Die Diskussion ums Priesteramt aus Seminaristen-Sicht

"Wir stehen leider unter Generalverdacht"

Missbrauchsskandale haben das Bild des katholischen Priesters in Misskredit gebracht. Während auf dem Synodalen Weg über priesterliche Lebensformen diskutiert wird, wünschen sich Seminaristen dort mehr Gehör.

Marvin Schwedler, Vorsitzender der Deutschen Seminarsprecherkonferenz  / © privat (privat)
Marvin Schwedler, Vorsitzender der Deutschen Seminarsprecherkonferenz / © privat ( privat )

DOMRADIO.DE: Sie sind 27 Jahre alt, Seminarist im Bistum Regensburg und Vorsitzender der Deutschen Seminarsprecherkonferenz (SSK). Was genau ist die SSK? 

Marvin Schwedler (Seminarist und Vorsitzender der SSK): Die SSK ist 1968 in Mainz gegründet worden. Wir verstehen uns als Gremium, das die Interessen von Theologiestudenten in der Priesterausbildung vertritt. Aktuell sind wir 305 Seminaristen in ganz Deutschland; diese Zahl ist gerade frisch herausgekommen. Die einzelnen Priesterseminare wählen Vertreter, also Sprecher, die die Studenten vertreten; diese Sprecher wiederum treffen sich einmal im Jahr zur Deutschen Seminarsprecherkonferenz in einer Diözese; die letzte hat im November im Erzbistum Paderborn stattgefunden. 

DOMRADIO.DE: Sicher setzen sie sich in dieser SSK auch mit dem im Wandel begriffenen Priesterbild und mit den immensen Imageschaden auseinander, den speziell katholische Priester in den letzten Jahren erlebt haben. Wie tun Sie das genau? 

Schwedler: Das war natürlich ein Hauptpunkt auf unserer letzten Seminarsprecherkonferenz in Paderborn. Wir haben uns mit Themen des Synodalen Weges auseinandergesetzt, wo es ja auch um unsere Zukunft geht - ganz konkret im Synodalforum 2 "Priesterliche Existenz heute". Ich finde schade, dass wir bisher dort gar nicht nach unserer Sicht der Dinge gefragt worden sind. Da erhoffen wir uns doch, dass wir noch in die Diskussionen einbezogen werden. Wir haben uns gefragt, wie auch wir unseren Beitrag dazu leisten können. Und natürlich müssen wir uns auch untereinander erst einmal verständigen. Was denken wir? Wo sehen wir Zukunft? Bei der letzten Seminarsprecherkonferenz waren wir uns schon ziemlich einig, dass wir für eine Synodale Kirche sind. Wir waren uns aber auch relativ einig, dass wir weiter für die zölibatäre Lebensform sind, weil es die Lebensform Jesu war, aber dass wir uns kreative Möglichkeiten vorstellen können, wie priesterliches Leben heute gut gelingen kann. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie sind prinzipiell dagegen, den Pflichtzölibat abzuschaffen, wie eine Mehrheit auf dem Synodalen Weg vorgeschlagen hat? 

Schwedler: Ich bin schon sehr kritisch, wenn ich vom so genannten Pflichtzölibat höre. Nach meiner Auffassung gibt es einen solchen Pflichtzölibat nicht. Es ist doch eine freie Entscheidung, Priester zu werden, und zum priesterlichen Leben gehört der Zölibat dazu. Er ist zwar nicht fakultativ, aber eine Überbetonung der Pflicht finde ich nicht angebracht.  Eine mögliche Lockerung des Zölibats sehe ich daher kritisch, weil es in meinen Augen nicht nur Nachteile hat, wenn Priester nicht verheiratet sind. Ich glaube auch nicht, dass die Lockerung des so genannten Pflichtzölibats das Problem des Priestermangels löst; ich glaube nicht, dass dann wieder mehr junge Männer Priester werden wollen. 

DOMRADIO.DE: Aber wären Priester, die eine eigene Familie haben, nicht auch viel näher an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen?

Schwedler: Was heißt denn nah an der Lebenswirklichkeit? Nur, weil ich selbst keine eigene Familie gründe, bedeutet das ja nicht, dass ich nicht weiß, wie die Lebenswirklichkeit einer Familie aussieht. Ich bin mit Geschwistern aufgewachsen und weiß, wie es in einer Familie zugeht. Und auch als Priester hat man Einblicke in Familien, wenn auch sicherlich nicht so direkt wie ein Familienvater. Also: Wir kommen auch aus Familien und wir erleben Familien. 

DOMRADIO.DE: Viele Priester klagen ja über Einsamkeit im Alltag. Sehen Sie das nicht als Argument für verheiratete Priester?

