Drei Ordensleute blicken auf Reformdebatten

"Ich habe Gott Gehorsam gelobt, nicht der Kirche"

Schwester Franziska Dieterle, Schwester Katharina Kluitmann und Bruder Simon Hacker nehmen am Synodalen Weg zur Zukunft der Kirche in Deutschland teil. Im Interview blicken die drei Ordensleute auf mögliche Reformen und Gehorsam.

Katharina Kluitmann, Simon Hacker und Franziska Dieterle / © Julia Steinbrecht (KNA)
Katharina Kluitmann, Simon Hacker und Franziska Dieterle / © Julia Steinbrecht ( KNA )

KNA: Bruder Simon, beim Synodalen Weg stechen vor allem Ordensfrauen mit profilierten Statements hervor. Was ist los bei ihren Mitbrüdern?

Bruder Simon Hacker: Es ist systemisch betrachtet eine gute Tradition seit Jahrhunderten, dass die Frauengemeinschaften Kirche nicht nur ein Stück anders gelebt haben, sondern oft auch Zentren von Feminismus und seinen Frühformen waren. Da ging schon immer manches mehr als bei anderen. Hinzu kommt: Ordensleute haben eine gewisse Freiheit gegenüber der Amtskirche, wir können schon mal mehr die Klappe aufmachen, und das machen die Schwestern jetzt. Ich glaube, das hat viele Bischöfe schockiert.

Schwester Franziska Dieterle: Ach, die Hierarchien - ich sag' mir bei einem Bischof: Du bist Kind Gottes, ich bin Kind Gottes - reden wir also auf Augenhöhe! Im Übrigen hat es mich total gewundert, dass wir als so herausragend beim Synodalen Weg wahrgenommen wurden. Ich hab das gar nicht als so besonders wahrgenommen. Offenbar hat man das nicht von uns erwartet.

Schwester Katharina Kluitmann: Ich glaube, wir Ordensfrauen brechen mit unserem Auftreten stärker ein Klischee, das man von uns hat. Vor allem, wenn wir einen Schleier auf dem Kopf haben. Und: Bei uns Ordensfrauen ist auch deutlich größerer Druck im Kessel als bei den Männern. Wir haben unser ganzes Leben auf die Karte Jesus Christus gesetzt. Wir haben uns in den Dienst Gottes und der Kirche gestellt - aber diese Kirche schätzt das nicht so wert, wie wir uns das wünschen.

Katharina Kluitmann / © Julia Steinbrecht (KNA)
Katharina Kluitmann / © Julia Steinbrecht ( KNA )

KNA: Klingt diplomatisch. Was ärgert Sie konkret? Dass Ordensfrauen, seien sie noch so theologisch gebildet, immer noch einen Priester brauchen für die Messe, der schlimmstenfalls auch noch eine unterbelichtete Predigt hält?

Katharina Kluitmann: Ja, genau. Wir leben ein geistliches Leben, wir leben zölibatär, wir sind gebildet bis hochgebildet. Aber die Kirche macht an der einfachen Tatsache, dass wir Frauen sind, fest, dass wir gewissen Zugänge nicht bekommen. Das betrifft nicht nur die Weihe. Es hat auch was mit dem "Dumme Nönnchen"-Klischee zu tun - und das lebt niemand so ausgeprägt wie Priester. Das ist meine dauerhafte Erfahrung: Niemand hält mich, aufgrund der Tatsache, dass ich Ordensfrau bin, für so dumm, wie Priester es tun. Es gibt aber auch eine Kehrseite.

KNA: Die wäre?

Katharina Kluitmann: Als Ordensfrauen sind wir für manche Kleriker nicht ganz so "schlimm" Frau. Wir werden in so eine geistliche Sphäre gesteckt und gelten damit als nicht so "gefährlich". Das führt dazu, dass wir dann - auch auf dem Synodalen Weg - durch Türen gehen dürfen, die anderen Frauen vielleicht nicht offen stehen. Als ich mir dessen das erste Mal bewusst wurde, hatte ich ein sehr schlechtes Gewissen. Aber dann habe ich gedacht: Das ist ein erster Schritt, vielleicht können dann auch andere Frauen folgen. Und das hat geklappt.

KNA: Als Ordensleute haben Sie ein Gehorsamkeitsversprechen abgelegt.

Wie verträgt sich das mit der Kritik an Kirche, Priestern und Bischöfen?

Franziska Dieterle: Ganz einfach: Ich habe Gott Gehorsam gelobt, nicht in erster Linie der Kirche. Ich würde für meinen Glauben sterben, aber nicht für den Katechismus. Gehorsam ist ja kein Befehlsempfangen und -ausführen, sondern gemeinsames Hinhören und Schauen: Was dient dem Leben? So wie es beim Synodalen Weg gemacht wird.

