Abschied nehmen im kleinsten Kreis

"Eine Chance, unseren Umgang mit dem Thema Tod zu hinterfragen"

Tote begraben und Trauernde trösten – das ist momentan nur sehr eingeschränkt möglich. Die Seelsorge muss sich gerade den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Was das mit den Menschen macht, erklärt Expertin Eva-Maria Will.

Letztes Geleit ohne öffentliche Trauergemeinde / © Beatrice Tomasetti (DR)
Letztes Geleit ohne öffentliche Trauergemeinde / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Will, sich von vertrauten Gewohnheiten zu trennen, fällt schwer. Erst recht, wenn es um das hochsensible Thema "Abschiednehmen" geht, was als sogenannter Wendepunkt im Leben ja immer auch eine Chance für die Kirche ist, Menschen zu erreichen. Welche Rückmeldungen bekommen Sie zurzeit? Wie gehen die Menschen damit um, dass jetzt nur noch Angehörige ersten Grades zu einer Beisetzung zugelassen sind?

Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral): Wir haben es mit einer ganz neuen Herausforderung im Umgang mit Tod und Trauer zu tun. Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass die Bestattung eines Toten mit größtmöglicher Würde geschieht, und zum anderen, dass Trauernde Wege finden, ihre Trauer leben und bearbeiten zu können. Für uns als Kirche kann das bedeuten, dass wir uns noch stärker als bisher auf das Wesentliche konzentrieren. Das heißt, in Zeiten von Corona müssen wir vielleicht gerade jetzt neue Wege gehen, wenn wir unsere Toten trotz sehr kleiner Trauerfeiern am Grab mit der nötigen Anteilnahme begraben und den Trauernden, die wir als entferntere Verwandte, Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen nicht persönlich treffen können, beistehen wollen. Trotz der weitgreifenden Einschnitte der Corona-Krise in unseren Alltag sind wir ja nicht davon entbunden, den diakonischen Grundauftrag der Kirche in unserer Gesellschaft zu erfüllen. Die Verlusterfahrung mit ihrem Schmerz bleibt ja und zieht den Hinterbliebenen oft den Boden unter den Füßen weg. Der Tod kann nicht außen vor bleiben, nur weil unser Leben gerade still steht. Trauernde möchten Abschied nehmen. Aber sie können es vielleicht nicht, weil die Behörden Vorschriften erlassen haben, die das verhindern. Da fühlen sich viele ausgegrenzt. Das ist ein schwerwiegender, aber in diesen Zeiten notwendiger Eingriff in die Freiheitsrechte des Menschen.

DOMRADIO.DE: Trotzdem aber teilen die meisten ja die Einsicht, dass diese Einschränkungen des öffentlichen Lebens richtig sind…

Will: Ja, zum Glück. Trotzdem ist es gerade für Trauernde schwer, sich an die geltenden Regeln zu halten. Deshalb wollen manche Angehörigen die Beisetzung auch lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, um mit einer größeren Gemeinschaft Abschied nehmen zu können. Eine Verschiebung ist vor allem bei Feuerbestattungen denkbar, da sie ohnehin in der Regel in einem größeren Abstand zum Todesfall stattfinden.

Gleichzeitig aber kann dieser zeitliche Abstand auch eine enorme Belastung für die Angehörigen darstellen. Denn es ist eine Art Zwischenzustand, in dem sich alle befinden: Der Angehörige ist tot, aber sein Körper ist noch nicht "unter der Erde". Wer nicht an der Beisetzung teilnehmen kann, hat dann das Gefühl, dass da noch etwas offen, nicht zuende gebracht ist. Man kann sich nicht selbst davon überzeugen, dass der Angehörige, Freund oder Kollege nicht mehr wiederkommt. Daran erkennt man, wie stark die Symbolik eines christlichen Begräbnisses ist. Der Moment am offenen Grab macht vielen erst deutlich, dass der Abschied nun endgültig ist. Dieses schmerzvolle Erfahren hilft dabei, das Unbegreifliche zu begreifen. Aber ohne das fehlt eben auch ein wichtiger Schritt in der Trauerarbeit.

DOMRADIO.DE: Kommt es vor, dass aus Sorge vor einer Ansteckung selbst die engsten Angehörigen darauf verzichten, an der Beisetzung teilzunehmen?

Will: In der Tat ist die Verunsicherung zurzeit sehr groß. Niemand entscheidet leichtfertig, an der Beerdigung eines nahestehenden Menschen nicht teilzunehmen. Aber wenn doch, dann sollen damit die betagten Menschen des sozialen Umfeldes wie Großeltern, die besonders gefährdet sind, geschützt werden. Das hat zur Folge, dass dann nur der Bestatter und vielleicht noch der Seelsorger am Grab stehen und das natürlich nicht einer gewissen Tragik entbehrt.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie Möglichkeiten, die fehlende Präsenz einer Trauergemeinde zu kompensieren?

