Was die 3G-Regel in Bahnhöfen für Obdachlose bedeutet

Die größte Wärmestube Berlins

Seit knapp einer Woche gilt in Bahnen und Bahnhöfen die 3G-Regel. Nicht nur für die Obdachlosen in Berlin wird das in der kalten Jahreszeit zum Problem. Der Caritasverband hat auf diese Notlage hingewiesen und auch etwas bewirken können.

Wohnungsloser in einem Berliner U-Bahnhof / © frantic00 (shutterstock)
Wohnungsloser in einem Berliner U-Bahnhof / © frantic00 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Heißt die 3G-Regel, dass Obdach- und Wohnungslose ohne einen Nachweis die Berliner Bahnhöfe verlassen müssen?

Prof. Dr. Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin): Das hieß es auf jeden Fall bis Dienstag. Das war auch sehr problematisch, weil dadurch viele Obdachlose ihre Aufenthaltsorte verloren haben. Jetzt hat der Senat auf unseren öffentlichen Druck, den wir mit vielen anderen gemacht haben, die Regel verändert.

Es soll jetzt Flächen geben, wo sich Obdachlose aufhalten können. Die sollen besonders gekennzeichnet werden oder festgelegt werden. Ich weiß noch nicht genau, wie das funktioniert. Das ist schon mal ein Vorteil. Aber es bleibt natürlich die Problematik, dass die U-Bahnen und S-Bahnen selber 3G-geregelt sind. Und da halten sich auch viele Menschen auf.

DOMRADIO.DE: Das heißt, da werden diese Flächen nicht geschaffen, sondern woanders?

Kostka: Da werden die Flächen nicht geschaffen. Letztendlich sind die S-Bahnen die größte Wärmestube Berlins. Da befürchten wir, dass viele dann auch kein Ticket bekommen,

DOMRADIO.DE: Kein Impf- oder kein Testzertifikat. Das bringt natürlich große Probleme mit sich. Haben Sie Zahlen? Wie ist das mit der Impfquote der Obdachlosen in Berlin?

Kostka: Die ist nicht sehr hoch, muss man sagen. Es gibt jetzt neueste Untersuchungen und die Impfquote liegt zwischen 15 bis 30 Prozent. Das ist natürlich problematisch. Es gibt auch verschiedene Impfangebote, aber viele der Obdachlosen sind im Sommer mit Johnson & Johnson geimpft worden. Da waren wir erst sehr froh.

Aber es mangelt jetzt zum Teil an der Zweitimpfung oder an der Boosterung. Deswegen ist es ganz, ganz wichtig, auch niederschwellige Impfangebote zur Verfügung zu stellen.

DOMRADIO.DE: Impfen ist das eine, Testen das andere. Wie sieht es mit Testmöglichkeiten für die obdachlosen Menschen in der Hauptstadt aus?

Kostka: Es mangelt an Testmöglichkeiten, vor allen Dingen an kostenlosen Testmöglichkeiten. Man kann sich ja einmal in der Woche mit einem Bürgertest kostenlos testen lassen. Das reicht aber eigentlich nicht aus. Es wäre gut, wenn es noch mehrere Möglichkeiten gäbe.

Natürlich bieten die Einrichtungen auch welche an, aber das reicht nicht aus. Dementsprechend setzen wir auch alles daran, dass die obdachlosen Menschen ein Impfangebot bekommen. Zum Beispiel impfen wir jetzt mit den Maltesern an unserem Caritas-Foodtruck.

DOMRADIO.DE: Kommen wir nochmal zurück auf den wärmenden Ort Bahnhof, zu dem viele jetzt nicht mehr gehen können. Der Senat wird sich etwas überlegen, haben Sie eben gesagt. Was können Sie den Menschen stattdessen noch anbieten?

Kostka: Ganz wichtig ist vor allen Dingen, andere Orte anzubieten, weil die Bahnhöfe sowieso schwierige Ort sind, weil sie da auch oft Gewalt ausgesetzt sind. Wärmende Orte sind ganz, ganz wichtig. Deswegen ist es auch sehr gut, dass es Kältehilfe-Einrichtungen gibt, die auch 24 Stunden offen haben.

Denn eigentlich ist das der beste Schutz. Wir werden auch unsere Kältehilfe zum Beispiel über Weihnachten offenhalten und auch andere Tagesaufenthalte sollten noch mehr geschaffen werden, gerade für die nächsten Monate. Denn es ist ja abzusehen, dass diese Pandemie nicht schnell vorbei ist und die Tagesaufenthalte mussten ihre Kapazitäten einschränken.

Deswegen braucht es mehr Möglichkeiten in Berlin, aber auch in vielen anderen Städten.

DOMRADIO.DE: Was können wir tun, die wir draußen in der Stadt unterwegs sind und Obdachlosen ja nun sehr häufig begegnen?

Kostka: Das Erste ist erst einmal, ihnen freundlich zu begegnen, sie nicht noch weiter auszugrenzen, sie auch mal anzusprechen, einfach mal zu grüßen. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist sicherlich auch mal zu gucken, ob man sie irgendwie unterstützen kann, auch mal ein bisschen Geld zu geben.

Und das andere ist, wenn Menschen in Not sind, dann den Kältebus anzurufen, soweit es das in Ihrer Stadt gibt. Auf jeden Fall nicht einfach dran vorbeigehen. Das ist eigentlich das Entscheidende, Kontakt zu suchen, ihnen einfach freundlich zu begegnen und sie nicht noch weiter sozial auszugrenzen.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Ulrike Kostka / © Maurice Weiss (Caritasverband für das Erzbistum Berlin)
Quelle:
DR