Die Bilanz für die Christen in der Türkei fällt 2010 erstmals positiv aus

Jahr der Hoffnung

Der Mord an Bischof Luigi Padovese, Apostolischer Vikar von Anatolien, wirft einen Schatten auf ein Jahr, das sonst als freudiges für die Christen in der Türkei zu verbuchen wäre. 2010 gab es so viele gute Nachrichten für die christliche Minderheit wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

Die schlechten Nachrichten vorweg: Padovese wurde im Juni im südtürkischen Iskenderun von seinem Chauffeur erstochen, der inzwischen amtlich für geistesgestört erklärt wurde. Eine Umfrage zu Jahresbeginn ergab, dass sich drei von vier Christen in der Türkei nicht sicher fühlten. Auch lässt die Rechtslage der Kirchen noch immer zu wünschen übrig.



"Ich bin auch ihr Präsident", sagte Staatspräsident Abdullah Gül im Oktober über die christlichen und jüdischen Bürger der Türkei. Mit einem Runderlass warnte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Mai alle Behörden davor, die gesetzlichen Verbesserungen an der Lage der Christen vor Ort ins Leere laufen zu lassen. Die nicht-muslimischen Bürger seien ein untrennbarer Teil der Türkischen Republik und müssten ebenso ihre Kultur und ihre Identität bewahren können wie alle anderen, hieß es in Erdogans Runderlass. Christen und Juden müssten sich als vollwertige Bürger fühlen können.



Neue Einstellung gegenüber dem Ökumenischen Patriarchat

Den Worten folgten auch Taten. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel erhielt zu Jahresende eine bedeutende Liegenschaft zurück, die der Staat vor Jahrzehnten widerrechtlich beschlagnahmt hatte. Zwar ging der Rückerstattung ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs voraus. Nach Einschätzung des Patriarchates wäre die Rückgabe aber nicht so schnell und glatt möglich gewesen, wenn nicht die Regierung auf einen Einspruch verzichtet. Kooperativ zeigte sich die Regierung auch mit der Einbürgerung von einem Dutzend orthodoxer Metropoliten aus Griechenland und Amerika, um den Fortbestand des Patriarchates zu sichern.



Dauerhaft kann das Überleben der 1.700 Jahre alten Einrichtung freilich nur durch eine Wiedereröffnung des seit 1971 geschlossenen Priesterseminars Halki gesichert werden, die noch aussteht. Doch auch dafür zeichne sich inzwischen eine Lösung ab, heißt es im Phanar, dem Amtssitz von Patriarch Bartholomaios I. Die Regierung macht ihm zudem nicht mehr den historischen Titel "ökumenisch" streitig, wie frühere Regierungen das taten. Patriarchatssprecher Dositheos Anagnostopoulos sieht "Entwicklungen, die signifikant darauf hinweisen, dass der türkische Staat seine Einstellung dem Ökumenischen Patriarchat gegenüber ändert".



Einen weiteren Beleg dafür sieht der Phanar in der Messe, die die griechisch-orthodoxen Christen im August im Kloster Sümela in der Nordtürkei feiern durfte - erstmals seit Gründung der Türkischen Republik. Tausende orthodoxe Christen strömten aus der ganzen Region zu dem Gottesdienst zusammen; die örtlichen Behörden und Sicherheitskräfte sorgten für einen friedlichen Verlauf. Ein geradezu begeisterter Empfang wurde bei einem ähnlich historischen Gottesdienst im osttürkischen Van im September den überraschten Armeniern zuteil, die zum ersten Gottesdienst seit rund 100 Jahren in die dortige Heilig-Kreuz-Kirche kommen durften.



Lob gab von der chaldäischen Kirche

Historische Kirchen wie das Marienhaus in Ephesus und die Pauluskirche in Tarsus wurden nicht mehr starr als Museen behandelt, sondern konnten auf Anfrage von christlichen Gruppen für Gottesdienste genutzt werden. Ein Nutznießer war Bundespräsident Christian Wulff, der bei seinem Türkei-Besuch im Herbst in der Pauluskirche betete und in Ankara für die Rechte der Christen eintrat - an denen es trotz aller Fortschritte noch viel zu verbessern gebe.



Lob für die Türkei gab es dagegen zum Jahresende von der chaldäischen Kirche, der die meisten Christen in Irak angehören. Während ihnen europäische Türen auch nach der jüngsten Welle antichristlicher Gewalt in Irak verschlossen bleibe, fanden Tausende irakische Christen sichere Zuflucht in der Türkei.