Will: Wenn die Mutter, der Vater, der Bruder oder die Tante gestorben ist, könnte man die anderen Angehörigen und Freunde vielleicht bitten, einen Brief an den Verstorbenen, einen Abschiedsbrief, zu schreiben. Oder die Enkelkinder könnten für den Opa ein letztes Bild malen. Diese sichtbaren Zeichen, in denen sie ihre Zuneigung und ihren Schmerz ausdrücken, könnten dann die engsten Angehörigen mit in das Grab legen. Und jeder kann, sobald das Grab zugänglich ist, Blumen ablegen oder ein Grablicht aufstellen. Wie wir es ja auch sonst tun. Weil nichts selbstverständlich ist in diesen Tagen und die Menschen jetzt mehr Zeit und Ruhe haben, macht sich der eine oder andere vielleicht mehr Gedanken, wie sich so eine außergewöhnliche Situation gestalten lässt, damit die Beerdigung trotzdem in größtmöglicher Würde stattfinden kann. Nun ist Phantasie gefordert, sein Mitgefühl auf andere Weise ausdrücken. So oder so bleibt es eine schwierige Aufgabe für alle Betroffenen, auf Abstand zu gehen, obwohl sie sich doch viel lieber in den Arm nehmen oder einander am Grab die Hand halten würden. Aber hier ist Abstand Ausdruck von sorgender Nähe.

DOMRADIO.DE: Was fehlt den Menschen denn am meisten?

Will: Vielen wird jetzt bewusst, wie sehr sie die Gemeinschaft in Zeiten der Trauer vermissen. Denn nicht nur die Kirchen, sondern auch die Trauerhallen sind ja für Gottesdienste und Abschiedsfeiern jeder Art geschlossen, weshalb eine Zeremonie nur am Grab stattfinden kann. So ist es in Köln geregelt. Und viele vermissen den Gottesdienst im Rahmen der kirchlichen Begräbnisfeier. Sie können sich nicht als Trauergemeinde versammeln, um gemeinsam vor Gott Abschied vom Verstorbenen zu nehmen. Auch eine Aufbahrung des Verstorbenen ist ja nicht möglich.

DOMRADIO.DE: Die Bilder aus Italien, auf denen hunderte Särge von den Lastwagen der Streitkräfte abtransportiert werden, machen sehr betroffen. Hier sind nicht einmal mehr die grundlegendsten Rituale möglich, um eines Verstorbenen angemessen zu gedenken. Da müssen wir sicher dankbar sein, dass es soweit bei uns noch nicht ist…

Will: Das sind zutiefst verstörende Bilder, weil sie die ganze menschliche Ohnmacht angesichts der Corona-Pandemie offenbaren. Wie mag es diesen Angehörigen gehen, die sich an keinem Hoffnungsritual mehr festhalten können! Auch für sie aber wird es hoffentlich in naher Zukunft die Möglichkeit geben, alles, was jetzt den hohen Zahlen der Infizierten geschuldet ist und von daher nicht stattfinden kann, nachzuholen und Abschiedsgottesdienste zu feiern, weil wir solche Formen des Trostes einfach brauchen. Auch in Deutschland hoffen wir ja darauf, dass zu einem späteren Zeitpunkt Gedenkfeiern in der Kirche nachgeholt werden, wenn das Verbot wieder aufgehoben sein wird. Dann wäre es außerdem denkbar, zu einem gemeinsamen Gebet für den Verstorbenen am Grab einzuladen und dieses gemeinsame Erinnern feierlich zu gestalten. Dazu könnte man zum Beispiel einen Tag wählen, an dem die Familie sich sowieso trifft: beispielsweise zu einem Geburtstag, den man am Grab zusammen mit einem Seelsorger feiert und daraus einen kleinen Gottesdienst macht. Darüber hinaus bieten sich dazu natürlich die traditionellen Gedenktage am Ende des Jahres an: Allerheiligen, Allerseelen oder der Ewigkeitssonntag.

DOMRADIO.DE: Das eine sind die äußeren, formalen Aspekte. Aber was bedeutet die gegenwärtige Situation für die Trauer des Einzelnen, der den Tod des Partners, eines Elternteils oder der besten Freundin verkraften muss und dann auch noch diese besonderen Umstände, die eine zusätzliche Belastung darstellen?

