mehr mit, nicht einmal, dass einfach die Altersgrenze erreicht ist. "Wenn ich den Namen nicht kenne, muss ich regelmäßig nachschauen", sagt ein Monsignore.

Papst Franziskus hat Transparenz zugesichert, um Vertrauen zurückzugewinnen. Die Aufgabe beginnt, wie es scheint, im eigenen Haus.

Burkhard Jürgens


Quelle:
KNA
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