KNA: Die konservativen Teilnehmer des Synodalen Wegs begründen ihr Nein zu Reformen eben auch mit Gehorsam, gegenüber dem Papst. Wie geht das zusammen?

Simon Hacker: Das ist ein sehr unterkomplexes Gehorsamsverständnis.

Mit solch einer Attitüde würde man wahrscheinlich in den meisten Ordensgemeinschaften in Deutschland heute nicht mehr aufgenommen.

Katharina Kluitmann: Synodalität bedeutet ja zuhören - aber dazu gehört miteinander zu sprechen, auch zu widersprechen und um Positionen zu ringen. Und das üben wir bei jedem Ordenskapitel ein.

Da zählt übrigens die Stimme der Oberin so viel wie jede andere. Eine Sperrminorität - wie sie den Bischöfen beim Synodalen Weg eingeräumt wurden - ist in einer Ordensgemeinschaft nicht denkbar.

KNA: Beim Synodalen Weg hat man eine Mehrheit von Reformwilligen und eine Minderheit von Reformgegnern. Gibt es solche Fraktionen auch bei Ihnen in den Ordensgemeinschaften?

Franziska Dieterle: Klar, es gibt auch Ordensmitglieder, die gegen Reformen sind und mit dem Synodalen Weg nichts anfangen können. Dabei ist es ist übrigens keineswegs so, dass es nur die Älteren sind, die gegen Reformen sind.

Katharina Kluitmann: Natürlich gibt es auch konservativere Gemeinschaften. Aber tendenziell würde ich schon sagen, in den Ordensgemeinschaften ist der Wille zu Veränderung größer als in der Kirche insgesamt.

KNA: Der Synodale Weg beschäftigt sich mit einer Latte von Unzulänglichkeiten, Problemen und Missständen in der Kirche. Immer mehr Menschen treten genau deswegen aus. Gibt es auch unter Ordensleuten welche, die über einen Austritt nachdenken?

Franziska Dieterle: Ich bin so eine Kandidatin. Wenn man im Orden bleiben und aus der Kirche austreten könnte - das würde ich machen.

Vierte Synodalversammlung / © Max von Lachner (SW)
Vierte Synodalversammlung / © Max von Lachner ( SW )

Ich kenne auch andere Ordensfrauen, denen es ähnlich geht. Ich kenne eine Schwester, die ihre innere Zerrissenheit nicht mehr ausgehalten hat und tatsächlich aus der Kirche ausgetreten ist. Ich kann ihre Entscheidung nachvollziehen und finde es zugleich tragisch, dass es überhaupt so weit kommen muss.

KNA: Viele Orden sind weltweit tätig. Wie wird der Synodale Weg international wahrgenommen, welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Simon Hacker: Der Synodale Weg schaut vor allem auf die systemischen Ursachen für sexuellen Missbrauch. Und das ist vielfach nicht die Perspektive in anderen Ländern. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass noch nicht überall die Bombe geplatzt ist. Danach bewegt sich in der Regel einiges. Aber es braucht noch viele Gespräche. Auch Papst Franziskus, der die Weltsynode angestoßen hat, weiß vielleicht selbst noch gar nicht so genau, was das im Letzten sein wird.

Katharina Kluitmann: Wir gehen einen Weg, wir arbeiten prozessorientiert, und wir haben in Deutschland mal angefangen. Aus vatikanischer Perspektive kann dieser Weg ja nicht ganz so blöd sein, wenn der Papst jetzt auch sowas macht. Ich seh da gar nicht das Problem. Wir als deutsche Kirche werfen unsere Position als eine von vielen in den Ring. Wenn wir eine Spaltung oder einen Sonderweg wollten - dann könnten wir das ja einfach machen. Machen wir aber nicht.

Franziska Dieterle: Unabhängig von Inhalten nehme ich als Sozialpädagogin einen Reflex wahr, dass Ablehnung aus einer Angst vor Veränderung herrührt. Das kennt man schon aus der Bauecke im

Kindergarten: "Der will was anderes machen, deshalb ist der doof." Es gibt eine Scheu vor argumentativer Auseinandersetzung, sicher auch aus Angst vor Machtverlust, vor Sicherheitsverlust, vielleicht auch aus Angst, etwas falsch zu machen.

KNA: Einige Konservative haben beim Synodalen Weg beklagt, dass sie mit ihren Ansichten von der liberalen Minderheit niedergemacht würden und keinen Raum, kein Format sehen, um sich angstfrei zu äußern.