Schwedler: Sicher kann es schwierig sein, alleine zu leben. Aber einerseits ist es wichtig, das Alleinsein zu üben, andererseits können und sollten Priester Freundschaften pflegen. Schon als Seminarist und dann später als Priester ist es sehr wichtig, Freundschaften zu knüpfen, auf die sie wirklich bauen können – zum Beispiel zu Familien in der Pfarrei oder zu anderen Priestern. Wenn ein Priester wirklich Probleme mit dem Alleinleben hat, gibt es doch viele Möglichkeiten. Darüber haben wir auf der vergangenen Seminarsprecherkonferenz intensiv gesprochen.

Ein Modell ist zum Beispiel das der "vita communis", bei der mehrere Priester gemeinsam unter einem Dach leben und jeder seinen Aufgaben nachgeht, so eine Art Priester-WG oder Priester-Gemeinschaft. Das gibt es ja längst, und ich glaube, dass man bei vernünftigen Vorschlägen auch mit der Unterstützung der Bischöfe rechnen darf.

DOMRADIO.DE: Vor nicht allzu langer Zeit wurden katholische Priester in ihren Gemeinden oft regelrecht verehrt. Heute werden sie dagegen oft argwöhnisch beäugt. Sie haben sich trotzdem für diesen Weg entschieden. Warum? 

Schwedler: Ich selbst habe in meiner Kindheit und Jugend immer gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Ich hatte einen Pfarrer in meiner Heimatgemeinde, der ein großes Vorbild für mich war und immer noch ist. Ich habe Kirche dort eigentlich immer als sehr positiv erfahren. Das hat mich am Ende dazu bewegt, zu sagen: "Ja, das könnte ich mir vorstellen." Natürlich habe auch ich mit mir gerungen, natürlich gibt es auch Höhen und Tiefen. Angesichts des Sturms, den wir gerade in der katholischen Kirche in Deutschland erleben, ist es ganz sicher nicht einfach, eine solche Entscheidung zu treffen. Aber ich bin am Ende zum Schluss gelangt, dass ich es zumindest probieren will. Das ist nicht immer leicht. Aber man muss eben offen und ehrlich mit den Problemen der Kirche umgehen, die aktuell da sind.

DOMRADIO.DE: Erleben Sie es denn tatsächlich so, dass Sie als angehender katholischer Priester unter einer Art Generalverdacht stehen? 

Schwedler: Wir werden schon massiv unter Generalverdacht gestellt; das erlebe ich leider so. Das ist nicht nur hier bei uns im Bistum Regensburg so, das geht Seminaristen anderswo genauso: Sobald wir sagen, dass wir Priester werden möchten, werden wir kritisch beäugt. Das ist sehr schade, schließlich gibt es ja auch all die vielen Priester, die gute Arbeit leisten. 

DOMRADIO.DE: Wie äußert sich dieser Generalverdacht denn? 

Schwedler: Wenn wir zum Beispiel als Gruppe von Seminaristen zu unserer Domkirche gehen, dann fallen wir auf. Und es ist sehr schmerzhaft, wenn wir dann schräg angeschaut und angesprochen werden. Aber auch im Familien- und Freundeskreis müssen wir uns immer wieder dafür rechtfertigen, warum wir heute noch Priester werden möchten. 

DOMRADIO.DE: Ein katholischer Priester muss heute ja ein echtes Multi-Tasking-Talent sein – als Verwalter, Manager, Finanzspezialist und natürlich als Seelsorger. Führt das nicht automatisch zu Überforderung? 

Schwedler: Ja. Angesichts immer größerer Pfarreien und Pfarreien-Gemeinschaften ist es doch ganz klar, dass das jemand, der Theologie studiert hat, irgendwann nicht mehr stemmen kann. Ich glaube aber, dass viele Diözesen in Deutschland da schon einen guten Weg gehen mit sogenannten Verwaltungsleitern. Die unterstützen den Pfarrer in der Verwaltung, damit der sich mehr auf die Seelsorge konzentrieren kann. 

DOMRADIO.DE: Aber diese Verwaltungsleiter müssen doch auch tatsächlich Entscheidungen treffen können? Stichwort: Gewaltenteilung. 

Schwedler: Der Priester trägt als Leiter der Pfarrei die letzte Verantwortung. Aber ich halte es für gut, wenn der Pfarrer dabei Unterstützung bekommt. Und dass er in Absprache mit dem Verwaltungsleiter, aber auch mit dem Kirchenvorstand transparent diskutiert und diese dann gemeinsam eine Entscheidung treffen.

DOMRADIO.DE: Ein weiterer Knackpunkt der aktuellen Diskussion ist natürlich der Zugang von Frauen zu Weiheämtern, den viele schon lange fordern. Könnten Sie sich vorstellen, demnächst auch Priester-Kolleginnen zu haben? 

