Bis 2013 wollen je 17 Parlamentarier und Sachverständige Perspektiven Deutschlands für die nächsten Jahrzehnte bedenken und die üblichen Kriterien zur Bestimmung von Wachstum überarbeiten.
Der Bundestag setzt Enquetekommissionen ein, damit sich Abgeordnete und Fachleute umfassend mit einer wichtigen gesellschaftlichen Frage befassen. Nach dem Gremium "Internet und digitale Gesellschaft" folgt nun die zweite Enquete in dieser Legislaturperiode. Dabei fällt, nach der üblichen Praxis, der Vorsitz an die zweitgrößte Fraktion, die SPD.
Deren Fraktionsspitze schlug die 30-jährige Daniela Kolbe aus Leipzig als Vorsitzende vor. So wird die studierte Physikerin künftig Politiker und Fachleute unterschiedlicher Lager moderieren und ein Büro mit zehn Mitarbeitern leiten. Sie nimmt es spürbar mit ein wenig Aufregung und viel Gelassenheit. Schließlich, so sagt sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), habe die Gerechtigkeitsfrage sie in die Politik gebracht.
"Unser Ziel muss es sein, dass wir uns auf einen neuen Indikator zur Bewertung des gesellschaftlichen Wohlstands neben dem bisher üblichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) verständigen", meint Kolbe. Die alleinige Ausrichtung am BIP habe ja nichts mehr mit der Realität zu tun. So habe die Bevölkerung weder den letzten noch den jetzigen Aufschwung noch den zwischenzeitlichen Abschwung in seiner ganzen dramatischen Dimension groß gespürt. Und es gehe darum, dass in der Sozialen Marktwirtschaft nicht länger die Ausrichtung an ökonomischem Wachstum vor Fragen der Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und Ökologie dominiere. Der etwas sperrige Titel "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" spricht für sich.
Damit widmet sich das Parlament einem Thema, das bereits 1972 der Club of Rome mit seiner Rede von den "Grenzen des Wachstums" aufzeigte. Freilich wäre es ohne die jüngste globale Krise immer noch nicht auf der politischen Agenda. Im vorigen Jahr hatten vor allem Sozialdemokraten und Grüne am Konzept für eine Enquete gearbeitet und wollen damit die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch thematisieren.
Schon die Bundestagsdebatte zur Einsetzung der Enquete Anfang Dezember machte Konfliktlinien klar. Damals stimmten Union, SPD, FDP und Grüne zu. Doch Redner der Liberalen und der Opposition lieferten sich die üblichen Scharmützel über Freiheit und Gerechtigkeit. Das wird sich in dem Gremium fortsetzen. Kolbe wünscht sich "engagierte und auch kontroverse Debatten".
Auf Seiten der 17 Experten dominieren Professoren und findet sich bemerkenswerterweise keine einzige Frau. Auch kein einziger Wohlfahrtsverband, keine Nationale Armutskonferenz. Zu den Beteiligten zählen mit dem Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, dem Volkswirtschaftler Gert Georg Wagner und dem Wirtschaftswissenschaftler Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie, auch bekanntere Köpfe. Der Wirtschaftswissenschaftler Andre Habisch, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt, ist nebenbei auch katholischer Theologe.
Trotz der Lager-Thematik - Kolbe ist "ganz optimistisch, dass wir das hinbekommen". Die Wissenschaft sei bei dem Thema weiter als die Politik und habe "vorgearbeitet". Nun gehe es um Transfer. Und um die Vermittlung in die breitere Öffentlichkeit. Die Sozialdemokratin selbst wird vorerst nicht mehr viel Zeit für andere Themen haben. Am Montagmittag gibt Bundestagspräsident Norbert Lammert den Auftakt der Enquete. Dann folgt die erste Kommissionssitzung. Schon um 18.00 Uhr ist Kolbe bei der Welthungerhilfe zur Diskussion auf dem Podium:
"Was kommt nach dem Wachstum? Alternativen zum BIP-Fetischismus".
Die Bundestags-Enquetekommission zur Marktwirtschaft startet
"Nach dem Wachstum?"
"Wir haben nur gut zwei Jahre." Daniela Kolbe weiß, dass sie mit 16 anderen Bundestagsabgeordneten vor einem Kraftakt steht. Am Montag startete die Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Parlaments. Es geht um nicht weniger als ein zeitgemäßes Leitbild für das Wirtschaften.
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