Die Bibel als Stresskiller im 21. Jahrhundert

"Stress gibt es, seitdem es den Menschen gibt"

Stress ist eine Art Volkskrankheit. Doch was hilft? Fachpfleger Jonathan Gutmann hat Antworten in der Bibel gefunden. Die Bibel gebe alle Stressmanagement-Tipps des 21. Jahrhunderts. Und der Glaube sei dabei eine wichtige Ressource.

Das "Wort Gottes" - die Bibel lesen (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Hätte einer der Jünger Jesus in der Bibel gefragt, ob dieser Stress habe – was hätte dieser geantwortet? 

Jonathan Gutmann (Fachpfleger für Psychiatrische Pflege in der Klinik Hohe Mark im Taunus): Gute Frage, der Begriff Stress taucht in der Bibel überhaupt nicht auf. Der ist erst im 20. Jahrhundert definiert worden. Wenn man die Bibel aufschlägt, erkennt man aber gleich zu Anfang, was Sache ist. Adam war alleine – das war für ihn Stress. Adam und Eva durften nicht von der verbotenen Frucht essen – das war Stress. Dann haben sie es doch gemacht und die Erkenntnis der Nacktheit war da – das war Stress. Sie sind aus dem Paradies rausgeflogen – sie hatten Stress.

Ich denke Stress gibt es, seitdem es den Menschen gibt. Und deswegen glaube ich, dass Jesus Stress hatte und dass er wahrscheinlich auch mal in bestimmten Situationen gesagt hätte, dass es für ihn stressig ist. 

DOMRADIO.DE: Jesus war ja auch jemand, der die Jünger vom Stress runtergeholt hat. Man denke an den Garten Gethsemane, wo er Petrus zurückhält, der kurz vor der Kreuzigung mit dem Schwert eingreifen möchte. Ist Jesus jemand, der die anderen auch dazu anhält, von ihrem Stress runterzukommen? 

Gutmann: Ja, ich denke auf jeden Fall. Jesus ist sinnbildlich jemand, der Gelassenheit ausstrahlt und versucht weiterzugeben, weil er einfach weiß, dass man das Leben deutlich vereinfachen kann. Da gibt es viele Tipps und Hinweise in der Bibel, damit wir eben nicht so viel Stress im Leben haben. 

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade Tipps angesprochen. Was sind das für Tipps, die die Bibel geben kann? 

Gutmann: Das Spannende für mich beim Schreiben des Buches war, zu entdecken, dass die Bibel eigentlich mehr oder weniger alle Stressmanagement-Tipps des 21. Jahrhunderts beinhaltet. Es steht zwar nicht wortwörtlich da, aber Achtsamkeit oder Stress kommen vor. Ein Beispiel: Ein Tipp im Stressmanagement ist, die eigenen Stressoren zu identifizieren. So findet man das nicht in der Bibel, aber in Matthäus 7,3 steht etwa: "Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?" Das kann so ein Hinweis sein.

Wir sind oftmals relativ schnell, wenn es darum geht bei anderen zu schauen, was die falsch machen. Aber wo müssen wir genauer hingucken? Was läuft bei uns nicht so rund? Diese Reflexion ist ganz wichtig beim Thema Stress. Wirklich ehrlich zu sich selbst zu sein und zu gucken, wo sind meine Baustellen, was stresst mich und warum? Und erst wenn ich das reflektiert habe, kann ich schauen, wie ich mit dem Ganzen konstruktiv umgehen kann. 

DOMRADIO.DE: Sie haben sich sehr intensiv mit dem Thema "Stress und Bibel" beschäftigt. Gibt es in Ihrem Buch "Jesus aber schlief" – im Francke Verlag erschienen – ein oder zwei Tipps, wo Sie sagen: Das sind Highlights, die ich auch für meinen Alltag mitgenommen habe? 

Jonathan Gutmann, Pfleger für Psychiatrische Fachpflege und Autor

"Für mich ist ein Allround-Tipp, dass man Gott an seinen Problemen teilhaben lässt."

Gutmann: Stress ist ja ein riesengroßes Thema und geht in unterschiedliche Richtungen. Jeder würde Stress anders definieren und jeder hat auch andere Stressoren. Aber für mich ist ein Allround-Tipp, dass man Gott an seinen Problemen teilhaben lässt und die Dinge nicht selbst durchstehen muss. Da steht zum Beispiel im 1. Petrus 5,7: "Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch."

