Die muslimische Politikerin Lale Akgün zum Burka-Verbot in Frankreich

"Das hat mit Religion nichts zu tun"

Frankreich setzt ein erstes offizielles Zeichen gegen die volle Verschleierung: Das Tragen der Burka soll eingeschränkt werden. Nach dem Schweizer Minarettverbot ein weiterer Affront gegenüber dem Islam? "Nein", sagt Lale Akgün, der Ganzkörperschleier sei "menschenverachtend" und habe "nichts mit Religion" zu tun. Im domradio-Interview spricht sich die muslimische SPD-Politikerin für einen liberalen Islam aus.

 (DR)

domradio: Eines der Argumente zum Beispiel des französischen Staatspräsidenten Sarkozy ist: Die Frauen würden sich beim Burka-Tragen freiwillig unterwerfen. Teilen Sie diese Meinung?
Akgün: Nein, auf keinen Fall. Ich würde die Burka auch nicht mehr als Kleidungsstück bezeichnen, sondern als ein Ganzkörpergefängnis. Ich glaube nicht, dass ein Mensch, der sich von oben bis unten völlig verschleiert, sich freiwillig in so ein Gefängnis begibt.  

domradio: Verletzen solche Verbote die Religionsfreiheit der Muslime, oder werden hier Menschenrechte gegen eine repressive Religion durchgesetzt?
Akgün: Das hat mit Religion überhaupt nichts mehr zu tun. Wenn jemand behauptet, dass die Burka irgendeine islamische Vorschrift sein könnte, geht das in die völlig falsche Richtung. Wir müssen ganz klar sehen, dass die Burka eine tiefe Menschenrechtsverletzung ist - sogar jenseits von Frauenrechten. Denn es arbeitet gegen die Entfaltung des Menschen! Wir sollten an dieser Stelle mal ganz klar und deutlich sagen, was Sache ist. Und nicht das Hintertürchen offen halten: Man könnte ja, und man sollte ja...

domradio: Also keine Toleranz gegenüber Burkas?
Akgün: Wer an der Stelle Toleranz zeigt, duckt sich vor etwas. Es ist für mich etwas, das höchst menschenfeindlich ist.

domradio: Erst das Verbot des Baus von Minaretten in der Schweiz, jetzt das mögliche Burka-Verbot in Frankreich. Ist da eine Art Islamphobie in Europa auf dem Vormarsch?
Akgün: Dieses Wort ist eine Art Mehrzweckwaffe, die man immer rausholen kann - je nachdem, wer gerade das Sagen hat oder welches Thema man verteidigen möchte. Wir sollten uns das differenzierter anschauen. Bei den Minaretten hat die Angst der Menschen eine große Rolle gespielt, die Debatte war ein Symptom für viele Probleme, die sich über Jahre angestaut haben und in den Minaretten ihren Ausdruck gefunden haben. Nichts anderes ist das. Und darüber müssen wir reden, nicht über Minarette, sondern über die Ängste der Menschen: Was das für sie heißt, wenn sich eine bestimmte Form von Islam in ihrem Land breit macht. Die Burka ist etwas anderes, etwas, über das ich gar nicht mehr diskutieren will.

domradio: Was müssen wir tun, um den Menschen ihre Ängste zu nehmen?
Akgün: Da müssen sie den Angstbegriff noch weiter fassen. Ich bin selber eine liberale Muslimin. Und was ich da manchmal auf dem islamischen Markt zusammenbraut, macht auch mir Angst. Die Angst ist nicht exklusiv für Nicht-Muslime, sondern es gibt durchaus auch Muslime, die Angst haben, vor dem, was sich an vertikalem Islam in diesem Land auch zusammenbraut. Das müssen wir sehen. Und wir müssen viel mehr den liberalen Islam stärken - auch gegen bestimmte Verbände und Vereine. Und dafür sorgen, dass er mehr zum Zuge kommt. Denn das, was sich oft als offizieller Islam in Deutschland zeigt, macht kein gutes Gefühl bei den Menschen.

Das Gespräch führte Stephanie Gebert.