Ein Galerist zeigt in Caritas-Projekt "inklusive" Kunst von behinderten Künstlern

Das Maß ist Normalität

Wenige Schritte vom Hamburger Bahnhof in Berlin entfernt suchen sie mit ihren Werken das Licht der Öffentlichkeit: behinderte Künstler, die zusammen mit nicht-behinderten Kollegen zusammengearbeitet und nun zum ersten Mal den geschützten Raum ihrer Werkstätten verlassen haben.

Autor/in:
Veronika Schütz
 (DR)

Die renommierte Galerie Schuster für zeitgenössische Kunst zeigt in der Ausstellung "INKLUSIV" die Werke von insgesamt elf kreativen Paaren. Gemälde, Skulpturen, Fotografien: Alles ist dem prüfenden Blick von Kritikern und Interessierten bis zum 22. Oktober ausgesetzt. Mit der Caritas kam dieses besondere Projekt zustande, das nun in der Hauptstadt eröffnet wurde.



"Die Ausstellung entspricht internationalen Standards, das war mir von Anfang an wichtig", betont Galerist Hans Schuster, dessen Haus Kunstfreunden weltweit ein Begriff ist. Der Impressario selbst hat fast jeden der Ausstellenden vorher besucht und die Werke besichtigt. Das bedeutete: 3.300 Kilometer quer durch Deutschland und zu Gast in insgesamt neun Caritas-Einrichtungen. Die Frage, was angesichts der nun zu sehenden Exponate und ihrer Entstehungsgeschichte "normal" ist und ob es in der Kunst überhaupt Normalität geben kann, oder ob sie nicht gerade von der Leistung abseits der Norm lebt, beschäftigt ihn immer wieder auf dieser Reise.



"Manuela ist sehr gut, eine echte Künstlerin"

Eine der Ausstellenden ist die dreißigjährige Manuela Kopp aus Schwäbisch-Gmünd. Die behinderte Künstlerin hat mit dem Dokumentarfotografen Peter Dammann zusammengearbeitet. Er porträtierte Kopp, fotografierte sie bei ihrer Arbeit. Kopp macht mit Vorliebe Fotos von Paletten. Seit acht Jahren hält sie die mit etlichen Kartons beladenen Ungetüme in allen Varianten fest. "Manuela ist sehr gut, eine echte Künstlerin", lobt sie Profi Dammann. Mehr noch: Sie lebe Kunst.



Ähnlich wie bei den Paletten-Fotos ziert auch Kopps Gemälde immer wieder ein nahezu identisches Motiv: Kopf und Oberkörper eines comicartig mit Filzstift gezeichneten Mannes in einem Spezialanzug. Vorbilder seien die Protagonisten aus ihrer Lieblings-Fernsehserie "Medicopter 117", erläutert Manuela Kopp. Manchmal stehen neben den Bildern deren Namen. Manchmal auch der Name ihres Bruders. Die junge Frau ist stolz auf ihre Kunst, auf die Ausstellung. Und als könnten ihre Bilder verschwinden, wenn sie das nächste Mal hinschaut, sieht sie sich alles mit Vorsicht und fast ungläubiger Ehrfurcht an.



Gemeinsame Erfahrungen im Dialog

Die Besucher gucken ebenfalls genau hin - auch wenn man nicht wisse, wer welches Kunstwerk gemacht habe, sagt eine Dame. Für Caritas-Präsident Peter Neher steht die Frage nach dem Urheber ohnehin an zweiter Stelle. "Die Welt der Kunst bietet so die Möglichkeit, dass sich der Blick auf das Können, auf die Stärken des jeweiligen Menschen richtet und nicht auf seine Behinderung", sagt Neher. Dieses Projekt zeige, dass jeder Mensch sein kreatives Potenzial entfalten könne - bei entsprechender Förderung.



Auch Christof Becker und der geistig behinderte Heiko Liebhold konnten im Dialog miteinander diese Erfahrung machen. Ihre Arbeit zeigt Liebhold auf einem Bahnsteig als Lokomotivführer mit Mütze, Pfeife und Köfferchen, auf dem wiederum Lokomotiven zu sehen sind. "Der Fotograf porträtiert und der Künstler Liebhold ist selbst Vision und Protagonist des imaginären Porträts", beschreibt der Galerist das Bild. Liebhold steht lange vor seinem Bild. "Es soll sagen, dass ich gerne bei der Bahn arbeiten will", sagt der 46-Jährige. Von klein auf beschäftigt er sich mit Eisenbahnen, informiert sich über die neuesten Entwicklungen an Servicepoints oder befragt den Eisenbahnerbund. Wie Manuela Kopp, holt sich Heiko Leibhold seine Leidenschaft nach Hause. Seine Arbeit verändert "die Realität und somit die Welt", sagt Galerist Schuster. "Das macht gute Kunst aus."