Ein Pfarrer erinnert sich an die Übergriffe von Hoyerswerda vor 20 Jahren

"Niemand kann sich rausreden"

Vor 20 Jahren begannen in Hoyerswerda die tagelangen Übergriffe gegen Asyl-Bewerber. Der evangelische Geistliche Friedhart Vogel stellte sich damals schützend vor die Ausländer. Im domradio.de-Interview blickt er zurück.

 (DR)

domradio.de: Am Ende haben viele Ausländer die Übergriffe nicht mehr ausgehalten und haben die Stadt verlassen. Wie haben Sie die Übergriffe damals erlebt?

Vogel: Es war ja eine Woche mit zunehmender Eskalation: zunächst Dienstag, Mittwoch und Donnerstag an den Abenden immer erst nach Feierabend vor dem Vertragsarbeiterwohnheim, wo Mosambikaner und Vietnamesen wohnten. Und dann ist es Freitag, Samstag und Sonntag in einen anderen Stadtteil übergeschwappt, vor das Asylsuchenden-Wohnheim. Wir in der Altstadt haben dann erfahren, was in der Neustadt los war. Über die Presse. Wir waren entsetzt: Wie konnte das geschehen, wieso konnte das nicht im Keim erstickt werden? Ich war dann am Wochenende vor Ort in der Thomas-Münster-Straße im Einsatz. Und habe versucht zu schlichten: zwischen dem Mob draußen auf der Straße und den natürlich aufgeregten und um ihr Leben fürchtenden Asylsuchenden, die da wohnten.



domradio.de: Aber Sie konnten nicht viel ausrichten?

Vogel: Ich bin immer auf die Straße gegangen und habe versucht, die Leute zum nach Hause gehen zu überreden. Dann habe ich versucht, die Asylsuchenden zu beruhigen. Hier gab es ja auch sprachliche Schwierigkeiten, es lebten da über 20 verschiedene Nationen an der Thomas-Münster-Straße. Ihnen sagte ich auch, dass sie im Haus bleiben und keine Angst haben sollten, die Polizei würde sie schon schützen. Und als die Angst immer größer wurde, man die Eskalation immer noch nicht im Griff hatte und nicht wusste, wie sich alles entwickelt, habe ich mich dafür eingesetzt, dass wir wenigstens die Frauen und Kinder aus der Schusslinie nehmen und außerhalb von Hoyerswerda in Sicherheit bringen, was dann auch geklappt hat - damit nicht noch mehr Konfliktpotential da ist. Die verteidigungsbereiten Männer, Brüder und Söhne blieben ja im Heim und bewachten das Gepäck.



domradio.de: Nach 20 Jahren. Haben Sie heute eine Erklärung dafür, dass es damals zu so einer Eskalation kam?

Vogel: Es ist ja so viel, was damals zusammen gekommen ist, vor allem Arbeitslosigkeit und andere soziale Probleme. Und dann kamen welche, die den Ausländern zeigen, "wo es  lang geht"! Mit diesen blöden Parolen, die ja nie stimmten: "Die nehmen uns die Wohnung weg" - das waren Wohnblöcke zum Abriss vorgesehen. "Die nehmen uns die Arbeit weg" - die durften ja gar nicht arbeiten. "Wenn die nicht wären, bekämen wir das Geld" - eine noch größere Milchmädchenrechnung. Es waren die Parolen von denen, die fürchteten zu kurz zu kommen. Sie neideten den Flüchtlingen die Aufmerksamkeit, die sie erfahren haben - ohne zu wissen, was für ein Schicksal dahinter.

Und: Es wurde zu wenig aufgeklärt. Die Polizei war zudem noch in den Volkspolizeiuniformen und noch selber sehr verunsichert: Werden wir übernommen? Für wen tragen wir hier unsere Haut zu Markte? Für wen geht es gegen wen? Und dann noch das Versagen der Justiz. Von diesem Schock hat sich Hoyerswerda erst später erholt. Und damit muss Hoyerswerda auch heute noch leben.



domradio.de: Was tut denn die Stadt Hoyerswerda heute, damit diese rechte Gesinnung nicht stärker wird?

Vogel: Stärker wird sie auf keinen Fall, sie ist schon zurückgegangen. Man musste in den Köpfen der Menschen etwas verändern. Und der Skandal, der hier passiert ist, hat zu viel Aufarbeitung geführt. Auch wenn Hoyerswerda jetzt kleiner geworden ist - wir sind nur die Hälfte der Einwohner -, wird in den Schulen unheimlich viel geleistet. Viele Aktionen und Projekte sind entstanden wegen der Ereignisse von vor 20 Jahren. In diesen 20 Jahren hat sich unheimlich viel bewegt. Hoyerswerda verdrängt nicht, wir stehen dazu, wie Deutschland zum Nationalsozialismus stehen muss. Niemand kann sich rausreden und sagen: Das waren ja die anderen. Hoyerswerda steht für dieses Negativimage. Und seit 20 Jahren wollen wir auch das andere Hoyerswerda rüberbringen.





In einem Fernsehbericht war zu sehen, wie damalige Opfer zurück nach Hoyerswerda gekehrt sind. Sie sind von Rechtsradikalen auf das Übelste beschimpft worden. Was läuft denn in manchen Vierteln in Hoyerswerda falsch?