Ein Vierteljahrhundert theologische Frauen-"Agenda"

"Frauen denken mit mehr Optionen"

Vor einem Vierteljahrhundert wurde "Agenda" gegründet, ein Zusammenschluss katholischer Theologinnen im deutschsprachigen Raum. Die Vorsitzende Gunda Werner zieht eine Bilanz der letzten 25 Jahre und blickt auch auf den Synodalen Weg.

Studierende, darunter auch Ordensmänner und eine Ordensschwester / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Studierende, darunter auch Ordensmänner und eine Ordensschwester / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Warum ist vor einem Vierteljahrhundert "Agenda" entstanden?

Prof. Dr. Gunda Werner (Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzende des Theologinnen-Netzwerkes "Agenda"): Es gab Frauen, die hatten Probleme, die Unbedenklichkeitserklärung für ihre Lehrbeauftragung zu bekommen. Und es gab eine Neuauflage des Standardwerks 'Lexikon für Theologie und Kirche', die deutlich machte: Es wurde fast komplett ohne Mitwirkung von Autorinnen geschrieben.

Dr. Gunda Werner / © privat
Dr. Gunda Werner / © privat

"Agenda" wurde 1998 gegründet, um genau dies zu verändern: Die wissenschaftliche Arbeit von Theologinnen sollte sichtbar und ihre Situation besser werden. Es ist ja nicht nur ein Problem von Frauen, sondern auch für Männer, wenn Frauen nicht präsent sind.

KNA: Was ist in den vergangenen 25 Jahren passiert? Was ist besser geworden, was ist schlecht geblieben?

Werner: Heute sind bei uns rund 400 Frauen aktiv. Wir sind theologisch eine Größe geworden, an der man nur schwer vorbeikommt. Die anfängliche Konzentration auf die Universitäten gibt es heute so nicht mehr. Nur die Hälfte von uns arbeitet an Hochschulen, die andere Hälfte als Seelsorgerinnen, Religionslehrerinnen, bei Bistümern und Verbänden, für die Bischofskonferenz, aber auch in Politik und Wirtschaft. Wir sind mit 25 Jahren den klassischen Weg durch die Institutionen gegangen und arbeiten heute als Gast bei vielen Kommissionen und Gremien mit.

Und ja: Es gibt heute viel mehr Theologieprofessorinnen. 2006 gab es rund 10 Prozent, heute sind es knapp 20. Daran haben wir unseren Anteil. Allerdings droht die Zahl gerade wieder zu sinken.

KNA: Der Rückgang der Studierendenzahlen ist dramatisch für die Theologie. Wie sieht es um die Zukunftsperspektiven des Fachs aus?

Werner: Es geht rapide herunter, das kann niemand mehr übersehen. Inzwischen auch bei den Lehramtsstudierenden. Wir spüren jetzt zum Beispiel die Welle der ausgetretenen oder religiös uninteressierten Eltern, deren Kinder kaum kirchliche Berührungspunkte mehr hatten. Der zweite Grund ist, dass sich immer mehr junge Menschen die Frage stellen, warum sie in ein System gehen sollten, das sie systematisch diskriminiert und in dem es verordnete Denkverbote gibt. Gerade junge Frauen haben ein feines Gespür für die Realität.

Eine andere Entwicklung sehe ich für die Lehrstühle: Weil bis 2030 sehr viele frei werden und es kaum wissenschaftlichen Nachwuchs gibt, dürften Qualifizierte keine großen Probleme bei einer Bewerbung haben. Diese Situation hat es so noch nicht gegeben. Auch in Bistümern und Verbänden werden händeringend junge Theologinnen und Theologen gebraucht. Die katholische Kirche hat in einem so hohen Maß an Glaubwürdigkeit verloren - das ist fast nicht mehr aufzuholen.

Prof. Dr. Gunda Werner, Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzende des Theologinnen-Netzwerkes "Agenda"

"In Bistümern und Verbänden werden händeringend junge Theologinnen und Theologen gebraucht"

KNA: Bei dieser Gemengelage: Können Sie jungen Menschen überhaupt noch empfehlen, Theologie zu studieren?

Werner: Ja. Es gibt kaum ein Studium, das so umfassend bildet. Theologiestudierende haben zudem die große Chance, in einem Freiraum den eigenen Standort, ihren Weltbezug zu klären. Und nur der, der Religion versteht, kann wirklich verstehen, was gerade gesellschaftlich und politisch passiert.

Jetzt kommt das 'Aber': Jeder sollte ein zweites Standbein haben. Wir brauchen keine Fachidioten. Es hilft, gleichzeitig gesellschaftlich, politisch oder wirtschaftlich denken zu können.

Prof. Dr. Gunda Werner, Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzende des Theologinnen-Netzwerkes "Agenda"

"Wir brauchen keine Fachidioten"

KNA: Was erhoffen oder befürchten Sie als Auswirkung des katholischen Reformvorhabens Synodaler Weg für die Theologie?

Werner: Positiv kann der Synodale Weg zeigen, dass es sich lohnt, gute theologische Argumente zu haben. Das könnte der Theologie einen Schub geben. Negativ ist, dass genau solche guten theologischen Argumente an der Machtfrage scheitern können. Und das würde im Ergebnis die Theologie schwächen und Frustrationen erzeugen. Ein konkretes Beispiel: Wenn jetzt gesagt wird, Diakonat und Priestertum für Frauen müssten noch einmal neu geprüft werden – dann gähnen gerade Theologinnen. Es ist ja bereits alles geklärt.

KNA: Treiben Frauen besser Theologie?

Werner: Ja. Ich weiß, dass die Antwort provokant ist. Aber wissenschaftlich denken Frauen mit mehr Optionen. Sie müssen ihre Rolle als Minderheit mehr reflektieren als Männer, und sie beziehen dies und dementsprechende Wissenschaften aktiv ein, und dies verändert das Denken.

Das Interview führte Michael Jacquemain.

Quelle:
KNA