In den USA haben Verschwörungstheoretiker weiter viele Anhänger

Die Lust auf eine alternative Realität

Die USA sind an "alternative Wahrheiten" gewöhnt. In der Corona-Krise lobte Trump Erfolge, obwohl die Zahl der täglichen Neuinfektionen in die Höhe ging. Rechte Publizisten behaupten, Medien würden die Pandemie übertreiben, um Trump zu schaden.

Demonstrant mit einer Schutzkonstruktion und einem Q für "QAnon", Zeichen einer Verschwörungstheorie / © Christophe Gateau (dpa)
Demonstrant mit einer Schutzkonstruktion und einem Q für "QAnon", Zeichen einer Verschwörungstheorie / © Christophe Gateau ( dpa )

Es geht nicht nur um Corona: Unter dem Namen "QAnon" drängt sich seit gut drei Jahren ein düsteres und für Außenstehende bizarres Weltbild mit wachsendem Erfolg in das öffentliche Bewusstsein. Die Anhänger dieser Denkrichtung warnen vor einer enormen Verschwörung gegen Amerika, vor der sie nur jemand wie Donald Trump retten könne.

"Q" steht für eine angeblich im US-Regierungsapparat sitzende anonyme Figur, die häppchenweise Geheiminformationen enthüllt. Dabei geht es um eine "deep state"-Verschwörung durch ein verborgenes antidemokratisches Netzwerk gegen Amerika und über die Macht einer "globalen Elite". Die QAnon-Bewegung habe es geschafft, von "paranoiden Katakomben einer Online-Subkultur" in den Mainstream der konservativen Bewegung zu gelangen, analysiert der Menschenrechtsverband "Anti-Defamation League".

Trump und QAnon

US-Präsident Trump retweetet gelegentlich Posts aus dem Q-Umfeld. Rund ein Dutzend republikanische Kongresskandidaten, die im November bei den Kongresswahlen auf dem Stimmzetteln stehen, haben QAnon-freundliches Material online verbreitet, wie der Medieninformationsdienst mediamatters.org dokumentiert.

In der QAnon-Welt ist die politische Opposition mit den beiden Feindbildern Hillary Clinton und dem Investor George Soros besetzt. Das im Februar dieses Jahres gescheiterte Amtsenthebungsverfahren gegen Trump sei ein Coup-Versuch gewesen, heißt es. Ein Kommentar im Wirtschaftsmagazin "Forbes" warnte Anfang Juli davor, QAnon instrumentalisiere die gegenwärtige Unsicherheit durch die Corona-Pandemie. Das bedrohe die Regierung und die Wirtschaft in den USA.

Unorganisierte Struktur

Bei QAnon kann man nicht Mitglied werden, es gibt keine Sprecher oder Vordenker. Thesen werden auf anonymen Konten in den sozialen Medien verbreitet. Bei republikanischen Veranstaltungen sieht man hin und wieder Leute mit einem "Q"-Schild oder einem "Q"-T-Shirt.

Der Direktor des evangelikalen "Billy Graham Center", Ed Stetzer, sagte jüngst im Magazin "Christianity Today", es gebe Christen, die wegen ihres Misstrauens gegenüber den Medien anscheinend besonders anfällig für Verschwörungstheorien seien. Das wird in einigen Q-Verlautbarungen ausgenutzt, indem dort in religiöser Sprache von "Endzeit" oder einer bevorstehenden "Erweckung" gesprochen werde

Die Politik ist ratlos

"A Lot of People are Saying" (Viele Leute sagen) lautet ein aktueller Buchtitel über Verschwörungstheorien. Es sei kaum möglich, das Phänomen zu verstehen und darauf Antworten zu finden, so die beiden Autoren, die Soziologin Nancy Rosenblum und der Politikwissenschaftler Russell Muirhead. Das sei sehr frustrierend. Das "Verschwörungswesen" ("conspiracism") "untergräbt die Legitimität der Demokratie und bietet keine Alternative an", schreiben die beiden. Sein Hauptmerkmal sei sein "Angriff auf die Realität".

Donald Trump ist offenbar wie geschaffen für diese Bewegung. Und er profitiert davon. Trump war führend bei der Kampagne, die Barack Obamas Geburtsurkunde infrage stellte. Mit der Veröffentlichung der Urkunde war der im US-Bundesstaat Hawaii geborene Obama dann selbst Verschwörungstheorien über eine angebliche Geburt im Ausland entgegengetreten. Rosenblum und Muirhead schreiben: Moderne Verschwörungstheorien hätten zwei Ziele: Institutionen delegitimieren und die Bevölkerung desorientieren.

Der 1970 verstorbene Historiker Richard Hofstadter analysierte in den 60er Jahren in heute vielzitierten Essays über den seiner Ansicht nach weit verbreiteten "paranoiden Stil" in der amerikanischen Politik. Amerikaner hätten im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Verschwörungen entdeckt. Einmal waren es die Freimaurer, dann die Katholiken gegen das protestantische Amerika und im Kalten Krieg schließlich die Unterwanderung der Regierung durch die Kommunisten. Ganz so neu ist das QAnon-Weltbild also nicht.

Konrad Ege


Donald Trump, Präsident der USA / © Patrick Semansky/AP (dpa)
Donald Trump, Präsident der USA / © Patrick Semansky/AP ( dpa )
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epd