Sie leben in Unsicherheit, viele wollen das Land verlassen

Die letzten Christen von Bagdad

Von mehr als 1.500 Familien ist die chaldäische Gemeinde Bagdads auf weniger als 500 geschrumpft. Auch viele Priester haben die Stadt verlassen: Früher waren es 36 Priester in Bagdad, heute sind wir noch 14. Eine Reportage über die Familie Elias, die geblieben ist.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

Das Viertel um die St. Joseph Kirche ist ruhig. Die Einwohner von Karrada in Bagdad-Risafa am Ostufer des Tigris ruhen sich von der Hitze des Tages aus, obwohl der Mai in diesem Jahr mehr Kühle und Regen gebracht hat als in den vorangegangenen Jahren. Der Tigris führt so viel Wasser wie lange nicht mehr und die Sandstürme der letzten Monate, die das Atmen fast unmöglich machten, bleiben aus. Es ist später Sonntagnachmittag; im Haus der Familie Elias machen sich Vater, Mutter und die beiden Töchter fertig zum Gottesdienst. Nur der Jüngste der Familie, der 17-jährige Saif, der kurz vor dem Abitur steht und lieber heute als morgen nach Amerika auswandern würde, will zu Hause bleiben. Der Glaube an Gott falle ihm schwer, sagt er. «Sollte es Gott geben hat er uns Iraker wohl vergessen.»

Die St. Joseph Kirche ist zu Fuß zu erreichen, dennoch zieht Vater Rafat es vor, mit der Familie im Wagen zu fahren; längere Wege zu Fuß sind zu gefährlich. Seit vor einigen Wochen neue Drohungen gegen die Christen auftauchten, werden die Kirchen in Bagdad von der Polizei besonders geschützt: Die Zugangsstraßen sind gesperrt, Fahrzeuge dürfen nur in einiger Entfernung parken. Von mehr als 1.500 Familien sei die chaldäische Gemeinde auf weniger als 500 geschrumpft, sagt Pater Saad Hanna nach dem Gottesdienst. Auch viele Priester hätten Bagdad verlassen: «Früher waren wir 36 Priester in Bagdad, heute sind wir noch 14.»

Die Familie Elias gehört zur chaldäisch-katholischen Kirche, einer mit Rom unierten Ostkirche. Schwestern und Brüder des Ehepaares und weiter entfernte Verwandte haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen. «Bevor wir als Flüchtlinge in irgendeinem Lager stranden, sterben wir lieber hier», sagt Rafat. Von Freunden und Bekannten wisse er, wie viele Jahre sie schon in Syrien oder Jordanien auf eine Umsiedlung warteten und «sie wissen nicht einmal, ob ihr Antrag überhaupt bearbeitet wird.»

Bei einem Besuch bei einer Freundin und deren Schwester, die beide nicht weit von Rafats Elternhaus aufgewachsen sind, erkundigen sich die beiden nach Rafats Gesundheit. Der Familienvater hat Krebs. Die Krankheit wurde zu spät erkannt: Kein Krankenhaus in Bagdad hat ein Gerät, mit dem man Knochen auf mögliche Metastasenbildung durchleuchten kann. Weihnachten ging Rafat mit finanzieller Unterstützung von Verwandten und Freunden zur Behandlung ins jordanische Amman und schöpfte vorsichtig wieder Hoffnung. Zu Ostern kehrte er nach Bagdad zurück, doch nun geht das Geld aus. Die letzte Untersuchung sei wenig ermutigend gewesen, sagt Rafat, der von der Krankheit deutlich gezeichnet ist. Aber er ist sicher: «Gott hält mich in seiner Hand.»

Die Freundin ist Muslima und verzweifelt über das, was in ihrer Heimat geschieht. Sie appelliert an Europa, die Türen für alle Christen aus dem Irak weit zu öffnen, damit sie sich in Sicherheit bringen können. Sie habe sich ihre Religion nicht aussuchen können, berichtet die 72-jährige, denn ihre Eltern seien Muslime gewesen, der Vater ein Schiit aus Najaf, die Mutter sunnitische Kurdin aus Diyarbakir. Als Kinder gingen sie und ihre Schwester in eine christliche Schule in Bab Scharji im Zentrum von Bagdad, seitdem fühlten sich beide den Christen sehr verbunden. «Sie stehlen nicht, sie töten nicht, sie sind keine Terroristen - und trotzdem werden sie hier ermordet. Europa muss sie aufnehmen!»

Rafat stimmt zu und wünscht sich, die europäischen Staaten würden Christen direkt aus dem Irak und Bagdad aufnehmen, nicht erst, wenn sie geflohen sind. «Von hier aus ist es leicht für Christen, einen Antrag zu stellen. Nicht aber aus Syrien oder Jordanien, wenn wir alle Ersparnisse aufgebraucht haben», sagt der Familienvater. Die muslimische Freundin bekennt, sie habe alle Hoffnung in ihr Land verloren. Die Christen seien die ursprünglichen Bewohner des Zweistromlandes, doch es wäre besser für sie, Irak und Mesopotamien zu vergessen. Natürlich werde sie die Christen vermissen, doch «solange ich weiß, dass sie sicher sind, bin ich froh.»