Simon Hacker: Dieses Weinerliche finde ich wirklich deplatziert. Darunter sind Bischöfe, die sonst auch keine Angst haben, ihre Meinung zu sagen, und sich ihrer Macht durchaus bewusst sind. Ich bin in der Diaspora groß geworden, war der einzige Katholik in meiner Grundschulklasse. Da habe ich früh gelernt, aus einer Minderheitenposition heraus meine Meinung zu vertreten. Und da darf ich doch wohl von einem Bischof erwarten, in Freimut seine Meinung zu vertreten, wenn das schon ein siebenjähriger Katholik in Ostdeutschland schafft.

Katharina Kluitmann: Da braucht man sich eigentlich nicht mehr den Mund fusselig zu reden. Ich bin da ganz bei dem Aachener Bischof Helmut Dieser, der auf einer Synodalversammlung mal sinngemäß gesagt hat: "Wir brauchen die konservative Seite des Ganzen dringend. Aber ich wage es zu behaupten: Die konservative Seite in unserer Versammlung macht ihre Sache nicht gut genug."

Simon Hacker: Natürlich ändert man auch nicht immer aufgrund eines rein intellektuellen Diskurses seine Meinung. Oftmals lösen Begegnungen und Gespräche etwa mit Betroffenen viel mehr aus, machen nachdenklicher. Dafür muss meines Erachtens beim Synodalen Weg mehr Raum geschaffen werden. Das schafft auch eine vertrauensvollere Atmosphäre.

KNA: Sie alle engagieren sich schon lange für Reformen, sehen aber auch, wie mühsam und langsam der Prozess ist. Gibt es einen Punkt, wo Sie sagen würden: "Jetzt reicht's"?

Franziska Dieterle: Als die Anfrage kam, ob ich beim Synodalen Weg mitmache, habe ich mir sehr genau überlegt, ob ich mir das antun will. Denn meine Engagement-Geschichte in der Kirche ist schon lange eine Frust-Geschichte. Meine Motivation war vor allem: Dann kann ich meinen Ärger mal da platzieren, wo er hingehört. Ich sehe hier im Prozess durchaus Veränderungen und Bewegung - drum mache ich weiter.

Katharina Kluitmann: Als das Sexualpapier bei der Synodalversammlung durchfiel, lag ich abends im Bett und habe ernsthaft überlegt, in die innere Emigration zu gehen. Aus dem Orden bin ich andere Wege gewohnt. Wir treffen halt irgendwann pragmatische Entscheidungen und die müssen nicht für die Ewigkeit sein, sondern sind auch zum Ausprobieren. Und dann schauen wir nach ein paar Jahren, wie es geklappt hat, oder warum wir manches vielleicht letztlich doch nicht umgesetzt haben.

KNA: Was heißt das für die laufenden Reformdebatten?

Katharina Kluitmann: Ich wünsche mir in der Kirche mehr Mut zum Ausprobieren. Warum nicht mal einen Schwung Priester ohne Zölibat weihen - und nach fünf Jahren gucken wir, wie es uns damit geht.

KNA: Die Beschlüsse des Synodalen Wegs sind ja das eine, der Lackmustest ist aber die Umsetzung. Da segeln die Orden etwas unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung...

Franziska Dieterle: Na ja, beim Thema Frauenbeteiligung ist es einfach, das setzen wir als Frauenorden natürlich um. Bei anderen Fragen, ja, da braucht es vielleicht noch Information und Gespräch und Zeit. Ich frag mich schon, was passiert, wenn die erste queere Person in meine Gemeinschaft eintreten möchte. Auch beim Macht-Thema gibt es bei uns durchaus welche, die gar nicht auf die Idee kommen, dass Macht eine systemische Frage ist. Also kurzum, ich will jetzt nicht behaupten, dass wir die Super-Umsetzer sein werden. Aber wir arbeiten dran.

Simon Hacker: Es wird sicher auch Mitbrüder geben, die ungern den Platz auf der Kanzel räumen und skeptisch sind, wenn Frauen auch predigen sollen. Aber es gibt ja trotzdem Raum für kreative Lösungen:

Ich habe eine Dominikanerin gebeten, bei einem Gottesdienst im Nachgang zu meiner Priesterweihe in einigen Monaten die Predigt zu halten. Sie sagte: 'Mach ich gern, auch wenn das sicher nicht alle meiner Mitschwestern toll finden werden. Aber das müssen die halt durch.' Da ist sicher noch mehr Spielraum für kreative Lösungen.

Katharina Kluitmann: Und ein bisschen von dem Spielraum leben wir schon.

Das Interview führten Joachim Heinz und Karin Wollschläger.

Quelle:
KNA