Flüchtlingshelfer berichtet vom Ärmelkanal

"Diesen Ort verlässt man nicht"

Seit Jahren harren hunderte von Geflüchteten und Migranten im Norden Frankreichs aus - in der Hoffnung, nach England zu kommen. Der Student Jonathan Becker hat über Weihnachten und Neujahr als Flüchtlingshelfer gearbeitet.

Räumung des Flüchtlingslagers in Calais / © Thibault Vandermersch (dpa)
Räumung des Flüchtlingslagers in Calais / © Thibault Vandermersch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Seit gut einer Woche sind Sie wieder zurück in Deutschland. Sind sie schon "angekommen" oder in Gedanken noch in Frankreich?

Jonathan Becker (Student und freiwilliger Flüchtlingshelfer): Nein. Ich bin vor einer Woche wieder gut angekommen, würde ich sagen. Natürlich bleibt man in Gedanken weiter dort und ich denke, das wird sich auch über die nächsten paar Wochen und Monate so weiter ziehen. So richtig verlassen tut man diesen Ort nicht. Nein.

DOMRADIO.DE: Wie sieht dieser Ort denn aus? Wie muss ich mir das vorstellen?

Becker: Calais und Dünkirchen, an beiden Orten war ich tätig in diesen zwei Wochen, sind zwei Hafenstädte an der Nordküste Frankreichs. Sie liegen in unmittelbarer Nähe zum englischen Festland auf der anderen Seite, an den kürzesten Stellen nur 18 km entfernt. Das sind auf der einen Seite ganz normale französische Kleinstädte, aber auf der anderen Seite auch Punkte, an denen viele Geflüchtete aus weiten Teilen der Welt zusammenkommen und dort in kleineren Camps ausharren, um auf ihre Chance zu warten, diesen Kanal zu überqueren, um nach England weiter zukommen.

DOMRADIO.DE: Heißt sie haben es schon mal in die EU, nach Frankreich, geschafft, Ziel ist dann aber Großbritannien?

Becker: Ja, allerdings für die meisten nicht das erste Ziel. Ich habe sehr viele Menschen kennengelernt - gerade in Dünkirchen, wo die Gemeinschaft größtenteils kurdisch ist - die fünf Jahre, sechs Jahre lang in Deutschland gelebt haben, die teilweise hier geboren sind und für die eigentlich das Ziel war, hier in Deutschland Fuß fassen zu können, was ihnen nicht erlaubt wurde. Deshalb machen sie sich nun weiter auf den Weg. Für viele ist irgendwo die letzte Möglichkeit oder die letzte Hoffnung, in Großbritannien dann endlich aufgenommen zu werden.

DOMRADIO.DE: Wie stellt sich die Lage denn momentan dar in Calais und Dünkirchen für die Menschen? Es handelt sich ja da nicht nur um ein paar Menschen, sondern um einige hundert. Darunter dann auch sogar Familien, oder?

Becker: Ja, es gibt einige Familien, im Winter nicht allzu viele. Einige der Familien suchen sich im Winter größere Städte oder werden glücklicherweise auch von den Präfekturen der Umgebung in Wohnungen oder Häuser gebracht, um dort den Winter zu verbringen. Aber für den Rest ist die Situation sehr schlimm. Denn auch in Calais und Dünkirchen wird es immer kälter. Unsere Winter sind nicht nur kalt und mit Schnee, sondern auch besonders verregnet. Genauso sieht es dort aus. Es ist sehr kalt, gerade den Nächten unter Null und es regnet viel. Die Menschen müssen weiterhin in Zelten wohnen. Teilweise werden sie auch weiterhin aus diesen Zelten gezwungen von der Polizei und haben dann nichts mehr für die Nächte.

DOMRADIO.DE: Über Weihnachten sind Sie dann dort hingefahren, haben sich einer Organisation angeschlossen, die den Menschen dort versucht zu helfen, sie zu versorgen. Und sie haben vorher dann fleißig in ihrer Gemeinde Spenden gesammelt. Was wird denn dort am dringendsten benötigt?

Becker: Am nötigsten werden Schlafsäcke benötigt sowie Decken und Zelte. Da diese bei den Unmengen von Räumungen, die vor Ort stattfinden, immer wieder von der Polizei einkassiert und zerstört werden. Das heißt, fast alle zwei bis drei Tage kann man vor Ort wieder neue Zelte und auch Schlafsäcke rausgeben, um die Menschen vor der Witterung zu schützen. Und natürlich auch Winterjacken, denn Winterjacken sind etwas, das man auch dann behalten kann, wenn die Polizei das Zelt einsammelt und die einen weiterhin warm halten.


Quelle:
DR