Deutsche Seemannsmission fordert Ausbau der Seenotrettung

"An vielen Orten werden Seeleute vergessen"

Seeleute sind teils Wochen auf den Weltmeeren unterwegs, fern von Heimat, Familie und Freunden. Dabei sind sie noch heute teils lebensgefährlichen Gefahren ausgesetzt, wie Wetter, Piraten oder Seenot. Da braucht es Seelsorge.

Frachtschiff auf hoher See (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was sind die Hauptaufgaben und Tätigkeiten der Deutschen Seemannsmission?

Matthias Ristau (Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission): Die Deutsche Seemannsmission ist seit über 130 Jahren für die Seeleute da. Wir arbeiten in fast allen deutschen Häfen und in 15 weiteren Ländern. Wir betreuen die Seeleute in ihrem Alltag und in besonderen Situationen, wie Stress oder nach Notfällen.

Matthias Ristau, Generalsekretär der Seemannsmission / © Patrick Lux (Seemannsmission)
Matthias Ristau, Generalsekretär der Seemannsmission / © Patrick Lux ( Seemannsmission )

Bei uns ist die Seelsorge mit dem Praktischen verbunden. Das heißt, wir konzentrieren uns auf ganz praktische Dinge. Wir holen die Seeleute von ihren Schiffen ab. Wir besuchen sie auch auf den Schiffen, weil sie dort ziemlich isoliert sind. Wir nehmen uns einfach Zeit für sie. Wir helfen mit Informationen über verschiedene Orte. Wir verkaufen SIM-Karten fürs Internet. Wir bringen Sachen an Bord. Wir haben Seemannsclubs, wo die Seeleute entspannen können. Das ist immer unterschiedlich und kommt darauf an, wo wir sind, wie die Bedürfnisse der Seeleute an dem Ort sind und was dort möglich ist.

DOMRADIO.DE: Sie waren in Panama und haben den Hafen von Colón besucht. Dort gibt es keine Organisation, die sich für Seeleute einsetzt. Sie kooperieren jetzt mit der britischen Seemannsmission, um am Panamakanal Seelsorge aufzubauen. Warum ist das wichtig?

Ristau: Es gibt nicht viele Organisationen, die sich weltweit und global für Seeleute einsetzen. An vielen Orten, werden die Seeleute vergessen. Panama ist so ein Land. Deshalb möchten wir mit der britischen Seemannsmission arbeiten, und auf beiden Seiten des Kanals, in Panama Stadt und in Colón, etwas aufbauen.

Wir waren tagsüber in Colón und schon bei Tage sah die Stadt ziemlich zerfallen aus. Das ist keine Gegend in der man abends rumlaufen möchte. Gerade an solchen Orten ist es wichtig für die Seeleute da zu sein. Sie haben gerne Besuch an Bord, weil sie sehr lange isoliert von Freunden, Familien und sozialen Kontakten sind. Wenn jemand zu ihnen kommt, der nicht nach Ladung, Schiff oder Technik fragt, sondern nach Ihnen, dann ist das eine Erleichterung. Einfach mit jemandem reden und Probleme loswerden.

Vielfach wird auch gefragt, wo sie an Land gehen können, was es an den entsprechenden Orten für Möglichkeiten gibt. Gerade in "gefährlichen Gegenden" ist das sehr wichtig. Denn die Häfen sind oft mit sehr umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet, zum Beispiel gegen Drogenschmuggel.

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist internationale Zusammenarbeit für die Seemannsmission?

Ristau: Ganz wichtig. Wir sind in einer sehr speziellen, abgeschotteten, abgeschlossen Welt unterwegs. Da gibt es spezielle Vorschriften, spezielle Gesetze. Die Schiffe unterliegen jeweils der Landesflagge, die sie am hinteren Ende tragen, was selten die Flagge der Reederei ist. Das heißt, es treffen verschiedene Gesetze aus verschiedenen Ländern aufeinander. Da braucht es eine gute Vernetzung mit den Hafenbehörden, den Reedereien und den Gewerkschaften.

Matthias Ristau, Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission

"Es ist eine ganz schlimme Erfahrungen, wenn vor ihren Augen Menschen in Seenot sind."

Für unsere Arbeit ist auch die Ökumene sehr wichtig. Die Deutsche Seemannsmission ist evangelisch. Wir sind aber für Seeleute aus allen Religionen und Kulturen da und arbeiten ökumenisch mit verschiedenen anderen christlichen Organisationen zusammen, zum Beispiel mit der katholischen Seemannsmission "Stella Maris".

DOMRADIO.DE: Wenn Flüchtlinge in Seenot geraten, zum Beispiel im Mittelmeer. Wie wirkt sich das auf die psychische und physische Gesundheit der Seeleute aus?

Ristau: Auch für die Seeleute ist sowas höchst belastend, wenn sie Flüchtlinge auf diesen Booten sehen und denen helfen wollen. In den letzten Wochen gab es mehrfach Fälle, bei denen die zuständigen Behörden den Schiffen Hilfe untersagt haben. Die Internationale Organisation für Migration hat auch berichtet, dass die Rettung mehrmals verzögert wurde und deshalb Menschen untergegangen sind. So etwas mitzubekommen, ist für die Seeleute höchst belastend.

