Wut und Empörung bei Aussprache über Missbrauchspredigt

"Ein Symbol für die Krise der Kirche insgesamt"

Nach dem Eklat um die Predigt eines emeritierten Geistlichen über Missbrauch und Vergebung sind am Montagabend rund 120 Teilnehmer zu einer Diskussionsveranstaltung in Münster gekommen. Emotionen bestimmen den Abend.

Autor/in:
Gerd Felder
Missbrauchs-Predigt in Münster sorgt für Diskussionsstoff / © Freedom Studio (shutterstock)
Missbrauchs-Predigt in Münster sorgt für Diskussionsstoff / © Freedom Studio ( shutterstock )

Enttäuschung, Wut und Erregung sind noch immer mit Händen zu greifen. Auch über eine Woche, nachdem der emeritierte Pfarrer Ulrich Zurkuhlen in Münsters Heilig-Geist-Kirche seine umstrittene Predigt über Missbrauch und Vergebung gehalten hat.

Die Pfarrei hat zum öffentlichen Gespräch eingeladen. Vor allem die Mitglieder des Chores, der am vorletzten Sonntag im Gottesdienst gesungen hatte, machen ihrer Empörung Luft: "Wir wollten die Messe festlich mitgestalten - und dann das!", erregt sich eine Frau.

"Wir müssen auch die Sicht der Opfer sehen"

"Ich habe gedacht 'Was macht der da jetzt?', bin zusammen mit einer Kollegin aufgestanden und habe gerufen: 'Wir müssen auch die Sicht der Opfer sehen'." Mit keinem Wort sei der 79-jährige Geistliche auf diese eingegangen, sondern habe nur einseitig dazu aufgerufen, den Tätern zu vergeben, ergänzt ein anderer aus dem Chor.

"Zurkuhlen ist doch ein Vertreter der Kirche. Wie steht die Kirche dazu? Darauf möchte ich eine Antwort haben", insistiert der Mann, unterstützt von starkem Beifall. "Er braucht hier nicht mehr zu predigen, wenn er bei dieser Ansicht bleibt. Er missbraucht uns doch als Gemeindemitglieder!"

Gesprächsrunde in der Gemeinde

Es ist "ein ungewöhnlicher Abend", wie der Leitende Pfarrer der zuständigen Pfarrei St. Joseph-Münster Süd, Stefan Rau, gleich zu Beginn hervorhebt. Die Ziele sind für ihn klar: "Wir wollen Ihnen Gelegenheit zum Sprechen darüber geben, was Sie bewegt und berührt hat und Ihnen durch den Kopf gegangen ist. Und das ist das Eigentliche: Wir wollen, dass den Missbrauchsopfern endlich Gerechtigkeit widerfährt."

Ein Missbrauchsopfer aus der Gemeinde, das während der besagten Predigt in der Kirche saß, habe ihn mit dem Satz "So ist unsere Gemeinde doch gar nicht" ermutigt, so Rau. Zurkuhlen selbst habe er auch eingeladen, aber der habe erklärt, dass er in dieser Situation nicht dabei sein könne oder wolle. Münsters Generalvikar Klaus Winterkamp, der seine Teilnahme angeboten hatte, habe er dagegen signalisiert, dass dieser Gesprächsabend eine Sache der Gemeinde sei.

Etwa 120 Personen - Mitglieder des Pastoralteams, Besucher des besagten Gottesdienstes und andere Interessierte - sind gekommen. Wut und Verärgerung über die Ansprache löst bei ihnen besonders der Vergleich von Missbrauchsopfern mit Frauen aus, die ihren Männern nach einer zerbrochenen Ehe nicht vergeben können. Etwa 30 Gemeindemitglieder hätten den Gottesdienst unter Protest verlassen.

Kein "schreiender Mob"

Aber von einem "schreienden Mob", wie der Geistliche es genannt hatte, könne keine Rede sein, unterstreichen mehrere Gesprächsteilnehmer. "Es gab Widerspruch und laute Kommentare von Einzelnen, aber kein Niederbrüllen und keinen Tumult."

Nach der Unterbrechung habe sich Zurkuhlen hingesetzt, nichts gesagt und signalisiert, die Messe einfach bis zum Ende durchzuziehen. "Das war null Sensibilität und von oben herab - wie in den 60er Jahren", empört sich eine Frau: "So kann man doch nicht Eucharistie feiern." Auch dass er von "sogenannten Missbrauchstätern" gesprochen hatte, habe viele entsetzt.

In Ansätzen auch Verständnis für Zurkuhlen

Doch es gibt in Ansätzen auch Verständnis für Zurkuhlen. "Wir sprechen heute nur schlecht über ihn", kritisiert ein junger Mann.

Eine Frau meint: "Er kann nicht anders. Die Missbrauchstaten selbst sind viel schlimmer." Viel Lob gibt es für die Pfarrei, die als eine der ersten in Münster ein Schutzkonzept gehabt habe und gegenüber sexualisierter Gewalt viel Sensibilität zeige. "Wir sind hier auf einem guten Weg, doch die Kirche insgesamt ist noch nicht viel weiter", merkt eine Frau an: "Aber wenn wir aufstehen und so etwas nicht dulden, müssen wir nicht aus der Kirche austreten. Wir sind die Kirche!"

Doch mehrere junge Leute bekennen, sie seien kurz vor dem Absprung - wie viele aus ihrem Umfeld auch. "Was hier passiert ist, ist ein Symbol für die große Krise der Kirche insgesamt", urteilt ein Mann.

"Wenn es jetzt keine klare Stellungnahme und kein totales Predigtverbot für Zurkuhlen gibt, dann ist hier in drei Jahren niemand mehr." Am Ende versichert Pfarrer Rau: "Wir werden am Thema Vergebung dran bleiben. Dieser Weg wird weitergehen."


Pfarrer Stefan Rau spricht bei einer Gemeinde-Gesprächsrunde der Heilig-Geist-Kirche mit Gemeindemitgliedern / © Caroline Seidel (dpa)
Pfarrer Stefan Rau spricht bei einer Gemeinde-Gesprächsrunde der Heilig-Geist-Kirche mit Gemeindemitgliedern / © Caroline Seidel ( dpa )

Gemeinde-Gesprächsrunde in Heilig-Geist-Kirche Münster / © Caroline Seidel (dpa)
Gemeinde-Gesprächsrunde in Heilig-Geist-Kirche Münster / © Caroline Seidel ( dpa )
Quelle:
KNA