Domkapitular von Leicester kritisiert Brexit

"Theresa May spielt ein sehr gefährliches Spiel"

Der Brexit kann dazu führen, dass Großbritannien auseinanderbricht, sagte Johannes Arens, Domkapitular von Leicester, im domradio-Interview. Mit ihrem harten, patriotischen Kurs vergrätze Premierministerin May die Schotten und verunsichere die Iren.

Brexit in London / © dpa (dpa)
Brexit in London / © dpa ( dpa )

domradio.de: Jetzt ist es offiziell: Premierministerin Theresa May hat heute die Austrittserklärung Großbritanniens aus der Europäischen Union eingereicht. Mit dem Brief nach Brüssel ist der Scheidungsprozess in Gang gesetzt und die Verhandlungen mit der EU können beginnen; die Briten müssen sich in den kommenden zwei Jahren mit den Europäern über um die 20.000 Regeln und Gesetze einigen; die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU sollte dann im März 2019 enden. Sie sind Domkapitular an der Kathedrale von Leicester in Mittelengland - wie ist die Atmosphäre im Land?

Johannes Arens: Einige sind begeistert, andere sind ausgesprochen wütend darüber. Das Land ist sehr gespalten in der Frage, denn die Abstimmung war ungefähr halb-halb, und da hat sich nicht besonders viel dran geändert. Vielen Leuten geht aus, dass das nicht so einfach wird. Die Zahl von Gesetzen – das sind etwa 40, 50 pro Tag, die geändert werden müssen, da weiß auch niemand, wie das gehen soll. Nach 40 Jahren EU-Mitgliedschaft hat die britische Bürokratie gar nicht die Expertise. Da wird vielen Menschen sehr mulmig, wenn sie an die nächsten zwei Jahre denken.

domradio.de: Manch einer hatte ja bis zuletzt gehofft, dass sich die Briten doch noch eines Besseren besinnen; aber jetzt hat Theresa May ernst gemacht. Gibt es jetzt keinen Weg mehr zurück?

Arens: Das ist völlig unklar. Da gibt es im Moment ein Gerichtsverfahren anhängig beim Europäischen Gerichtshof, ob denn diese Austrittserklärung wirklich bindend ist, oder ob denn das Parlament in zwei Jahren sagen kann, der Deal gefällt uns nicht und wir bleiben doch in der EU. Und wenn die Austrittserklärung nicht bindend ist, dann kann das durchaus passieren. Therese May bleibt ja nichts anderes übrig, nachdem sie gesagt hat, das Referendum steht, wir machen das, das dann auch wirklich zu tun. Aber die 48 Prozent, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben, fühlen sich überhaupt nicht vertreten, da gibt es eine Riesendemonstration am Samstag mit zigtausend Menschen in London, die sehr deutlich gemacht haben, dass ihnen das nicht passt.

domradio.de: Der Brexit-Entscheid war ja eine knappe Angelegenheit. Und die Europa-Freunde, die haben ja zuletzt auch in Großbritannien lauter von sich hören lassen; zum Beispiel mit einer großen  Pro-EU-Demo in London am vergangen Wochenende zur 60-Jahre-Jubiläumsfeier...Sehen Sie da eine Entwicklung?

Arens: Eher eine Resignation, dass nach dem Referendum viele Leute sagen, dass darf ja wohl nicht wahr sein. Es sind die Alten, die Armen und die Dummen, um es mal ganz böse zu sagen, die für den Brexit gestimmt haben, es gibt ja viele Statistiken. Und viele Leute, die sich wahnsinnig aufgeregt und geärgert haben, dass die ältere Generation mit der Zukunft der jüngeren Generation spielt. Ich denke, die meisten Leute haben sich mittlerweile damit abgefunden, dass das Referendum steht, auch wenn viele Leute ja nicht an die Gültigkeit von Referenden glauben. Wir Deutschen haben ja mit Referenden ganz schlechte Erfahrungen gemacht in den 30er und 40er Jahren. Theresa May spielt ein sehr gefährliches Spiel, meines Erachtens, indem sie diesen sehr harten, patriotischen Kurs ankündigt, der anderen Leuten kaum Spielraum lässt, also mit Maximalforderungen auftritt und damit die Schotten vergrätzt, die Iren machen sich große Sorgen, wie es denn mit ihrem Status aussehen soll, wie es mit dem Friedensprozess weitergehen soll.

domradio.de: Halten Sie es für ein realistisches Szenario, dass Großbritannien auseinanderbrechen könnte?

Arens: Ja, durchaus. Wenn der Deal nach zwei Jahren schlecht ist, dann werden die Schotten für die Unabhängigkeit stimmen, da bin ich mir relativ sicher. Und wir haben jetzt schon die zweithöchste Terrorwarnstufe, nicht nur von Leuten, die einen islamistischen Hintergrund haben, sondern auch von neueren Splittergruppen der IRA. In Irland gibt es eine ganz große Unzufriedenheit. Dass das Thema der harten Grenze zwischen Nord- und Südirland wieder aufs Tapet kommt, macht viele Leute sehr nervös. Der Friedensprozess in Nordirland ist davon massiv gefährdet.

domradio.de: Haben Sie persönlich schon darüber nachgedacht, wie es um Ihre Zukunft als Deutscher in Großbritannien jetzt bestellt ist? Haben Sie darüber nachgedacht, zurückzugehen?

Arens: Ja, habe ich. Ich bin seit zwölf Jahren hier und weiß seit zwölf Jahren nicht genau, wohin ich gehöre. Aber es macht meine Position doch sehr viel wankelmütiger, als sie vorher war. Konkrete Pläne habe ich nicht, im Moment bleibe ich hier, hier ist mein Zuhause. Und das möchte ich mir auch von niemandem nehmen lassen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Dr Johannes Arens SMMS (privat)
Dr Johannes Arens SMMS / ( privat )

Ehemalige Premierministerin Theresa May / © Will Oliver (dpa)
Ehemalige Premierministerin Theresa May / © Will Oliver ( dpa )
Quelle:
DR