Tag der Bahnhofmission unter dem Motto "In Verbindung bleiben"

Die Engel von Gleis 1

Am 17. April ist der Tag der Bahnhofmission. Damit soll auf einen Dienst aufmerksam gemacht werden, den gehetzte Reisende in den Bahnhöfen oftmals nicht bemerken: Hilfe für Menschen, die in kleinere oder große Nöte geraten sind.

Die drei Engel von der Bahnhofsmission / © Ina Rottscheidt (DR)
Die drei Engel von der Bahnhofsmission / © Ina Rottscheidt ( DR )

Gleis 1 am Kölner Hautbahnhof: Trotz Corona ist viel los. Menschen hasten vorbei, schieben Koffer vor sich her. Der Regionalexpress nach Siegen hat laut Anzeige mal wieder Verspätung. Es herrscht Trubel. Ganz hinten, am Ende von Abschnitt E des Bahnsteigs, befindet sich die Bahnhofmission. Wenn man durch die Glastür unter dem markanten gelben Schild geht, wird es schlagartig ruhiger. In dem kleinen Aufenthaltsraum gibt es Kaffee, einen warmen Platz zum Sitzen und immer jemanden, der zuhört.

Normalerweise ist hier Platz für 16 Personen. Wegen Corona dürfen es aber derzeit nur vier sein, das erschwere die Arbeit, erzählt die Leiterin Corinna Rindle: Früher habe man sich einfach gemeinsam an den Tisch gesetzt und sei unverbindlich ins Gespräch gekommen. Jetzt sitzt jeder für sich alleine, mit zwei Meter Abstand. "Das hat etwas verändert", sagt sie. "Es hat die Möglichkeit der Begegnung, der Kommunikation und des Miteinanders verändert."

Große und kleine Probleme

Über 30.000 Menschen suchen jedes Jahr Hilfe bei der Bahnhofmission in Köln:  Reisende mit Einschränkungen, die Hilfe beim Ein- und Aussteigen brauchen. Senioren, die ihre Koffer nicht selbst tragen können. Ausländer, die Probleme haben, die Fahrpläne zu verstehen. Allein reisende Kinder, Geflüchtete, Wohnungslose.

Manchen ist mit einem Pflaster oder einer Info schnell geholfen – andere brauchen mehr. So wie Michael, der vor fünf Jahren zum ersten Mal zur Bahnhofsmission an Gleis 1 kam. Damals lebte er auf der Straße, ein Bekannter brachte ihn mit. "Es gab Kaffee und wir haben eine Runde Skat gespielt", erinnert er sich. Nach und nach sei er mit den Mitarbeitenden in Kontakt gekommen und es entwickelten sich Freundschaften.

Der 59-Jährige fand nicht nur Menschen, die ihm zuhörten. Mit ihrer resoluten Art brachte Corinna Rindle ihn auch dazu, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen: "Sie hat mir in mein Hinterteil getreten", sagt er und man ahnt, dass er hinter seiner Corona-Maske grinst. Mit Unterstützung der Bahnhofmission fand er Hilfe bei den Behörden und eine Bleibe.

Jeder Tag birgt Überraschungen

Bis heute kommt er vorbei: "Nicht nur, weil der Kaffee gut ist", sagt er und lacht. Noch ist er arbeitslos. "Die Besuche bei der Bahnhofmission geben mir Halt", sagt er, "hier kann man sich unterhalten, Witze machen, aber es hat auch immer jemand Zeit für ernste Gespräche."

Vier Hauptamtliche und über 80 Ehrenamtliche, Freiwillige und Praktikanten arbeiten bei der Kölner Bahnhofsmission. Einer von ihnen ist der 36-jährige Johannes, der bereits seit vier Jahren dabei ist. Bis heute erinnert er sich an einen jungen Mann, der in die Bahnhofsmission kam. "Er sah aus, wie jeder andere Gast", erinnert er sich. Doch stellte sich heraus, dass es sich um einen irakischen Flüchtling handelte, den Schlepper gerade vor dem Bahnhof ausgesetzt hatten. "Wir waren die ersten, mit denen er in Deutschland Kontakt hatte, wir haben uns dann darum gekümmert, dass er Hilfe bekommt". Bis heute ist ihm diese Geschichte besonders in Erinnerung geblieben, sagt er, das Schicksal des Mannes habe ihn sehr bewegt.  

Christliches Menschenbild

Zwei Tage im Monat arbeiten die Ehrenamtler bei der Bahnhofsmission Köln – sie alle machen das neben ihrem normalen Job. Auch Anna, die neu ist und gerade eingearbeitet wird. Bewusst hat sie sich für dieses Ehrenamt entschieden: "Kein Tag ist wie der andere", sagt sie. "Man begegnet so vielen unterschiedlichen Menschen und Problemen. Und wir treten ihnen offen gegenüber und nehmen sie so an, wie sie sind. Dahinter steckt auch der Grundgedanke der Nächstenliebe."

Seit 130 Jahren gibt es die Bahnhofsmissionen in allen großen deutschen Städten. 105 sind es insgesamt. Ins Leben gerufen wurden sie Ende des 19. Jahrhunderts von der katholischen und der evangelischen Kirche. In Köln werden sie heute von dem katholischen Verband In Via und vom Diakonischen Werk getragen – trotzdem geht es nicht um Mission im klassischen Sinne. Jeder bekommt Hilfe, egal ob religiös oder nicht.

Probleme werden nicht bewertet – sondern gelöst

Wichtig sei das christliche Menschenbild und die Haltung, die in der Arbeit zum Ausdruck komme, sagt die Leiterin Corinna Rindle. Vor einigen Jahren sei ein aufgeregter Mann bei ihr erschienen, der sein Portemonnaie zu Hause vergessen hatte und deshalb nicht zu einem wichtigen Termin nach Düsseldorf kam. "Er war vollkommen aufgelöst", erinnert sich Rindle.

Es gibt vermutlich größere Lebenskrisen. "Aber wir bewerten die Probleme der Menschen nicht", stellt sie klar. "Wir nehmen sie an und fragen: 'Wie können wir helfen?'" Sie gab ihm zehn Euro für eine Fahrkarte. "Abends stand der Mann wieder bei uns, steckte einen Schein in die Spendenbox und war unendlich dankbar". Das sind die Momente, für die sie ihren Job macht.  

Der bundesweite Tag der Bahnhofsmission am 17. April steht in diesem Jahr unter dem Motto "In Verbindung bleiben". Klingt paradox, sind doch in Pandemiezeiten Kontaktbeschränkungen und Distanz das Gebot der Stunde. Trotz Distanz Nähe zu Menschen zu schaffen. Trotz Ansteckungsgefahr ansprechbar bleiben: das ist der Spagat, den die Bahnhofmission jeden Tag unternimmt. "Wir schenken den Menschen unsere Zeit und unser offenes Ohr", sagt Corinna Rindle. "Und wenn das keine Nächstenliebe ist, dann weiß ich es auch nicht."


Der Flyer der Bahnhofsmission / © Ina Rottscheidt (DR)
Der Flyer der Bahnhofsmission / © Ina Rottscheidt ( DR )
Quelle:
DR