Die Vorwürfe gegen Kurienkardinal Pell werden auch instrumentalisiert

"Katholikenjagd" in Australien

Vatikan-Finanzchef George Pell nimmt eine Auszeit und kehrt nach Australien zurück, wo er sich den Vorwürfen sexuellen Missbrauchs stellen will. Dort gibt es nun massive Vorverurteilungen, die sogar das ganze Verfahren zu Fall bringen könnten. 

Auszeit: der australische Kurienkardinal George Pell / © Gregorio Borgia (dpa)
Auszeit: der australische Kurienkardinal George Pell / © Gregorio Borgia ( dpa )

domradio.de: Sie haben die australische Staatsbürgerschaft und sind ein Kenner der katholischen Kirche in Australien. War denn Kardinal Pell in seiner Zeit als Bischof in Australien auch umstritten?

Anian Christoph Wimmer (Chefredakteur der deutschen Ausgabe der internationalen Catholic News Agency): Er war schon damals schwer unter Beschuss und in der Öffentlichkeit Zielscheibe ähnlicher Schlagzeilen wie heute. Die Diskussion ist so alt wie die Vorwürfe.

domradio.de: Und wie ist momentan die Stimmung in Australien in dieser Angelegenheit?

Wimmer: Heute war in Australien auf Twitter der Hashtag "HuntingCatholics", also "Katholikenjagd", ganz populär. Der Staatsanwalt und der Polizeichef haben die Presse sogar gebeten, nicht zu antikatholisch zu berichten, weil sonst der Prozess in Gefahr ist.

In Australien werden gerne die Opfer sexuellen Missbrauchs instrumentalisiert um Stimmung gegen die katholische Kirche zu machen. In den sozialen Medien wird die Kirche als Club pädophiler alter Männer bezeichnet und vieles anderes mehr. Das spielt den politischen Provokateuren in die Hände. Vor allem am rechten Rand wird versucht, eine Art Katholikenjagd zu initiieren, die sich dann möglichweise tatsächlich erfüllt. Es kommen viele Emotionen hoch und es werden Empörungsspiralen erzeugt - gerade in den sozialen Medien.

Das Schlimme daran ist auch: Wenn ein Richter entscheidet, dass die Vorverurteilung gegen Pell und die Kirche in den Medien und in der Gesellschaft Ausmaße annimmt, die eine faire Urteilsfindung unmöglich machen, dann würde das bedeuten, dass Kardinal Pell kein Urteil erfährt und mögliche Opfer keine Gerechtigkeit empfinden können. Dann könnte nämlich das Gerichtsverfahren abgebrochen werden. Gerade für mögliche Opfer wäre das natürlich verheerend.

domradio.de: Vor einem dreiviertel Jahr ist Pell schon einmal verhört worden, was war da der Grund?

Wimmer: Das war eine Art Untersuchungskommission, die weitreichende außerparlamentarische Funktion hat und den Auftrag hat, Missbrauch in den australischen Institutionen zu analysieren. Damals ging es um den Vorwurf der Vertuschung eines erwiesenen sexuellen Missbrauchs durch einen Priester. Pell wurde zur Last gelegt, dass er da Bescheid gewusst habe vor vielen Jahren. Das hat er abgestritten.

domradio.de: Es gibt nun noch einen Fall von einem 12-jährigen Jungen, der sagt, Pell hätte ihn in einem katholischen Jugendlager sexuell belästigt. Der Kardinal hat heute auch da alle Anschuldigungen von sich gewiesen. Wie sieht es aus mit dem Papst? Er hatte Pell erst vor drei Jahren befördert: zum Leiter des neugegründeten vatikanischen Wirtschaftssekretariates. Steht er noch hinter seinem Mitarbeiter?

Wimmer: Ja, offensichtlich schon. Er hat ihn ja nur beurlaubt und nicht des Amtes enthoben. Er hat ihn heute sehr stark gelobt und gewürdigt für seinen Einsatz als Bischof in Australien eben genau bei der Prävention von Missbrauch. Pell ist ja in der Tat einer der führenden Köpfe der Prävention und Aufarbeitung von Missbrauch.

Hier scheint also kein Vertrauensbruch vorzuliegen, den die Medien ja schon seit langem beschreiben.

domradio.de: Der Grund, warum und wofür genau sich der Kardinal im nächsten Monat vor Gericht verantworten muss, ist offiziell nicht bekannt. Es wird aber sicher schwer für ihn sein, sich zu rehabilitieren, selbst wenn er freigesprochen wird. Wird er weiter auf dem hohen Posten im Vatikan arbeiten können?

Wimmer: Das hängt vom Papst ab. Erst einmal muss das Gericht entscheiden. Wir wissen wirklich überhaupt nichts. Pell wurde einmal eines Missbrauchs bezichtigt und davon freigesprochen. Was jetzt konkret die Polizei in Victoria ermittelt hat, wurde noch nicht mitgeteilt. Wir wissen nur, dass es sich wohl um mehrere Jahrzehnte zurückliegende Fälle handelt.

Wir werden abwarten müssen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Der australische Kurienkardinal George Pell / © Andrew Medichini (dpa)
Der australische Kurienkardinal George Pell / © Andrew Medichini ( dpa )
Quelle:
DR