Schwedler: Nein, ich persönlich kann mir das gar nicht vorstellen. In meinen Augen hat Johannes Paul II. schon 1994 mit seiner Autorität als Papst diese Diskussion für beendet erklärt, weil die Kirche nicht die Kompetenz hat, Frauen zu Priestern zu weihen. Ich finde, wir haben wunderbare Möglichkeiten für Frauen, auch anders zu wirken in der Kirche. Wir haben großartige Frauen in der Kirchengeschichte, Mutter Teresa zum Beispiel. Warum muss es da zwangsläufig möglich sein, dass Frauen zu Priestern geweiht werden? Ich freue mich über jede Frau, die sich in die Kirche einbringen will. Die Priesterweihe ist ja schließlich nicht dafür erforderlich, dass man ein authentisches und überzeugendes Christsein leben kann.

DOMRADIO.DE: Ich nehme an, Sie kennen das Buch der Benediktinerin Sr. Philippa Rath über Frauen, die sich zu Weiheämtern berufen fühlen, und tief verletzt sind, weil sie diese Berufung in der katholischen Kirche nicht leben können?

Schwedler: Ja, das Buch ist mir bekannt. Das sind Geschichten von Frauen, die von ihren Berufungen sprechen. Aber auch da würde ich wieder nach anderen Möglichkeiten suchen. Ich finde es super, dass diese Frauen sich für die Kirche, für die Verbreitung des Evangeliums einsetzen wollen. Aber warum brauchen wir dazu zwangsläufig das Priestertum der Frau? Papst Franziskus hat doch zum Beispiel vor kurzem das Amt der Katecheten eingeführt, das für Frauen und für Männer gleichermaßen offen ist. Das könnte ein Weg sein, Frauen in der Verkündigung des Glaubens zu stärken.

DOMRADIO.DE: Aber es geht natürlich letztlich um Entscheidungen. In der katholischen Kirche treffen am Ende noch immer geweihte Männer die Entscheidungen...

Schwedler: Bei meinem Praktikumseinsatz in verschiedenen Pfarreien habe ich erlebt, dass gar nicht immer der geweihte Priester die Entscheidung fällt – und das, obwohl er letztendlich verantwortlich ist. Wir erleben doch längst in vielen Pfarreien, dass dort in einem Pastoral-Team entschieden wird. Da habe ich gute Teamarbeit erlebt und gute Entscheidungsprozesse. Und da sind mehr als die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir haben, keine Priester. 

DOMRADIO.DE: Viele Frauen wollen aber das in ihren Augen antiquierte Frauen- und Gesellschaftsbild der katholischen Kirche nicht länger hinnehmen. Die Zahlen der Kirchenaustritte – auch im Zusammenhang mit den Missbrauchsskandalen natürlich – sprechen für sich. Haben Sie nicht Sorge, dass da am Ende nicht mehr viele Gläubige übrigbleiben? 

Schwedler: Natürlich haben wir ein Problem. Ich glaube, wir müssen Wege finden, unsere Sprache zu ändern – nicht den Inhalt, nicht die Lehre der Kirche. Wir müssen jungen Frauen und jungen Männern den Glauben und die Kirche in einer Sprache erklären, die sie auch verstehen. Oft sprechen wir in einer Sprache, die keiner mehr versteht. 

DOMRADIO.DE: Was ist denn Ihre Vision? Was sollte, was müsste die katholische Kirche mit Blick auf ihre Priester tun, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen? 

Schwedler: Durch die Missbrauchsskandale ist wirklich großes Vertrauen verspielt worden. Ich finde es schlimm, dass Priester so etwas getan haben. Wir müssen ganz klar sagen: Jeder Missbrauch, der passiert ist, ist einer zu viel. Es ist schlimm und wir können das auch gar nicht wieder gut machen. Wir können Menschen nur um Verzeihung für das bitten, was getan worden ist. Natürlich muss die Kirche auch konsequent handeln, damit wir so etwas nicht mehr erleben. Tatsächlich tut die Kirche mittlerweile auch schon viel durch Prävention und Schulungen in allen Bereichen der Kirche. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Meine Vision ist, dass wir wieder eine glaubwürdige Kirche in der Gesellschaft werden und dass wir den Menschen in ihrer Gottesbeziehung helfen. Ich glaube, dass wir dies als Kirche vielleicht wieder mehr in den Blick nehmen sollten – Stichwort: Neuevangelisierung – und dass wir nicht zu sehr immer nur um uns selbst kreisen sollten. Nicht das sollten die Fragen sein: "Wo können wir hier und da was ändern?" Sondern: "Wie können wir Gott zu den Menschen und die Menschen zu Gott bringen?" Vorzugsweise in einer Sprache, die die Menschen von heute verstehen, damit der Glaube wieder mehr Lebensrelevanz gewinnen kann.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR
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