Ein Priester spricht über die Lage der Christen im Irak

"Die Europäer wissen nicht, wer wir sind"

Es gibt nur noch wenige Christen in Bagdad. Saad Sirop Hanna ist einer der letzen Priester in der irakischen Hauptstadt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet Hanna vom Leben der letzten Christen in Bagdad.

 (DR)

Saad Sirop Hanna leitet die chaldäisch-katholische Gemeinde St. Joseph. Hanna, der selbst aus Bagdad stammt, hat sich nach einem Studium der Luftfahrttechnik für die Theologie und das Priesteramt entschieden.

KNA: Wie ist die Situation Ihrer Gemeinde hier in Bagdad?
Hanna: Wir sind Chaldäer, unsere Kirche wurde 1959 gebaut und ist die größte Kirche in Bagdad. Wegen der Abwanderung leben heute in unserer Gemeinde noch etwa 400 bis 500 Familien. Früher hatten wir bis zu 1.500 Familien. Wie Sie gesehen haben, stehen unsere Kirchen unter Polizeischutz. Die Beamten direkt vor der Kirche sind Christen im Polizeidienst.

KNA: Als Sie sich 1995 entschieden Priester zu werden, war es eine sehr schwierige Zeit für den Irak.
Hanna: Ja, das stimmt, wir lebten unter einem Embargo. Aber bezüglich der Sicherheit war es damals besser als heute. Seit 2003 gibt es unglücklicherweise keine Sicherheit in Bagdad und auch nicht in den meisten anderen Städten des Irak. Es gab schlechte und noch schlechtere Jahre seitdem. 2004 und 2005 war es nicht so schlimm wie 2006 und 2007 zum Beispiel. 2008 wurde es wieder ein bisschen besser, weil die Regierung sich für eine Versöhnung einsetzte. Aber es ist noch immer schwierig. Es gibt so viele fanatische Muslime, die heute völlig anders leben als unsere muslimischen Brüder und Freunde von früher. Sie denken anders und sie verhalten sich anders uns Christen gegenüber.

KNA: Warum dieser Wandel? Was ist geschehen?
Hanna: Nach 2003 gibt es ein Missverständnis unter den Muslimen über die Identität der christlichen Gemeinde hier im Irak. Viele Muslime betrachten uns als Leute aus dem Westen, weil wir Christen sind. Sie bringen uns mit den Amerikanern und Briten in Verbindung, weil diese wie wir Christen sind. Aber wir sind anders und das versuchen wir immer wieder deutlich zu machen. Ja, wir sind Christen wie die Amerikaner und Briten auch, aber wir sind Iraker. Das Christentum im Irak geht bis ins 1. Jahrhundert zurück, es ist 1.900 Jahre alt. Das andere Problem ist der politische Konflikt zwischen den irakischen Parteien. Eine Versöhnung zwischen den Sunniten und Schiiten ist schwierig und wir stehen dazwischen.

KNA: Hat das mangelnde Wissen über die Christen im Irak etwas mit mangelnder Bildung zu tun?
Hanna: Da kann ich nur zustimmen, es mangelt an Bildung, an humanitärer Bildung. Wie man einen Menschen als Mensch bewertet und nicht ob er Christ oder Muslim ist. Ganz allgemein ist die Bildungssituation sehr schlecht im Irak. Es fehlt an guten Schulen, an guten Lehrern und an guten Schulbüchern. In dieser Hinsicht muss sich unbedingt etwas ändern.

KNA: Viele Christen wurden bedroht, entführt, getötet. Haben Sie persönlich schlimme Erfahrungen gemacht?
Hanna: Ja, ich wurde am 15. August 2006 entführt, ich war der erste Priester in Bagdad, der entführt wurde. 28 Tage war ich in der Gewalt einer fanatischen muslimischen Gruppe. In dieser Zeit habe ich viel gelernt, über mich und über die Beziehung zwischen den Religionen. 2008 kam ich nach Bagdad zurück, weil ich Bagdad liebe. Ich liebe den Irak und ich liebe mein Volk, darum wollte ich gern weiter hier als Priester arbeiten. Außerdem habe ich eine Menge muslimischer Freunde hier.

KNA: Fühlen Sie sich manchmal von den Christen in Europa vergessen?
Hanna: Manchmal ja, auch wenn wir mit einigen Priestern und Organisationen besonders aus Deutschland wirklich gute Beziehungen haben. Zum Beispiel «Kirche in Not» hilft vielen Leuten hier im Irak und hat auch mir geholfen. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass man in Europa die Geschichte der Christen im Irak nicht versteht.

Die Europäer wissen nicht, wer wir sind, wie wir hier leben, was wir hier tun, sie kennen unsere Kirche nicht, sie wissen nicht, wie wir beten. Dabei ist es so wichtig sich auszutauschen um zu verstehen, wie der Glaube in den verschiedenen Gesellschaften umgesetzt wurde.

Interview: Karin Leukefeld