Wie die Religionsgemeinschaften bei der US-Wahl abgestimmt haben

Die katholische Stimme hat nicht immer Recht

Lange galt es als Binsenweisheit: Wen die Katholiken wählen, der wird auch US-Präsident. 2020 ist für die USA ein ungewöhnliches Wahljahr. Erstmals seit langem könnten die Katholiken auf der Seite der Verlierer stehen, bis auf einen.

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
US-Wahl und Religion / © Joaquin Corbalan P (shutterstock)
US-Wahl und Religion / © Joaquin Corbalan P ( shutterstock )

Vorab: Alles, was hier aufgelistet ist, kann sich in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen noch ändern. Die Wahlzettel sind noch nicht in allen Bundesstaaten ausgezählt, und alle Daten in diesem Artikel beziehen sich auf Umfragen und Prognosen, die von verschiedenen Stellen vor und nach dem Urnengang erhoben wurden.

Die meisten Befragungen - und die bisherigen Ergebnisse der Auszählungen - lassen vermuten, dass der Demokrat und Katholik Joe Biden die Wahl gewinnen wird. Die Katholiken selber haben aber wohl zum großen Teil für den amtierenden Präsidenten Donald Trump gestimmt.

Katholiken für Trump

So sprechen sogenannte "Exit Polls" der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) davon, dass 61 Prozent der Katholiken für Trump gestimmt haben. Zahlen der New York Times (68 Prozent) und von NBC (66 Prozent) scheinen den Trend zu bestätigen.

Das kommt auch nicht wirklich überraschend. Zwar hat die US-Bischofskonferenz keine Wahlempfehlung ausgesprochen, sich aber ganz klar für den Schutz des ungeborenen Lebens oder die Religionsfreiheit eingesetzt. Beides Punkte, die Trump im Wahlkampf oft betont hat.

Umso mehr überrascht es aber, dass das Meinungsforschungsinstitut "Pew" bei der letzten Vor-Wahl-Umfrage Anfang Oktober noch prognostiziert hat, dass nur 44 Prozent der Katholiken für Trump stimmen würden. Diese Vorhersage scheint sich nicht bestätigt zu haben.

Biden für Katholiken wählbar?

Trotzdem scheint es so, als ob Joe Biden ins Weiße Haus ziehen wird - und das als erst zweiter Katholik nach John F. Kennedy. Warum haben die Katholiken nicht "einen von Ihnen" gewählt? Eine große Rolle spielt die Frage des Abtreibungsrechts, wo sich Biden klar auf seiner Parteilinie "Pro Choice" – liberale Abtreibungspolitik - bewegt, obwohl er vorab auch betont hat, dass er das Thema als Katholik persönlich anders beurteilt.

Für viele Katholiken ist das Thema Abtreibung wahlentscheidend, erklärt der Salzburger Theologe und USA-Kenner Andreas G. Weiß im DOMRADIO.DE-Interview: "Die Art und Weise, wie Joe Biden in der Abtreibungsfrage Politik macht, stößt vielen sauer auf. Auch sehr viele katholische Bischöfe haben im Vorfeld der Wahl signalisiert, dass ein Katholik nicht Joe Biden wählen und damit quasi die Legalisierung der Abtreibung unterstützen könnte."

Es gäbe zwar auch die andere Seite, die liberalen Katholiken, wie Kardinal Joseph Tobin, Erzbischof von Newark, die betonen, dass Katholiken nach ihrem Gewissen, nicht nach Parteizugehörigkeit abstimmen sollen. Gerade hier zeige sich bei den Katholiken der gleiche Riss, der auch durch die ganze Gesellschaft gehe, so Weiß. Die Katholiken sind die größte einzelne christliche Gruppe mit 20 Prozent Anteil an den US-Christen.

Trump für Katholiken wählbar?

Aber ist Trump für Katholiken denn wählbarer? Er unterstützt zwar den Schutz des ungeborenen Lebens, aber dafür auch die Todesstrafe, die zuletzt auch Papst Franziskus in der neuen Enzyklika "Fratelli tutti" strikt abgelehnt und verurteilt hat. 

Viele Gläubige sehen in Trump eine Art "Mittel zum Zweck". Mit Blick auf die Evangelikalen erklärt das der amerikanische Soziologieprofessor Philip Gorski im Interview: "Es gibt viele, die ihm das zwar alles nicht so recht abnehmen, in ihm aber eine Art starken Beschützer sehen, weil sie sich in der US-Gesellschaft unterdrückt und an den Rand gedrängt fühlen.“ 

Unterstützung der Evangelikalen

Die evangelikalen Christen gelten als größte Unterstützer Trumps. Zusammengezählt machen sie 27 Prozent der Christen in Amerika aus. Nach den ersten "Exit Polls" haben 76 Prozent von ihnen die Republikaner gewählt. Überraschenderweise sind das aber weniger als erwartet. Vor den Wahlen lag die Prognose bei 80 Prozent, Trump hat hier also an Rückhalt verloren, wenn man den Umfragen glauben kann. Vier Prozent erscheinen zwar auf den ersten Blick nicht viel, damit läge Trump aber hinter seinem Ergebnis von 2016, und auch hinter dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten von 2012, Mitt Romney.

Die Evangelikalen stehen also noch deutlicher hinter Trump als die Katholiken. Für den Soziologen Gorski, der an der US-Eliteuniversität Yale unterrichtet, keine Überraschung: "Im Gegensatz zu den Evangelikalen sind die Katholiken heterogener und weniger nationalistisch."

Juden für Biden

Traditionell unterstützen die Juden in Amerika die Demokraten. Trotzdem hat Präsident Trump nach den Umfragen in ihrer Gunst zulegen können. Obwohl die jüdische Bevölkerung nur drei Prozent der US-Einwohner ausmacht, hat Trump in seiner ersten Amtszeit viel für ihre Unterstützung getan. Schlagzeilen hat zum Beispiel der Umzug der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem gemacht, womit die USA als erste Weltmacht Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt haben.

Ein Schritt, dem mehrere Länder seitdem gefolgt sind. Zustimmung mag aber auch sein Bemühen um Frieden im Nahen Osten gebracht haben. Trumps Regierung hat Friedensverträge zwischen Israel und Saudi-Arabien sowie mit Bahrain vereinbart. Und dafür sind ihm wohl auch die US-Juden dankbar – zum Teil zumindest.

Glaubt man den Umfragen der AP, dann hat die Unterstützung für Trump unter den Juden bei der aktuellen Wahl um sechs Prozent zugenommen: Von 24 auf 30 Prozent. 69 Prozent der jüdischen Wähler haben aber trotzdem Joe Biden und die Demokraten unterstützt.

Der ehemalige US-Diplomat Stuart Eizenstat gibt für die Biden-Unterstützung der Juden im CNN-Interview drei Gründe an: Der zunehmende Antisemitismus in der Trump-Ära, die Bedrohung Israels durch den Iran und die Corona-Pandemie, durch die sich gerade jüdische Rentner bedroht fühlten.

Die "Nones"

Es gibt aber noch eine weitere Wählergruppe, bei der Biden große Zustimmung findet. Eine Gruppe, die laut AP-Umfragen zu 72 Prozent Demokraten gewählt hat, die größten Biden-Befürworter also. Eine Gruppe, die inzwischen ein Viertel der US-Gesellschaft ausmacht, und deren Zahlen stetig wachsen. Das ist die Gruppe der "Nones", die ihren Religionshintergrund mit "nicht vorhanden" - None - angeben, die Atheisten also. Die USA sind noch mehr im Glauben verwurzelt als Deutschland oder Europa. Das Tischgebet oder der Sonntagsgottesdienst sind für viele Familien auch im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit.

Trotzdem: Die Zahl der Atheisten nimmt stetig zu. Eine Gruppe, die mit Werten wie Religionsfreiheit oder Lebensschutz in der Regel nicht begeistert werden kann. Ein atheistischer Präsident sei zwar auch 2020 nicht vorstellbar, aber – so Soziologe Gorski – das ändert sich: "Noch zu Obamas Zeiten hätte man sich schwer getan, einen Atheisten als Präsident zu haben, aber mittlerweile ist das denkbar."

Fazit: Religion wird politischer

Blickt man das komplette Wählerfeld in den Umfragen an, so lässt sich eine interessante Unterscheidung treffen. Christen wählen mehrheitlich Trump. Alle anderen Religionsgemeinschaften tendieren zu Biden. Protestanten, Katholiken, Mormonen und andere Konfessionen unterstützen Trump und die Republikaner alle mit mehr als fünfzig Prozent. Juden, Muslime, Anders- oder Nichtgläubige tendieren durch die Bank zu den Demokraten.

Auch das ist für Philip Gorski keine Überraschung: "Es gibt zunehmend das Phänomen, dass sich religiöse und parteipolitische Identität decken. Das gab es in den vergangenen Jahrzehnten nicht, wenn man sich zum Beispiel Umfragen aus den 1970er Jahren anschaut: Damals konnte man nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde voraussagen, wie eine Person wählt. Heute kann man das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit."


Joe Biden / © Paul Sancya (dpa)
Joe Biden / © Paul Sancya ( dpa )

Donald Trump, Präsident der USA / © Evan Vucci (dpa)
Donald Trump, Präsident der USA / © Evan Vucci ( dpa )

Prof. Philip Gorski / © Philip Gorski (privat)
Prof. Philip Gorski / © Philip Gorski ( privat )

Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser (privat)
Andreas G. Weiß / © Lorenz Masser ( privat )
Quelle:
DR