Das ist für mich dieser Allround-Tipp. Zu sagen, ich brauche das nicht alleine, ich kann Hilfe annehmen. Es kann Hilfe von von Menschen sein, die Gott einen auch zur Seite stellt – Freunde, Bekannte, Verwandte – aber auch vielleicht der Seelsorge, Psychologe oder Therapeut. Ich glaube, Gott möchte, dass wir Ihn mit einbeziehen und Er kann uns eine große Stütze sein und ordentlich weiterhelfen. 

DOMRADIO.DE: Und das könnte dann zum Beispiel auch im Gebet passieren...?

Gutmann: Zum Beispiel, genau. 

DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, dass jemand, der seine Probleme oder seinen Stress vor Gott trägt, generell entspannter ist?

Gutmann: Ja, das wäre schön. Wenn wir vieles berücksichtigen würden, dann wäre es wahrscheinlich auch so. Aber Gläubige sind auch Menschen und ich denke, jeder Mensch hat Stress. Doch wir wissen aus vielen wissenschaftlichen Studien mittlerweile, dass intrinsischer Glaube – also echter gelebter Glaube – beim Thema Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit und Stressresistenz, eine ganz wichtige Rolle spielen kann.

Jonathan Gutmann

"Der Glaube kann eine Rolle spielen, aber er wird nicht dazu beitragen, dass wir überhaupt keinen Stress im Leben mehr haben." 

Das heißt, wenn wir viele Dinge berücksichtigen und umsetzen, kann der Glaube eine ganz wichtige Ressource sein, um im Leben gelassener zu sein. Aber das Leben wird immer mit Stress besetzt sein. Deswegen: Der Glaube kann eine Rolle spielen, aber er wird nicht dazu beitragen, dass wir überhaupt keinen Stress im Leben mehr haben. 

DOMRADIO.DE: Den Faktor Mensch kann man beim Stress also nicht eliminieren. Jesus, der ja sonst jemand ist, der die Leute eher auf den Boden holt, ist wahrer Gott und wahrer Mensch und war deshalb auch nicht immer voll entspannt. Ich denke da zum Beispiel an die Reinigung des Tempels. Jesus regt sich wahnsinnig darüber auf, dass die Händler im Tempel, am heiligsten Ort, ihre Geschäfte machen. Er rastet aus, wirft Tische um. Kann man sagen, dass Stress auch etwas Göttliches hat? 

Gutmann: Ja, ich denke auf jeden Fall. Wie gesagt, Jesus oder Gott wurde ja Mensch. Und Stress ist etwas Menschliches, das sehe ich auf jeden Fall so.

Stress wird ja bei uns eher im ersten Augenblick als etwas Negatives gesehen. Aber Stress hat ja auch eine positive Seite. Wenn wir zum Beispiel unsere Hochzeit planen oder ein Kind erwarten, ist das auch Stress – aber positiver Stress. Stress kann uns auch zu Höchstleistungen anspornen. Sportler können wahrscheinlich ihre Leistung erst abrufen, wenn sie wirklich Stress haben. Deswegen glaube ich, dass Stress lebensnotwendig ist.

Stress hat auch eine Alarmfunktion. Wenn wir keinen Stress hätten, dann würden wir ganz unbedarft durchs Leben gehen. Wenn wir zum Beispiel im Urwald wären und eine Schlange sehen und einfach zu ihr hingehen, dann wäre das wahrscheinlich eine nicht so gute Idee. Stress hat einen gewissen Schutzfaktor für uns und möchte uns dabei helfen, nicht in bestimmte Nöte zu kommen. Da gibt es ein ganz schönes Zitat von Max Frisch, der mal gesagt hat: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Da spielt natürlich Stress eine Rolle, aber diese kann eben auch positiv sein. 

Das Interview führte Gerald Mayer. 

Die Bibel

Bibel ist die Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift gilt. Auf den Schriften fußt jeweils die Religionsausübung. Die Bibel des Judentums ist der dreiteilige Tanach, der aus der Tora, den Nevi’im und Ketuvim besteht. Diese Schriften entstanden seit etwa 1200 v. Chr. im Kulturraum der Levante und Vorderen Orient und wurden bis 135 n. Chr. kanonisiert. Das Christentum übernahm alle Bücher des Tanachs, ordnete sie anders an und stellte sie als Altes Testament (AT) dem Neuen Testament (NT) voran.

Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch (KNA)
Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch / ( KNA )
Quelle:
DR
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