Ein katholisches Land soll evangelikal werden

Bolsonaro will Brasilien umkrempeln

"Gott wird das Schicksal dieses Volkes zum Besseren lenken": Seinen Wahlsieg verdankt Jair Bolsonaro nicht zuletzt den Pfingstkirchen. Sie wollen das katholisch geprägte Brasilien nun mithilfe ihres Günstlings grundlegend umgestalten.

Autor/in:
Thomas Milz
Brasilien steht am Scheideweg: Politisch links oder rechts? / © Leo Correa (dpa)
Brasilien steht am Scheideweg: Politisch links oder rechts? / © Leo Correa ( dpa )

Der erste Auftritt des neu gewählten brasilianischen Präsidenten galt Ende Oktober der Pfingstkirche "Vitoria em Cristo" (Sieg mit Christus) in Rio de Janeiro. "Gott wird das Schicksal dieses Volkes zum Besseren lenken. Armut, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Korruption – all diese Erscheinungen der Hölle, weg mit euch, im Namen Jesu!" Mit diesen Worten sprang Pastor Silas Malafaia wie ein Teufelsaustreiber neben Jair Messias Bolsonaro hin und her.

Seinen Wahlsieg hat der Ex-Fallschirmjäger Bolsonaro evangelikalen Gruppen wie dieser zu verdanken. Unter Katholiken, mit 60 Prozent die Mehrheit in Brasilien, lag sein linker Widersacher Fernando Haddad gleichauf. Die Pfingstkirchen repräsentieren nur 30 Prozent, sind aber politisch aktiver. Ihre Anhänger trommelten leidenschaftlich gegen die "korrupte Linke" – und für den "Messias".

Bolsonaro war mal Katholik

Der Katholik Bolsonaro hatte sich 2016 von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen lassen. Im September 2018 überlebte er ein Attentat – ein Beweis für seine göttliche Bestimmung, so die Interpretation des künftigen Staatsoberhaupts. Passend dazu skandierte Malafaias Gemeinde beim Auftritt des Wahlsiegers inbrünstig: "Brasilien gehört dem Herrn Jesus! Gott schütze Brasiliens Präsidenten Jair Messias Bolsonaro!"

Malafaia hatte Bolsonaro an die Pfingstkirchen herangeführt. Der Multimillionär kämpft gegen den "Kulturmarxismus" mit seinen "linken, antichristlichen Ideen" wie Minderheitenrechte, Gender-Politik und Sexualaufklärung an Schulen. Seien erst mal alle Kinder schwul, könne sich die Christenheit nicht mehr vermehren, argumentiert Malafaia.

Sozialer Aufstieg als Ergebnis göttlicher Gnade?

In einer konservativen, für spirituelle Diskurse und Weltverschwörungen empfänglichen Gesellschaft kommt so etwas gut an. "Solche Überzeugungen finden wir bei Pfingstkirchlern, aber auch unter traditionellen Protestanten und Katholiken", erläutert der Theologieprofessor Francisco Borba Neto von der katholischen Universität Sao Paulo.

Kernelement der Pfingstler ist das von US-TV-Predigern übernommene "Wohlstandsevangelium". Sozialer Aufstieg ist demnach ein Resultat göttlicher Gnade, die man sich mit großzügigen Spenden und anderen guten Taten verdienen kann. Viele Arme glauben, dass nicht die Sozialprogramme der linken Vorgängerregierung, sondern vielmehr ihre Gebete etwas verändern. Die katholische Kirche sei hingegen «marxistisch unterwandert» und wolle die Menschen auf ewig abhängig und arm halten.

Bolsonaro und Trump

Auch der neue Außenminister Ernesto Araujo ist ein solcher "Anti-Marxist". Seit der Rückkehr zur Demokratie 1985 sei Brasilien von "atheistischen und korrupten" Regierungen in Korruption, wirtschaftliches Chaos und Gewalt geführt worden. Das ändere sich am 1. Januar: "Gott ist zurück, und die Nation ist zurück: eine mit Gott verbundene Nation."

Wie Bolsonaro vergöttert auch Araujo Donald Trump, der die westliche Zivilisation und den christlichen Glauben retten werde. Wie Trump wolle man daher Brasiliens Botschaft nach Jerusalem verlegen – für viele Evangelikale eine der Voraussetzungen für die Rückkehr Jesu in die Welt. Der künftige Minister schlägt eine "Allianz" der großen "christlichen Nationen" USA, Brasilien und Russland gegen die von China angeführte "marxistische Offensive" vor. Zu dieser gehöre die Mär vom Klimawandel, mit der weißen Christen der Fleischkonsum verboten werden solle.

Regierung könnte Ureinwohner bedrohen

Das Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte wird derweil die evangelikale Pastorin Damares Alves leiten. Bekannt wurde sie durch das Video eines evangelikalen Gottesdienstes. Unter Tränen berichtet sie, wie ihr Jesus in einem Guavenbaum erschienen sei. Gender-Diskussionen zerstören ihrer Ansicht nach das "biologische Geschlecht" der Kinder, weshalb sie Bolsonaros Initiative einer "Schule ohne Ideologie" unterstützt. Religionsunterricht sowie Sexualaufklärung sind demnach weitgehend tabu, genauso wie Gender-Debatten. Wer "linke Ideologie" predige, solle von den Schülern angezeigt werden.

Alves wird auch die Oberaufsicht über die staatliche Indigenenbehörde Funai innehaben. Zuletzt hatte sie den Indigenen vorgeworfen, in großem Maße ungewollte Kinder auszusetzen. Da ihr Chef Bolsonaro bereits angekündigt hat, den Schutzstatus der Ureinwohner aufzuweichen und sie "in die Zivilisation zu holen", schrillen bei Indigenen-Vertretern die Alarmglocken.

Schluss mit lustig?

Es müsse überhaupt Schluss sein mit "Aktivismus" im Land, meint Bolsonaro. Das gilt auch für Land- und Obdachlosenorganisationen, die er als «linke Terroristen» tituliert. Menschenrechte sollten zudem nur für «gute, also (ge)rechte Menschen» gelten, so der neue Regierungschef.

Der Siegeszug der Evangelikalen sei durch das Scheitern der allzu progressiven Agenda des linken Spektrums möglich geworden, resümiert Theologe Borba Neto. "Die progressive, fortschrittliche christliche Agenda ist gescheitert, weil sie nicht die kulturelle Dynamik und wirtschaftliche Realität der armen Bevölkerung verstand." Das, so der Experte, habe "zur Stärkung einer konservativeren christlichen Agenda geführt".


Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo (dpa)
Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo ( dpa )
Quelle:
KNA