Ein Kommentar zur Hartz-IV-Äußerung von Jens Spahn

"Alles scheinheilig"

"Hartz IV bedeutet nicht Armut" – die Äußerung des designierten Gesundheitsministers Jens Spahn ist nicht nur zynisch, sie zeigt auch, wie der bekennende Katholik auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft blickt.

Hartz IV: ohne Weihnachtsbeihilfe / © Jens Büttner (dpa)
Hartz IV: ohne Weihnachtsbeihilfe / © Jens Büttner ( dpa )

Der Mann provoziert gerne: Jens Spahn, der designierte Gesundheitsminister, Kanzlerinnenkritiker und Vertreter des konservativen Flügels in der CDU hat schon die Rente mit 69 gefordert und die Kirchen dafür gescholten, dass sie zu oft zu gesellschaftspolitischen Fragen Stellung bezögen. In der vergangenen Woche mischte er sich in die Debatte um die Essener Tafeln ein und befand, dass auch ohne Tafeln in Deutschland keiner hungern müsse. Und jetzt hat er nachgelegt: "Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut", sagte der CDU-Politiker am Wochenende in einem Interview. "Wir haben eines der besten Sozialsysteme der Welt."

Es stimmt: den Hungertod sterben muss in Deutschland niemand und auch auf der Straße leben muss theoretisch keiner, der kein Einkommen hat. Hartz IV sichert das Überleben – mehr aber auch nicht. Die Teilhabe am Leben ermöglicht es nicht.

Hartz IV – das bedeutet, weniger als fünf Euro am Tag für Essen und Dinge des täglichen Bedarfs. Dass so etwas okay sein müsse, ist eine Ohrfeige in das Gesicht aller Langzeitarbeitslosen, prekär Beschäftigten oder Alleinerziehenden, die Bewerbung um Bewerbung schreiben, aber aus unterschiedlichen Gründen kein einträgliches Einkommen finden. Es ignoriert, dass die Meisten unfreiwillig arbeitslos sind.

Wo ist da der katholische Blick?

Spahn, der gerne seinen katholischen Glauben und sein christliches Menschenbild vor sich herträgt, offenbart, wie er auf die schwachen Menschen in unserer Gesellschaft blickt: Satt und sauber – das muss reichen. In der Bibel steht: Gott kennen bedeutet, den Armen und Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen. Da steht nicht: Wer den Armen gibt, setzt Fehlanreize.

Wenn ein Spitzenverdiener wie Spahn meint, von ein paar Euro am Tag zu leben, sei keine Armut, dann sollte er sich vielleicht mal mit einer Mutter unterhalten, die unter solchen Bedingungen ihr Kind großziehen muss. Seine Äußerung kommt daher wie die französische Königin Marie Antoinette, die einst auf den Hinweis, die Armen könnten sich noch nicht einmal Brot leisten, gesagt haben soll: "Dann sollen sie eben Kuchen essen!"

Von denen "da oben"

Die Arroganz des französischen Hochadels  – sie offenbart sich auch bei Spahn. Seine Äußerung dürfte bei weiten Teilen der Bevölkerung den Eindruck verfestigen, dass "die da oben" schon längst nichts mehr von der Realität und den Nöten der normalen Menschen wissen.

Und das ist das eigentlich Schlimme: Den Volksparteien geht das Volk verloren. Das haben die letzten Wochen und Monate seit der Bundestagswahl gezeigt. Immer mehr Deutsche haben Angst vor dem sozialen Abstieg – das treibt den extremen Parteien und Populisten die Wähler in die Arme. Spahn befeuert diese Ängste mit solchen Äußerungen.

"Wir müssen den Menschen im Land wieder zuhören". Das war der meist bemühte Politikersatz in den vergangenen Wochen. Jens Spahn sollte noch heute damit anfangen.


Jens Spahn / © Bernd Von Jutrczenka (dpa)
Jens Spahn / © Bernd Von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR