Die katholische Theologie-Studentin und christliche "Content Creatorin" Kira Beer macht keinen Hehl aus der Spannung zwischen Glauben und Alltag. In den sozialen Medien teilt sie ihr "Ringen mit Gott" – so nennt sie es selbst. Offen, ehrlich und ungeschönt. Für sie sei der Glaube das Beste, was ihr je passiert ist, und doch kennt sie auch die leisen Töne des Zweifelns. Die Distanz, das Hadern mit der eigenen Rolle als Frau in einer männlich geprägten Kirche. Ihre digitale Präsenz sei ein Ort der Transparenz. "Ich halte das für eine realistische Gottesbeziehung“, sagt sie.
Sie möchte sich ganz bewusst nicht als "Christfluencerin" bezeichnen. Denn "Influencing" verbinde man mit Werbung. "Ich werbe nicht für Produkte und auch nicht für Gott. Ich teile mein Leben und wie Gott darin eine Rolle spielt. Ich habe aber nicht die Absicht, jemanden zu bekehren", so die 25-Jährige.
Weg von den Klischees
Die sozialen Medien können Orte der Aufklärung sein, sagt die Theologin. Ein Raum, der neue Perspektiven eröffnen könne.
"Indem man ein alternatives – in meinem Fall auch ein progressives und feministisches Christentum vorstellt", so die angehende Theologin, lasse sich zeigen, dass Glaube heute ganz anders aussehen kann, als viele denken. Selbst für jene Menschen, die nicht mehr viel Bezug zu kirchlichen Institutionen haben. Über die sozialen Medien könne man anderen den Glauben über den Algorithmus "einfach mal so hineinspülen", sagt sie.
Komplexe Fragen, simple Antworten?
Bei Kurzformaten wie Reels auf Instagram und TikTok sehe sie aber auch Risiken: "Es ist Vorsicht geboten. Man sollte nicht zu simple Antworten auf komplexe Fragen geben“, mahnt die Content-Erstellerin.
Besonders junge Menschen seien für solche kurzen Antworten empfänglich, sagt die Professorin für Medienethik an der Universität Innsbruck, Claudia Paganini. "Jugendliche sind in der Regel nicht mehr eng angebunden an die institutionelle Kirche. Egal, ob es sich um katholische oder evangelische Strukturen handelt.“ Die kirchliche Sozialisation sei weniger vorhanden, Orientierungsfragen und Sinnsuche bestünden aber weiterhin. "Wenn ich nicht einer Ministrantengruppe angehöre, in der ich Sinnfragen bespreche, ist es naheliegend, dass ich diese Antworten online suche“, so die Professorin.
Wenn der Scheint trügt
Junge Menschen stoßen zunehmend auch auf Christfluencerinnen und Christfluencer, die sich zwar modern präsentieren – inhaltlich aber konservative bis klar rechte Weltbilder vertreten. Die Wertebasis dieser Influencerinnen und Influencer sei manchmal schwierig zu erkennen, da sie subtil vermittelt werde, stellt Paganini fest. "Sie kommen auf den ersten Blick harmlos und lieb daher. Sie zeigen sich als das nette Mädchen von nebenan, mit dem man gerne plaudert", so die Medienethikerin. Dahinter würden sich aber exklusive, menschenverachtende und rechte Positionen verbergen. "De facto erkennt man auch eine Nähe zur AfD und zu anderen Gruppierungen", fügt sie hinzu. Paganini hält dies für ein sehr gefährliches Phänomen und erkennt eine potenzielle Gefahr für die Demokratie.
Der Influencer Leonard Jäger bezeichnet sich im Netz als "Ketzer der Neuzeit". Er zeigte sich medial bereits während eines Interviews mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel begeistert, posierte für Instagram mit Donald Trump und sei in rechts-konservativen Kreisen und mit radikalen US-Evangelikalen vernetzt. Akteure wie er seien im Netz immer weniger versteckt, gewinnen an Reichweite, beobachtet Kira Beer. Die Auswirkungen dieser Entwicklung seien gesellschaftlich noch unterschätzt. "Ich empfinde Wut und Trauer darüber, dass unsere inklusive und weltoffene Botschaft verdreht wird und rechten Ideologien dient", zeigt sich Beer betroffen.
Mehr Diskurs und Wertschätzung gewünscht
Was hilft gegen rechte Tendenzen im digitalen Glaubensraum? Für die angehende Theologin Kira Beer ist klar: Es brauche mehr theologische Bildung – und das in allen Medienformaten. Gerade bei kritischer Berichterstattung über christliche Inhalte beobachte sie oft eine gewisse Oberflächlichkeit. Dazu gehöre auch, dass differenziert aufbereitete Inhalte christlicher Creatorinnen und Creator als wertvolle Form der Aufklärung anerkannt und geschätzt würden. Nur wer religiöse Aussagen einordnen und hinterfragen könne, sei in der Lage, sich wirklich mit ihnen auseinanderzusetzen.
"Es passiert nicht so oft, dass es auch wirklich einen Diskurs gibt", beobachtet sie. Man müsse aber dem auch gerecht werden, was es zu sagen und zu diskutieren gäbe. Um das zu ändern, brauche es neben den schnellen Formaten auf Instagram und TikTok auch Räume für Tiefe – etwa in Form von Podcasts oder längeren Gesprächen.
Die Medienethikerin Claudia Paganini knüpft an diese Gedanken an. "Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Glaubensüberzeugungen stärker reflektieren. Dass nicht alles so sakrosankt ist, was mit dem Glauben zu tun hat", äußert sie sich.
Wie kann Glaube reifen?
Gerade in ihrer eigenen Arbeit merke sie, wie sensibel viele Menschen auf religiöse Themen reagieren. Sie publiziert regelmäßig Sachbücher zu Glaubensfragen – und bekommt daraufhin oft extrem emotionale Rückmeldungen. Schon das bloße Ansprechen religiöser Themen könne heftige Reaktionen auslösen, selbst wenn es gar nicht darum gehe, jemandem den Glauben auszureden.
Für Paganini sei das ein Anzeichen für eine wachsende, fundamentalistisch geprägte Religiosität. Das sei zwar nicht überraschend, aber durchaus bedenklich – schließlich befinde sich unsere Gesellschaft inmitten multipler Krisen. Auch der mediale Umbruch sei eine große Herausforderung. Solche tiefgreifenden Veränderungen hätten in der Mediengeschichte immer wieder kollektive Verunsicherung ausgelöst.
Die Medienethikerin beobachtet: In Krisenzeiten steige die Polarisierung – und mit ihr das Bedürfnis nach klaren, eindeutigen Antworten. Genau das bedienten viele religiöse Content-Ersteller, die einfache Botschaften verbreiteten. Doch gerade das, so meint sie, verhindere, dass sich ein Glaube wirklich entfalten und reifen könne.