Die Bewegung des türkischen Predigers Gülen

Schillernde Figur mit Bildungshunger

Mit dem grauen Schnäuzer, dem Haarkranz und der sanften Stimme wirkt er wie der gemütliche anatolische Großvater. Dabei ist Fethullah Gülen die aktivste und einflussreichste Figur im türkischen Islam der Gegenwart - und die umstrittenste.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Seinen sechs bis acht Millionen meist türkischen Anhängern gilt der "Hodscha Efendi", der "ehrenwerte Lehrer", als Schlüssel zum Verständnis des Koran. Andere sehen ihn als islamistischen Wolf im Schafspelz. Auch von Deutschlands oberster Integrationspolitikerin Maria Böhmer kamen am Montag kritische Töne.



Neben interreligiösem Dialog, Frömmigkeit und guten Taten fordert der 70-jährige Prediger vor allem eins: Bildung, Bildung, Bildung.  "Baut Schulen statt Moscheen!", heißt die Parole, besonders in Deutschland mit seiner großen türkischen Gemeinde. Mehr als 20 Grundschulen, Gymnasien und Internate haben "Fethullahcis" hierzulande schon gegründet. Die Schüler kommen überwiegend aus türkischstämmigen Familien, Unterrichtssprache Deutsch. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sieht dies "nicht ohne Sorge". Schulen müssten "die ganze Vielfalt der Gesellschaft unter einem Dach haben", forderte sie in der "Welt".



Versteckte Agenda zur "Islamisierung der Moderne"?

Was will Gülen? Vor allem Einfluss in der Türkei. Dort betreiben Fethullacis bereits Universitäten, Radiostationen, einen TV-Sender, die auflagenstarke Zeitung "Zaman", Buchverlage und Stiftungen, Banken und Unternehmen. Insgesamt sollen die Vermögenswerte der Bewegung auf rund 20 Milliarden Euro angewachsen sein. Darüber hinaus finanziert sie sich nach eigenen Angaben über Spenden der Mitglieder, darunter viele Unternehmer der aufstrebenden türkischen Mittelschicht.



Gülens Anhänger bezeichnen ihre Organisation als humanistisches Netzwerk. Hinter der Mischung aus Massenbewegung, Wirtschaftsimperium und Medienmacht vermuten die Kritiker dagegen eine versteckte Agenda zur "Islamisierung der Moderne". Unter dem Lack dialogreicher Verkündigungen des "anatolischen Gandhi" verberge sich der Rost einer zutiefst traditionalistischen Koranauslegung. So rechtfertigte Gülen schon mal die Todesstrafe für Religionswechsler, pries den Dschihad, relativierte die Frauenrechte oder warf Christen und Juden eine Verfälschung der göttlichen Botschaft vor. Auch seine Ablehnung der Evolutionslehre als "atheistischen Materialismus" weckte Befremden.



Den Berliner Islamwissenschaftler Ralf Ghadban beunruhigen die türkisch-nationalistischen Töne, die der Hodscha anschlägt. Bekanntlich verfügt er über gute Kontakte zur extremen Rechten in der Türkei wie auch zur konservativen AKP von Ministerpräsident Erdogan: Das Innen- und Bildungsministerium sollen weitgehend in der Hand von Fethullahcis sein, auch in der Polizei haben sie eine starke Basis. Insgesamt werten Beobachter die Bewegung als dritte Kraft neben AKP und Armee.



Warnung vor Hysterie

Für Ghadban passt es ins Bild, dass die türkische Justiz Gülen bereits wegen eines 1998 aufgetauchten Videos anklagte, auf dem er seine Anhänger zur Unterwanderung der Institutionen aufruft. Der Hodscha, der kurz zuvor in die USA auswich, sprach von Manipulationen durch seine kemalistischen Gegner. 2006 - mittlerweile war die AKP an der Macht - wurde er zwar freigesprochen, lebt aber weiterhin in Connecticut.



Der Religionswissenschaftler Michael Blume warnt vor Hysterie. Es gebe keine klaren Beweise dafür, dass Gülen ein doppeltes Spiel treibe. Die problematischen Zitate zu Religionsfreiheit und Menschenrechten seien nicht aktuell, der Prediger habe sich gewandelt. Liberale Positionen Gülens, etwa zum Kopftuch, würden von den Kritikern ignoriert. Bemerkenswert ist für Blume, dass der Hodscha nicht nur von Säkularen, sondern auch von Islamisten attackiert wird. Sie sehen in ihm einen Günstling der USA, der deren Einfluss in den strategisch wichtigen turksprachigen Ländern Zentralasiens verstärken und die Türkei auf Westkurs halten soll. Zumindest gilt es als offenes Geheimnis, dass der "ehrenwerte Lehrer" gelegentliche Kontakte zum US-Geheimdienst CIA pflegt.