Unsere Arbeit fängt dann erst vor Ort in den Häfen an. Dort können wir die Psyche unterstützen. Es ist eine ganz schlimme Erfahrungen, wenn vor ihren Augen Menschen in Seenot sind. Wenn sie dann noch helfen wollen, es aber nicht dürfen oder können ... Auf der anderen Seite ist das Helfen mit so einem Container-Schiff sehr kompliziert. Außerdem besteht die Gefahr, dass solche Situationen kriminalisiert werden.

Das internationale Recht ist grundsätzlich sehr klar was Menschen in Seenot angeht: Geflüchtete dürfen den nächsten sicheren Hafen anlaufen. Dieses Recht wird leider oft verweigert. Auch deshalb ist diese Situation für die Seeleute eine sehr belastende. Es muss unbedingt eine Lösung gefunden werden.

Matthias Ristau, Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission

"Bei der Seenotrettung darf es nicht darum gehen, warum Menschen in Seenot sind. Die Seenotretter in der Nord- und Ostsee fragen auch nicht nach, (...) sondern retten (...). Mensch ist Mensch und ein Mensch in Seenot, muss gerettet werden!"

DOMRADIO.DE: Welche Ideen oder Lösungsvorschläge hätten Sie für die Situation im Mittelmeer?

Ristau: Als Deutsche Seemannsmission sind wir Teil der "United4Rescue", einem Bündnis zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung. Darüber setzen wir uns dafür ein, dass es eine zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer gibt, solange es keine "gute" staatliche Rettung gibt. Denn rechtlich sind die Anrainerstaaten des Mittelmeers für die Seenotrettung verantwortlich.

Es muss aber auch andere Wege der Migration geben. Bei der Seenotrettung darf es nicht darum gehen, warum Menschen in Seenot sind. Die Seenotretter in der Nord- und Ostsee fragen auch nicht nach, ob jemand trotz Unwetterwarnung mit seiner Segelyacht rausgefahren ist oder Unsinn gemacht hat, sondern retten, egal ob Millionär oder "armer Schlucker", oder woher er kommt. Das ist völlig egal. Mensch ist Mensch und ein Mensch in Seenot, muss gerettet werden!

Rund 2000 Mittelmeer-Migranten erreichen Lampedusa am Osterwochenende

Am Osterwochenende haben Hunderte Migranten die hochgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer in Richtung Italien gewagt. Insgesamt rund 2000 Bootsmigranten erreichten von Freitag bis Montag die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, wie die Nachrichtenagentur Ansa am Dienstag berichtete. Es wurden demnach mehr als 40 Anlandungen von den Behörden registriert. Unter den Menschen befanden sich viele Kinder.

Migranten in Tunesien (dpa)
Migranten in Tunesien / ( dpa )

Deshalb muss jede Form der Seenotrettung ausgebaut werden. Wir unterstützen die zivile Seenotrettung mit unseren Seelsorger, die dann nach der Rettung zu den Menschen auf den zivilen Rettungsschiffen fahren. Deren Hauptziel ist natürlich Menschen zu retten. Manchmal kommen sie aber nicht rechtzeitig, werden behindert oder sogar angegriffen. Es kommt auch vor, dass bei der Rettung nicht alle gerettet werden können oder dass an Bord der Rettungsschiffe Menschen versterben. Nach solchen Momenten ist eine seelsorgerische Betreuung besonders wichtig.

DOMRADIO.DE: Das klingt so, als ob Seelsorger selber Seelsorger brauchen ...

Ristau: Auf jeden Fall. Wenn wir gerufen werden, erleben wir die unterschiedlichsten Dinge: An Bord ist plötzlich jemand gestorben, es gab einen Unfall oder einen schweren Sturm, Feuer ist an Bord ausgebrochen. Das ist für die Menschen zum Beispiel ganz schrecklich. Die Seeleute übernehmen alle Aufgaben. Sie sind Feuerwehr und Rettungsdienst. Schlimmstenfalls müssen sie den Tod eines Kollegen feststellen, danach die Leiche in einen Plastiksack packen und die Überreste in einen Kühlschrank legen. So etwas wäre für jeden eine sehr belastende Situation.

Und klar, wenn so etwas unseren Kollegen erzählt wird, dann ist das wiederum eine Belastung für die Seelsorger. Dafür gibt es eine Nachbereitung der Kollegen mit wieder anderen Kollegen, die dafür ausgebildet sind. Als Seelsorger nimmt man eine Last auf sich, die man wieder mit jemand anderm teilen muss.

Auch der Krieg in der Ukraine ist Thema. Ukrainer fahren auch zur See und erzählen den Seelsorgern von der Zerstörung ihrer Heimat und von verstorbenen Verwandten. Das ist für unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden auch sehr belastend. Man weiß vorher nicht, was die Leute einem erzählen.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR