Die katholische Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin wird 100 Jahre alt

100 Jahre Bücher, Beistand und Berliner Charme

Seit einem Jahrhundert trotzt der Buchladen in Berlin den Umbrüchen der Zeit. Bettina Klinkmann führt das Sonnenhaus in dritter Generation mit Witz, Widerstandskraft und einer Kundschaft, die mehr ist als nur Publikum.

Autor/in:
Heike Sicconi
Die christliche Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin wird 100 Jahre alt.  / © Heike Sicconi (DR)
Die christliche Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin wird 100 Jahre alt. / © Heike Sicconi ( DR )

Mitten im Herzen von Berlin-Mitte, dem Kiez, wo sich Touristen mit Hipstern mischen, in einer ruhigen Fahrradstraße, prangt unübersehbar ein großes Schild mit der Aufschrift 100 über einem Schaufenster. 

Auf den ersten Blick ist die religiöse Ausrichtung der Buchhandlung nicht zu erkennen. In dem Drehgestell vor dem Eingang laden Postkarten mit witzigen Sprüchen zum Stöbern ein. In Kisten warten Bücher-Restposten für ein und zwei Euro auf preisbewusste Leser. In der Auslage des Schaufensters verliert sich der Betrachter in einem wimmelbildhaften Sammelsurium von Büchern, Täschchen und Plakaten. 

Und in der Mitte steht in einem Holzrahmen das Schwarz-Weiß Portrait des Mannes, der diese Buchhandlung am 2. Mai 1925 gegründet hat – Rudolf Ziegler. 

Rudolf Ziegler, Gründer der Buchhandlung Sonnenhaus, mit Tochter Heidrun Klinkmann im Ladenlokal Oranienburger Straße / © Heike Sicconi (DR)
Rudolf Ziegler, Gründer der Buchhandlung Sonnenhaus, mit Tochter Heidrun Klinkmann im Ladenlokal Oranienburger Straße / © Heike Sicconi ( DR )

In den allerersten Geschäftsräumen in der Annenstrasse präsentierte er über eine Fläche von sechs Schaufenstern christliche Bücher, Wanderschuhe und Faltboote. Der Buchhändler war Anhänger der Quickborner Wandervogelbewegung, einer katholischen Jugendorganisation, in der Glaube und Naturerfahrung zusammengehörten, was sich im Namen Sonnenhaus widerspiegelt. 

Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg, DDR

Der vielversprechende Start der Buchhandlung und die Tatsache, dass sie sich nach 100 Jahren immer noch in mittlerweile dritter Generation in Familienhand befindet, lässt kaum erahnen, dass diese Beständigkeit fast an ein Wunder grenzt. Ziegler und seine Frau jonglierten das Geschäft durch eine Wirtschaftskrise; als ein Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg den Laden verwüstete, verlagerten sie den Handel von 1945 bis 1959 in ein Zimmer der Privatwohnung der Familie. 

Und als Ende der 1950er Jahre die Ostberliner Wohnungsbaugesellschaft einer katholischen Buchhandlung keine Ladenräume vermieten wollte, drohten sie mit Auswanderung nach Wetzlar, wo sie eine christliche Buchhandlung übernehmen konnten. Die Drohung wirkte. Ziegler und seine Familie bekamen das Ladenlokal in der Oranienburgerstraße.

Heidrun Klinkmann (l.) und Bettina Klinkmann von der Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin. / © Heike Sicconi (DR)
Heidrun Klinkmann (l.) und Bettina Klinkmann von der Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin. / © Heike Sicconi ( DR )

Allerdings war die Bücherbeschaffung für das Sonnenhaus in der DDR eine Herausforderung. "Eine christliche Buchhandlung stand ganz unten in der Hierarchie," erzählt Bettina Klinkmann, Zieglers Enkelin, die das Sonnenhaus im Jahr 2016 von ihrer Mutter Heidrun übernommen hat. "Zuerst wurden die Parteibuchhandlungen mit Büchern beliefert, dann die Armee, danach Rundfunk/Fernsehen, der Volksbuchhandel, der Kommissionsbuchhandel und ganz zum Schluss war die Handvoll privater Buchhandlungen an der Reihe, zu der wir gehörten. Da war nichts mehr übrig. Meine Mutter ist dann mit meinem Großvater immer mit Kaffee, Schnaps und Zigaretten zur Leipziger Buchmesse gefahren, um die Verlage abzuklappern und Bücher zu besorgen."

Die christliche Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin wird 100 Jahre alt.  / © Heike Sicconi (DR)
Die christliche Buchhandlung Sonnenhaus in Berlin wird 100 Jahre alt. / © Heike Sicconi ( DR )

Heute stapeln sich tausende Bücher in der Buchhandlung. Christliches, aber auch Belletristik und Kinderbücher. Und der Laden brummt an diesem sonnigen Frühlingstag. Während Bettina Klinkmann gerade im hellen Vorraum mit den gelben Regalen kassiert, ist Mutter Heidrun Klinkmann, die trotz ihrer achtzig Jahre auch noch täglich im Laden steht, über ein paar Stufen in den hinteren Teil der Buchhandlung gegangen. Der katakombenartige, schmale Raum ist mit deckenhohen Regalen in kleine Büchernischen unterteilt, in denen gemütliche Sessel zum Sitzen und Stöbern einladen. Auf den Kopfseiten der Regale hängen Kreuze in unterschiedlichen Formen und Farben. 

Seit 100 Jahren Anlaufstelle für Katholiken

Ein junger Mann sieht sich suchend um. Er sei aus Bayern, erzählt er, und lebe schon seit drei Jahren in Berlin. Zwar sei er katholisch erzogen, wäre aber lange eher kirchenfern gewesen, bis er am vergangenen Gründonnerstag eine Art Erleuchtung gehabt habe. Mehr will er dazu nicht sagen, nur dass er jetzt nach einem Kreuz sucht. Heidrun Klinkmann empfiehl ihm den Bestseller: Eine ca. vier mal vier Zentimeter große Bronzeplatte, mit einem goldfarbenen skizzierten Kreuz in der Mitte. Es sieht fast wie ein Talisman aus, den man in die Hosentasche stecken kann. Eine Dame habe einmal 59 Stück davon gekauft, um ihre komplette Familie damit zu versorgen, erzählt Heidrun Klinkmann dem jungen Mann. 

Auch er hat sich für die kleine Bronzeplatte entschieden. Dazu nimmt er noch ein kleines Holzkreuz mit einem geschnitzten Jesus und eine Bibel.  "Das sind die Bayern", lacht Bettina Klinkmann, als er gegangen ist. "Die stehen auf das Kreuz mit dem Jesus." Aber die Geschichte von der Erleuchtung, die er so bereitwillig erzählt hat, finden selbst die beiden Damen ungewöhnlich. 

Das Besteller-Kreuz der Buchhandlung Sonnenhaus / © Heike Sicconi (DR)
Das Besteller-Kreuz der Buchhandlung Sonnenhaus / © Heike Sicconi ( DR )

Wieder summt der Bewegungsmelder am Eingang. Ein Stammkunde aus Köpenick ist gekommen. Schon seit über 40 Jahren kauft er im Sonnenhaus ein. Zu DDR-Zeiten kamen die Katholiken aus ganz Ostberlin ins Sonnenhaus und die Zieglers revanchierten sich mit Büchertischen in den Gemeinden. Noch heute ist Bettina Klinkmann regelmäßig vom Prenzlauer Berg, über das Kloster Chorin, bis an die Ostsee mit Büchertischen unterwegs. 

Die Buchhändlerin scheint in ihrer Aufgabe aufzugehen. Auch wenn das nicht immer so war. "Früher habe ich gedacht, wenn ich den Laden mal übernehme, dann schmeiße ich den ganzen christlichen Kram raus, das braucht kein Mensch. Heute muss ich sehr darüber lachen, weil uns das Christliche trägt." Und dabei sind nicht nur christliche Bücher gemeint, sondern die Gemeinschaft, die Mutter und Tochter Klinkmann immer wieder erleben.

Wir sind ein halbe Seelsorgestelle

Als zum Beispiel das Ladenlokal in der Oranienburgerstraße zu teuer wurde und die Kirchengemeinde St. Adalbert ihnen im Jahr 2014 das jetzige Ladenlokal gleich neben der Kirche anbot, brauchten die beiden Frauen kein Umzugsunternehmen. Die Stammkunden halfen mit, packten Tausende von Büchern in Kisten und transportierten sie mit ihren Privatautos in das neue Ladenlokal in der Linienstraße. 

Die Nähe zu Kunden und Nachbarn ist auch im Alltag fast täglich spürbar. Da sind die zwei Kriminalkommissare von nebenan, die jeden Samstagmorgen ein Brötchen mehr schmieren und ins Sonnenhaus bringen. Oder die Kunden, die nur kurz ins Geschäft springen, um Freude oder Kummer loszuwerden. "Wir sind eine halbe Seelsorgestelle", sagt Heidrun Klinkmann und dabei schwingt ein zufriedener Unterton in ihrer Stimme.  

Auch bei der Einhundertjahrfeier am 2. Mai. 2025 sind die Kunden mit im Boot. Bettina Klinkmann wollte den Tag eigentlich ohne viel Aufhebens im Geschäft verbringen, aber Mutter Heidrun wollte feiern, und die Kunden auch. Wieder packen alle mit an. Nachbarn haben ihre Kühlschränke freigeräumt, um den Sekt kaltzustellen, sie bringen Bleche voller Kuchen und herzhafte Häppchen. Eine Kundin hat einhundert Haushaltskerzen mit dem Sonnenhaus-Logo verziert und vorbei gebracht, und eine andere hat Taschen mit den Jahreszahlen der Buchhandlung genäht, damit der Erlös die Party mitfinanziert. 

Und der Hausmeister hat zwei Tage lang den Hof geputzt, damit alles blitzeblank ist, wenn die Gäste vom Buchladen in die Hinterhofkirche St. Adalbert gehen. Denn dort wird es am Jubeltag zwei Kirchenführungen geben, bei denen unter anderem die kuriose Geschichte verraten wird, warum der Schauspieler Luis Trenker der Gemeinde einst ein Kreuz vermachte, dass bis heute in der Kirche hängt.  

Das nächste Vierteljahrhundert ist in Planung

Wer sich eine Zeit lang in der Buchhandlung Sonnenhaus aufhält, spürt, dass es eine besondere Buchhandlung ist, die da ihren Geburtstag feiert. Von einer Familie durch widrigste Fahrwasser manövriert und doch den Menschen immer im Blick. So soll es in Zukunft weitergehen. Auch mit 80 wird Heidrun Klinkmann weiterhin jeden Tag ihre Tochter Bettina im Laden unterstützen. Und diese visiert erstmal gelassen das nächste Vierteljahrhundert in dem Laden an.  

Heidrun Klinkmann hat sich schon wieder einem Kunden zugewandt, dem der Titel des gewünschten Buches nicht einfällt. "Wie heißt noch mal das Buch, in dem Jesus in einer WG wohnt?", ruft sie ihrer Tochter zu. Die überlegt nicht lange. "Jesus, die Milch ist alle", lacht sie.

Quelle:
DR

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