Donal McKeown ist ein "deutscher" Bischof in Nordirland

"Die Bischöfe sind ziemlich nahbar bei uns"

Ein irischer Bischof mit hessischem Akzent? Das trifft auf Donal McKeown zu, Bischof von Derry in Nordirland, der früher in Deutschland gelebt hat. Wie unterscheiden sich die Länder und ihre Kirchen? Und was sagt er zum Synodalen Weg?

Derry in Nordirland / © Francesco Scatena (shutterstock)
Derry in Nordirland / © Francesco Scatena ( shutterstock )

Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Interview zum Anhören gibt es hier:

Himmelklar: Anfang der 1970er Jahre haben Sie in Deutschland gelebt. Sie haben in Dieburg in Hessen Englisch unterrichet. Danach waren Sie Nordirland-Korrespondent für die Katholische Nachrichten-Agentur. Sie kennen also beide Seiten, Deutschland und Nordirland, auch mit den Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten. – Wie war das die Kirche, dieses Land und auch den religiösen Konflikt einem deutschen Publikum nahezubringen?

Bischof Donal McKeown (Diocese of Derry)

Bischof Donal McKeown (Bistum Derry in Nordirland): Gut, das ist 50 Jahre her. Da gab es den jungen Konflikt im Nordirland der 1970er-Jahre. Die KNA wollte unbedingt jemanden, der sich gut in Nordirland auskannte und diesen Religionskrieg erklären konnte – oder der versuchen konnte, den Konflikt zu erklären.

Die Lage in den beiden Ländern ist ganz unterschiedlich. Deutschland hat 27 Bistümer. Irland hat 26, aber Diözese heißt in Irland etwas ganz anderes als in Deutschland. Und Nordirland ist auch noch mal anders als die Republik Irland. In der Republik war die katholische Kirche relativ stark und es gab Verbindungen mit der Regierung. Im Norden waren wir immer eine Minderheit und hatten wenige Verbindungen mit den Machthabern im nordirischen Parlament. In dem Sinne war die örtliche Identität und damit die Pfarrei zu der Zeit sehr wichtig.

Es gab eine Treue zur Pfarrei und zur Kirche. Das heißt, wenn etwas schief ging, wollte niemand die Kirche kritisieren. Das hatte auch eine negative Seite. Aber die Kirche ist viel örtlicher in Irland als in Deutschland. Ich habe gute Bekannte in Deutschland und kann sagen, dass eine Diözese oder ein Bischof eine andere Bedeutung in Deutschland hat als bei uns in Irland. Bischöfe sind ziemlich nahbar bei uns.

Wenn ich in der Stadt bin, das ist fast jeden Samstag, laufe ich ganz einfach durch die Straßen. Dabei schaue ich, wen ich dort sehe und mit wem ich ins Gespräch kommen kann. Einfach sichtbar und erreichbar zu sein, ist sehr wichtig. Das ist in einer irischen Diözese immer noch möglich, besonders in Derry zum Beispiel, wo die Hälfte der Bevölkerung in der Stadt wohnt.

Himmelklar: Das Bistum liegt ja zum Teil in Nordirland und zum Teil in der Republik Irland. Macht das das kirchliche Leben komplizierter?

McKeown: Das Vereinigte Königreich ist interessant. Es gibt zum Beispiel vier nationale Fußballmannschaften innerhalb eines Staates. Für die Kirche gibt es eine Bischofskonferenz für England und Wales, eine andere Bischofskonferenz für Schottland und wir im Norden Irlands gehören zur irischen Bischofskonferenz. Unser Nuntius ist in Dublin. Es gibt eigentlich vier Bistümer, die teilweise im Norden sind und teilweise in der Republik. Ein Viertel unserer Pfarreien liegt in der Republik.

Das heißt, dass wir zwei Währungen und zwei Schulwesen haben – und die Grenze liegt etwa drei Kilometer von mir entfernt. Viele Leute wohnen drüben und arbeiten hier. Wir wohnen hier und gehen dann hinüber. Die Grenze macht uns nicht allzu viel aus. Die Kirche hat schon viel Erfahrung während des Konfliktes gesammelt – mit einer Grenze, mit Soldaten und mit Polizisten. Aktuell haben wir aber fast keine merkbare Grenze. Für uns ist die Grenze nur wichtig, dass das Tanken drüben weniger kostet.

Die Verbindung innerhalb der Kirche ist anders als in der Politik. Die meisten Leute in Derry fühlen sich sehr mit Donegal verbunden. Donegal ist die Grafschaft in der Republik, die ganz in der Nähe liegt. Zwischen Donegal und Nordirland gibt es vielleicht 150 Straßen. Zwischen Donegal und den anderen Teilen der Republik gibt es zwei Brücken – mehr nicht. Die einzigen Verbindungen sind zwei Brücken, die Donegal mit der Republik verbinden. Donegal fühlt sich mit Derry sehr eng verbunden und wir mit ihnen.

