Der Ramadan unter Corona-Bedingungen

Eine Zeit der Hinwendung zum Nächsten

Im Fastenmonat Ramadan geht es um Verzicht, aber auch um Begegnung und das gemeinsame Fastenbrechen nach Sonnenuntergang. Genau das ist in Corona-Zeiten nicht möglich. Wie gehen Muslime mit den Einschränkungen um?

Eine Frau bereitet das Essen fürs Fastenbrechen vor / © Fabian Strauch (dpa)
Eine Frau bereitet das Essen fürs Fastenbrechen vor / © Fabian Strauch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Katholiken haben ihre Fastenzeit gerade zu Ende gebracht. Für die Muslime fängt sie gerade erst an. Wie läuft der Fastenmonat Ramadan normalerweise ab?

Prof. Thomas Lemmen (Referent der Erzbistums für den interreligiösen Dialog mit dem Islam): Bis Sonnenaufgang muss man das Letzte gegessen und getrunken haben. Tagsüber verzichtet man auf jegliche Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Nach Sonnenuntergang darf man wieder essen und trinken.

DOMRADIO.DE: Es geht aber nicht nur ums Essen, sondern der Ramadan hat auch noch einen anderen Hintergrund.

Lemmen: Ramadan ist der Monat, in dem der Koran zum ersten Mal offenbart wurde. Das ist sozusagen der spirituelle, der geistliche Inhalt, dass man sich daran erinnern soll, dass der Koran offenbart wurde. Man soll ihn auch in dieser Zeit einmal lesen. Deswegen ist er auch in 30 Leseabschnitte aufgeteilt.

Es ist auch eine Zeit der Hinwendung zum Nächsten. Man soll sich besonders jetzt der Armen und Bedürftigen in der Zeit annehmen und ihnen Gutes tun, vor allen Dingen dadurch, dass man ihnen Essen gibt. Und es gibt dann regelmäßig abends in der islamischen Welt, aber auch hier bei uns, festliche Anlässe, bei denen es gerade den Armen gut geht.

DOMRADIO.DE: Was wahrscheinlich im Moment durch die Beschränkungen wegen der Coronavirus-Pandemie so gut wie unmöglich sein wird?

Lemmen: So ist es. Aber es gibt jetzt Initiativen muslimischer Gruppen, die stattdessen Essenspakete verteilen wollen. Es gibt auch Ansätze einer Kooperation mit christlichen Gruppen, die in ihrem Stadtteil zusammenarbeiten und Essen an Bedürftige verteilen wollen. Das finde ich schön, dass sozusagen aus dieser Not eine Tugend geboren wird, dass man sagt, ja, die Bedürftigen gibt es sowohl bei uns als auch bei euch. Lasst uns doch zusammen überlegen, wie wir ihnen in dieser Zeit helfen können.

DOMRADIO.DE: Die Kar- und Ostertage sind auch unter den Corona-Maßnahmen sehr eingeschränkt abgelaufen, was sehr einschneidend war. Für die Muslime wird das während des Ramadan in den nächsten Tagen und Wochen wahrscheinlich ähnlich aussehen. Kann man die Bedeutung dieses Einschnitts jeweils miteinander vergleichen?

Lemmen: Der Einschnitt ist für die Muslime wahrscheinlich noch tiefgreifender. Am Ende eines jeden Tages steht das Fastenbrechen, das man normalerweise in der Familie oder im größeren Kreis macht. Dann schließen sich in den Moscheen besondere Gebete an. Und das ist jeden Tag so. Das heißt, unsere Einschränkungen haben wir konzentriert in der Karwoche erlebt. Die Muslime erleben diese aber den ganzen Monat lang. Die Einschränkungen erstrecken sich auf jeden Tag der Fastenzeit.

DOMRADIO.DE: Bei uns leben viele muslimische Geflüchtete und Einwanderer, deren Familien gar nicht hier in Deutschland sind. Dass sie mit ihren Familien nicht zusammen feiern können, ist wahrscheinlich noch ein ganz anderes Problem?

Lemmen: Da wird die Situation des Unterwegsseins und Geflüchtetseins noch einmal besonders deutlich. Gerade in dieser Zeit versucht man dann, mit den Verwandten über Skype, Telefon oder über andere Wege Kontakt aufzunehmen. Es ist ja auch so, dass viele in Deutschland ansässige Migranten gerne in der Zeit - ich spreche jetzt nicht von den Geflüchteten - in ihr Heimatland zurückwollen. Es gibt sozusagen eine Ramadan-Reisezeit. Das geht natürlich alles nicht.

Das Ganze kann auch positive Auswirkungen haben. Eine muslimische Bekannte sagte vergangene Woche zu mir, die erzwungene Einsamkei, kann auch eine Chance sein, sich noch einmal auf das Wesentliche dieser Zeit zu konzentrieren. Sie meint damit etwas, was uns besonders in der Adventszeit manchmal ein Problem bereitet, dass der viele Trubel dieser Zeit uns davon ablenkt, uns auf das Eigentliche, nämlich die Ankunft Christi, vorzubereiten.

Diese Frau sagt, die jetzige Situation gibt uns die Gelegenheit, innezuhalten und wirklich einmal darüber nachzudenken, was das Besondere an diesem Monat ist. Das Besondere ist der Koran, sagt sie und meint damit, Gott hat die Muslime nicht alleine gelassen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

 

Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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