Vatikan gibt Vademecum für Missbrauchsverfahren heraus

Durchs Dickicht des kirchlichen Sexualstrafrechts

Eine Handreichung der Glaubenskongregation soll Beteiligte Schritt für Schritt durch Missbrauchsverfahren lotsen. Das Dokument belegt den Willen zur Aufarbeitung, aber auch Defizite in der kirchlichen Rechtspraxis.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Vatikan gibt Vademecum für Missbrauchsverfahren heraus / © Giuseppe Lami (dpa)
Vatikan gibt Vademecum für Missbrauchsverfahren heraus / © Giuseppe Lami ( dpa )

Der Vatikan hat einen lange erwarteten Leitfaden zum juristischen Umgang mit Missbrauchsfällen veröffentlicht. Das "Vademecum" der Glaubenskongregation soll Mitarbeiter der kirchlichen Rechtspflege Schritt für Schritt durch die nötigen Maßnahmen bei sexuellen Vergehen von Klerikern an Minderjährigen führen.

Keine Änderung der Gesetzeslage

An der Gesetzeslage ändert sich nichts. Allein die Publikation einer solchen Hilfestellung zeigt derweil, dass der Vatikan die interne strafrechtliche Aufarbeitung erst nimmt - und dass es vielerorts in der katholischen Welt an kirchenrechtlichem Fachwissen, funktionierenden Gerichten und wohl auch Motivation fehlt.

Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria, sprach in einer schriftlichen Erläuterung von einer "Gebrauchsanweisung" - man wolle jene an die Hand nehmen, die Missbrauchsfälle zu bearbeiten haben, vom ersten Hinweis auf eine mögliche Straftat bis zum Abschluss des Falls. In neun Schritten und 164 Einzelpunkten geht es durch den Stoff, untergliedert durch Fragen wie "Was sind Sicherungsmaßnahmen?" oder "Was macht man bei einem Einspruch gegen ein Strafdekret?".

Verständliche Sprache

Das Vademecum, von Papst Franziskus im Februar 2019 angekündigt, erklärt das geltende Kirchenstrafrecht für sexuellen Missbrauch in einer für Nicht-Experten verständlicheren Sprache - was nicht heißt, dass es eine leichte Lektüre ist. Im Blick sind professionelle Kirchenrechtsanwender wie Anwälte oder Assessoren an Diözesangerichten, aber auch Bischöfe und Ordensobere, die in der Materie nicht ganz sattelfest sind. Dabei ist auch an Kirchenregionen zu denken, in denen das Personal nicht über jenes Ausbildungsniveau verfügt, das man in den meisten europäischen Ländern erwarten darf.

Auf der gleichen Linie liegt, dass der Vatikan im Februar eine "Task Force" ins Leben rief, die nationale Bischofskonferenzen beim Erstellen von Kinderschutzleitlinien unterstützen soll. Auch diese Beratergruppe aus Kirchenrechtlern, Psychologen und anderen Experten entstand aus der Einsicht, dass manche Bischofskonferenzen mit der Umsetzung der vatikanischen Vorgaben schlicht überfordert sind.

Durch das "Dickicht der Normen und der Praxis"

Wer immer mit einem Fall sexuellen Missbrauchs betraut ist, soll nun mit dem Vademecum durch die Verfahrensschritte und Instanzen gelotst werden - durch das "Dickicht der Normen und der Praxis", wie Kardinal Ladaria schreibt. Hauptbezugspunkte sind die einschlägigen Papsterlasse "Sacramentorum sanctitatis tutela" (2001/2010) und "Vos estis lux mundi" (2019), aber auch die Gepflogenheiten der Glaubenskongregation - sie ist für die kirchenstrafrechtliche Aufarbeitung von Missbrauchsdelikten zuständig, arbeitet darin eng mit Diözesangerichten weltweit zusammen und kann also hoffen, mit der Handreichung auch sich selbst die Arbeit zu erleichtern.

Das Kirchenrecht kennt unterschiedliche Antworten auf sexuellen Missbrauch durch Kleriker - neben dem eigentlichen gerichtlichen Strafverfahren unter Einbindung der Glaubenskongregation auch eine Art Disziplinarverfahren und einen Sondermodus für offenkundige Fälle, die direkt dem Papst vorgelegt werden. Besonderen Raum in der Handreichung bekommen indessen die Voruntersuchung (die dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren weltlichen Rechts entspricht) und ein außergerichtliches Verwaltungsverfahren. Letzteres bietet Vorteile in Ländern, in denen kirchliche Gerichtsstrukturen nicht sehr ausgeprägt sind.

Keine länderspezifischen Inhalte

Mit den Leitlinien der nationalen Bischofskonferenzen zum Thema Missbrauch hat das Vademecum nichts zu tun. Die Leitlinien, wie sie etwa die Deutsche Bischofskonferenz im Mai 2019 aktualisiert herausgab, nennen beispielsweise Anlaufstellen für Verdachtsmeldungen und klären die Zusammenarbeit mit der jeweiligen staatlichen Justiz.

Aus länderspezifischen Fragen hält sich die Glaubenskongregation heraus. Ebenso unberücksichtigt bleibt im Vademecum das Vorgehen bei Vertuschung und anderen Amtspflichtverletzungen durch Bischöfe oder Ordensobere. Solche Verfahren sind bei anderen Kurienbehörden als jener von Ladaria angesiedelt. Der Kardinal unterstrich auch, dass das Vademecum laufend angepasst werden soll. Wie es aus der Kurie heißt, ist für 2021 eine Neufassung des Erlasses "Sacramentorum sanctitatis tutela" zu erwarten.


Quelle:
KNA