Himmelklar: Ist das nicht von der Organisation kompliziert, wenn Ihre Bischofskonferenz in einer anderen Nation sitzt, als der Bischofssitz?

McKeown: Das stimmt. Es gibt natürlich Schwierigkeiten innerhalb der Bischofskonferenz. Aber es gibt auch nur zwei Diözesen, die ausschließlich in Nordirland liegen. Die meisten von uns haben irgendeine Verbindung mit der Republik. Das Problem für uns im Norden liegt darin, dass wir eigentlich eine eigene kleinere Bischofskonferenz bräuchten – wegen der Schule und wegen der Verbindungen mit den politischen Behörden in Belfast. Wir müssten so eine Sub-Bischofskonferenz haben. Das heißt, dass wir mit der Bischofskonferenz eventuell zweimal arbeiten müssen, aber das schaffen wir schon. Wir haben ziemlich viel Erfahrung, so anstrengend ist es nicht.

Für mich war es anders. Ich war jahrelang in Belfast, ausschließlich innerhalb von Nordirland. Ich habe etliche Sachen lernen müssen, als ich vor acht Jahren umgezogen bin nach Derry. Wie funktioniert die Schule in der Republik? Mit wem spricht man? Und die Kultur ist anders.

Himmelklar: Das heißt?

McKeown: Im Norden haben wir zum Beispiel jahrzehntelang mit vielen Polizisten auf den Straßen leben müssen. In der Republik gibt es hingegen eine bestimmte Freiheit, wenn man an die Gesetze denkt, etwa bei Geschwindigkeitsbegrenzungen und so weiter. Sie haben eine andere Verbindung mit der Regierung und mit dem Staat. Wir machen Witze darüber, aber es ist eine andere Kultur. Wir bekommen unsere Nachrichten im Allgemeinen von der BBC (Rundfunkgesellschaft des Vereinigten Königreichs, d. Red.). Unsere Zeitungen sind nordirische Zeitungen. Drüben in Donegal denkt man eher an Dublin, an RTE (Rundfunkgesellschaft in der Republik Irland, d. Red.) und an Zeitungen aus Dublin. Und es gibt eine andere Mentalität. Das ist kein großes Problem, aber ich habe das lernen müssen, dass man in Donegal anders denkt als im Norden.

Himmelklar: Seit dem Karfreitagsabkommen 1998 gibt es keine Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland und Nordirland mehr, damit wurde die gewaltsame Zeit der "Troubles" größtenteils beendet. Trotzdem hat man den Eindruck, dass seit dem Brexit die Spannungen wieder wachsen. Bei Ihnen in Derry ist vor einigen Jahren sogar eine Journalistin bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Spitzt sich die Lage im Moment wieder zu?

McKeown: Im Allgemeinen geht es uns in Derry sehr gut. Die kirchlichen Gemeinschaften arbeiten gut zusammen. Schon seit Jahrzehnten haben die katholischen und anglikanischen Bischöfe in Derry zusammengearbeitet, auch in Zeiten, in denen die Politiker nicht einmal im selben Gebäude sitzen wollten. Die Verbindungen zwischen den Kirchen sind aber sehr gut. Die Kirchen in Derry spielen, glaube ich, eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben – und das wird geschätzt. Die Kirchen sind Partner im öffentlichen Leben, und das ist für mich sehr wichtig.

Natürlich kann man bei jedem Konflikt fragen: Wer nimmt daran teil? Wer kämpft? Wer ist auf den Straßen? Wer hat die Journalistin erschossen? Die Fragen kann man stellen. Aber es gibt auch die größere Frage: Wer führt wirklich den Konflikt? Nicht die Leute auf den Straßen. Die Frage kann man auch in der Ukraine stellen. Zwischen wem gibt es den Konflikt zum Beispiel in der Ukraine, zwischen Russland und Ukraine oder zwischen dem Osten und Westen?

Das gilt auch bei uns. Der Brexit und das Protokoll haben auch zu Spannungen geführt, aber viele Leute, die die Verbindungen mit London schätzen, werden dafür eintreten und nicht unzufrieden sein, wenn andere kämpfen, um die Verbindung mit London aufrecht zu erhalten. Diejenigen, die sich irisch fühlen, werden versuchen, den Brexit zu nutzen, um die Verbindungen zwischen Belfast und London zu zerstören. Es gibt auf Makroebene Konflikte zwischen Leuten, die nie auf die Straße gehen.

Wir dürfen auch als Kirchen nie die Stimme verlieren, und müssen fragen: Wer kämpft, wer sind aber auch diejenigen, die davon profitieren? Wir versuchen also als Kirchen diese Stimme zu finden und eine Rolle zu spielen, die auch den Starken Fragen stellt. Nicht nur den Armen, nicht nur den Jungen gilt es die Fragen zu stellen, sondern auch die Starken gilt es zu fragen: Wer gewinnt daran? Wer beutet die Schwachen aus?