Will: Alleinsein in einer Trauersituation schmerzt doppelt. Die wenigen engsten Angehörigen, die zurzeit an der Bestattung teilnehmen dürfen, sind auf sich selbst zurückgeworfen. Jeder weiß aus Erfahrung, wie wohltuend es dagegen ist, wenn man in der Not nicht alleingelassen ist, wenn viele Menschen zur Beerdigung kommen, wenn man spürt, dass der Verstorbene geliebt wurde, wenn Menschen in irgendeiner Form ihre Anteilnahme ausdrücken. Auch der anschließende Beerdigungskaffee darf nicht stattfinden. Das aber wäre so wichtig, weil sich beim gemeinschaftlichen Treffen der Druck, der sich angestaut hat, entladen darf. Hier werden Erklärungen für den unerwarteten Tod ausgetauscht, Anekdoten erzählt und hier wird gelacht und geweint, um so wieder allmählich in den Alltag und das Leben zurückzufinden. Wenn das nicht möglich ist, fehlt etwas ganz Entscheidendes.

DOMRADIO.DE: Es heißt, in jeder Krise liegt auch eine Chance. Sehen Sie eine solche momentan auch für die Trauerpastoral? Und wenn ja, wie könnte sie genutzt werden?

Will: Eine Chance könnte darin liegen, kreativ nach Möglichkeiten zu suchen, die eigene Anteilnahme – trotz des bestehenden Kontaktverbots – zu formulieren und Trauernde in dieser schweren Zeit nicht sich selbst zu überlassen. Dabei können auch die digitalen Medien verstärkt zur Kontaktaufnahme genutzt werden, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Für Menschen, die viel im Netz unterwegs sind, besteht zudem die Möglichkeit, auf einem virtuellen Friedhof eine Gedenkseite einzurichten oder eine digitale Kerze anzuzünden. Wer Trauerbegleitung sucht, findet Trauer-Chats, die es im Übrigen auch von jungen Menschen für Gleichaltrige gibt. Eine Idee wäre auch, die Beerdigung in einen geschlossenen Kreis zu streamen. So etwas muss natürlich mit den Angehörigen und auch dem Friedhofspersonal vorher gut abgesprochen werden, da nicht jeder in einem solchen Moment gefilmt werden möchte.

Außerdem können auch die vielen konkreten Angebote hilfreich sein, mit denen ohnehin gerade alte und einsame Menschen, die zur Risikogruppe gehören, unterstützt werden. So etwas ließe sich auch auf den Trauerfall ausdehnen: zum Beispiel für jemanden einkaufen zu gehen oder eine warme Suppe zu kochen und diese vor die Tür zu stellen. In der Tat bietet diese Krise die Chance, sich noch einmal mehr Gedanken um den anderen zu machen als sonst und dabei die eigenen Hemmungen zu überwinden. Denn oft haben wir Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun, woraus wiederum eine große Sprach- und Hilflosigkeit entsteht.

DOMRADIO.DE: Was schlagen Sie vor?

Will: Ich kann nur dazu ermutigen, auf den Trauernden zuzugehen. Wenn Anteilnahme von Herzen kommt, kann sie niemals falsch sein. Es darf nicht zu einer weiteren Kontaktsperre kommen, die dazu führt, dass die Trauernden in eine tiefere innere Einsamkeit geraten. Hier kann die Zusage helfen: Ich denke an Dich, ich zünde eine Kerze für Dich an, ich schließe Dich in mein Gebet mit ein. Grundsätzlich bietet sich in diesem Moment die Chance, unseren Umgang mit Sterben und Tod noch einmal ganz neu zu hinterfragen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Trauerexpertin Eva-Maria Will / © Beatrice Tomasetti (DR)
Trauerexpertin Eva-Maria Will / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der Schutzengel ist ein beliebtes Symbol auf Gräbern. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Schutzengel ist ein beliebtes Symbol auf Gräbern. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ein Licht anzünden für den Verstorbenen gehört zur individuellen Trauerarbeit. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein Licht anzünden für den Verstorbenen gehört zur individuellen Trauerarbeit. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Ich bin die Auferstehung und das Leben" - diese Zusage soll Trauernden Hoffnung machen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
"Ich bin die Auferstehung und das Leben" - diese Zusage soll Trauernden Hoffnung machen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Auch die Kölner Friedhöfe sind derzeit verwaist. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Auch die Kölner Friedhöfe sind derzeit verwaist. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Rosen auf einem Grab sind eine Liebeserklärung an den Verstorbenen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Rosen auf einem Grab sind eine Liebeserklärung an den Verstorbenen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

In einem stillen Moment Blumen abzulegen kann trösten. / © Beatrice Tomasetti (DR)
In einem stillen Moment Blumen abzulegen kann trösten. / © Beatrice Tomasetti ( DR )