Himmelklar: Sie haben schon darüber gesprochen, dass die Kirche in Irland anders funktioniert als in Deutschland und dass sie ansprechbarer und näher ist. Nun haben Sie in Irland ja aber auch die schwere Zeit des Missbrauchsskandals durchgemacht. Mein Eindruck ist immer, dass Irland vielleicht zehn bis 15 Jahre weiter ist als Deutschland, wo das ja im Moment sehr heiß und heftig diskutiert wird. Die Kirche hat auch einen großen Teil des Zuspruchs in der Gesellschaft verloren. Wie hat sich die Rolle der Kirche dadurch geändert und auf was können wir uns da auch in Deutschland einstellen? Was werden wir in den nächsten Jahren da mitmachen?

McKeown: Wir haben vor 30 Jahren damit angefangen. Ich habe zum ersten Mal, glaube ich, ungefähr 1991/92 von einem Fall von einem Priester, den ich kannte, gehört, der dann ins Gefängnis gekommen ist. Da habe ich mir gedacht: Wie ist das möglich? An so eine Möglichkeit habe ich nicht mal gedacht.

Wir haben erfahren, dass wir zuhören und die Wahrheit erfahren müssen. Dabei gibt es einen Kampf um die vollständige Wahrheit, die wir über die Geschichte erzählen müssen. Als ich jung war, haben wir zum Beispiel immer eine Geschichte von einer heroischen Kirche gehört. Die haben in Polen gegen Russland gekämpft, in Jugoslawien, in Ungarn, und die großen Missionare haben drüben in anderen Ländern gearbeitet. Die Kirche war glorreich.

Zum einen haben wir so eine Geschichte erzählt, zum anderen haben wir deshalb die Fehler und die Sünden nicht zulassen können. Auf der anderen Seite gibt es nun einen nur negativen Blick auf die Vergangenheit, in der alles schlecht war und in der die Kirche nur dunkel war. Wir ringen jetzt darum zu sagen, wie wir eine vollständige Wahrheit oder ein komplettes Bild über die Vergangenheit erzählen können. Aber zunächst müssen wir zuhören und versuchen, diejenigen, die am meisten gelitten haben, zu verstehen als Menschen.

Wir müssen unsere Fehler bekennen. Und die Fehler im Norden und in der Republik waren andere. In der Republik war die Kirche dem Staat sehr nahe, bei uns im Norden waren die Katholiken eher eine Art geschlossene Gesellschaft innerhalb der größeren Gesellschaft. Wir mussten auf uns selbst achten. Wir hatten die katholischen Schulen, die sehr gut funktioniert haben und die einen Weg zur Freiheit, zur Entwicklung, zur Hoffnung und zur Zukunft angeboten haben. Jedes Land ist anders. Aber es geht darum, die Wahrheit zu erkennen. Wir müssen nicht nur die Wahrheit in den Fällen von Missbrauch erkennen, sondern wir müssen auch erkennen, wo mit Missbrauchsfällen nicht richtig umgegangen worden ist oder wo Bischöfe und andere nicht akzeptieren wollten, dass Missbrauchsfälle in der Kirche überhaupt geschehen konnten.

Wir haben viel gelernt, aber ich glaube, die Kirche in Irland ist zurzeit in keiner sehr schlechten Lage. Wir sind viel freier und wir sind nicht mit der Macht verbunden. Die Verbindung zwischen einer starken Kirche in Deutschland und dem Staat hat Vorteile, sie hat aber auch Schwächen. Wir in Irland haben im Vergleich keine Kirchensteuer. Das, was die Kirche hat, wird jeden Sonntag in den Bänken gesammelt. Sonst haben wir vom Staat kein Einkommen. Das gibt uns eine gewisse Freiheit. In dem Sinne bin ich zufrieden, dass die irische Kirche eher hoffnungsvoll auf die Zukunft schaut. Nicht weil wir sagen, dass wir wieder erstarken werden, sondern weil wir in der Heiligen Schrift lesen, dass Gott eine Zukunft für uns vorbereitet hat.

Synode heißt eigentlich auch zu schauen, wo die Zeichen der Auferstehung sind und wo es Zeichen von Hoffnung für junge Leute innerhalb der Kirche gibt. Es geht nicht darum, was die älteren Leute wollen, sondern darum, was wir Neues innerhalb der Kirche sehen. Auch wenn ich fast 73 Jahre alt bin, bin ich sehr hoffnungsvoll, dass die Kirche in Irland eine Zukunft hat als wichtiger Partner im Staat, aber auch als Augenzeugin für Jesus Christus, für seine Hoffnung und seine Versöhnung. Wie das aussehen wird, habe ich keine Ahnung. Mir ist egal, wie das aussehen wird. Wir müssen den Zeichen des Herrn, den Wegen des Herrn folgen, um zu sehen, wo er uns hinführt. Da gehen wir mit Hoffnung und mit Vertrauen vorwärts. Ich habe keine Angst vor der Zukunft.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

 

Quelle:
DR