Seemannsmission wichtigste Anlaufstelle für Seeleute

"Ihnen fehlt das Zuhause"

Seit Jahren ist Matthias Ristau als Seemannspastor tätig und kennt die Seefahrt und das Leben der Seeleute. Das wichtigste ist, Kommunikation für die Seeleute mit Zuhause herzustellen, weil sie eine große Sehnsucht danach haben, so der Seelsorger.

Schiffe und Boote im Kieler Hafen / © Axel Heimken (dpa)
Schiffe und Boote im Kieler Hafen / © Axel Heimken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Seit acht Jahren sind Sie als Seemannspastor für die seelsorgerliche Begleitung von Seeleuten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Zum Jahresanfang 2022 werden Sie Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission. Was sind deren Aufgaben?

Matthias Ristau (ernannter Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission): Es ist bei den Seeleuten so, dass sie sich nach Hause sehen und viel zu erzählen haben. Aber ein Problem ist, dass ihnen keiner glaubt, weil ihnen so viel widerfährt, was sich die Menschen an Land gar nicht vorstellen können.

Wir machen den Seeleuten möglich, was sie durch das Leben an Bord nicht machen können. Sie sind in der Regel monatelang an Bord. Vieles, was für Menschen an Land so völlig normal ist, geht für Seeleute nicht. Also mal eben jemanden treffen, mit Leuten reden, mal eben was einkaufen. Das geht alles nicht, weil alles weit weg ist.

DOMRADIO.DE: Was erzählen Ihnen die Seeleute in der Seemannsmission?

Ristau: Das erste Thema ist immer die Sehnsucht nach Zuhause. Das ist eben nicht das Heimweh, wenn wir mal drei Wochen weg sind, sondern sie sind wirklich monatelang weg. Ihnen fehlt das Zuhause. Vieles mögen sie Zuhause auch nicht erzählen, was ihnen an Bord widerfährt, damit sich die Angehörigen keine Sorgen machen.

Andere Themen sind der hohe Arbeitsdruck an Bord, Stürme, die sie überstanden haben, Unfälle an Bord und wie selten sie überhaupt an Land kommen. Das ist schon in normalen Zeiten schwierig, aber jetzt in Corona-Zeiten noch mehr.

DOMRADIO.DE: Wie ist Corona-Lage bei den Seeleuten?

Ristau: Manche meinen, die Pandemie wäre schon vorbei, für die Seeleute ist sie noch längst nicht vorbei. Einmal in Bezug auf die ganzen Einschränkungen: Es waren im Sommer 2020 bis zu 400.000 Seeleute auf den Schiffen gestrandet. Sie waren viele Monate länger an Bord als sonst, und es sind immer noch viele, die eben viel zu lange an Bord sind.

Es gibt viele Seeleute, die schon seit mehr als sechs oder manchmal sogar mehr als 18 Monaten kein einziges Mal an Land waren. Es gibt immer noch Probleme bei der An- und Abreise, und viel zu wenige Seeleute sind geimpft, deshalb gibt es auch eine ganze Menge von Erkrankungen bei Seeleuten.

DOMRADIO.DE: Wie können Sie Seeleuten in dieser schwierigen Situation helfen?

Ristau: Wenn wir zu den Seeleuten hinkommen oder sie zu uns in den Seemannsclub kommen, dann ist das Erste, Kommunikation für die Seeleute herstellen mit einem guten WLAN oder SIM-Karten fürs Internet. Wir ermöglichen ihnen so, dass sie wenigstens über ihr Smartphone mit der Familie reden können.

DOMRADIO.DE: Sie sind seit acht Jahren als Seelsorger in diesem Bereich tätig und haben eine digitale Plattform mit aufgebaut. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?

Ristau: Als die Pandemie begann, konnten die Seeleute kaum von den Schiffen herunter oder wir hinauf. Eine unserer Hauptaufgaben ist, die Kommunikation herzustellen und den Seeleuten das Gespräch mit uns zu ermöglichen, damit sie jemanden zum Reden haben. Das ging mit Beginn der Pandemie auf einmal nicht mehr.

Dann haben wir innerhalb von wenigen Wochen diese Plattform aufgestellt, damit sich die Leute bei uns digital sicher melden können - einfach erreichbar über eine Internetadresse. Sie können dann so uns ihre Probleme mitteilen. Manchmal geht es nur darum zu reden und manchmal geht es darum, dass wir praktische Hilfe ermöglichen.

DOMRADIO.DE: Wie lange besteht eigentlich so ein Kontakt zu den Seeleuten?

Ristau: Es gibt Seeleute, die melden sich einmal kurz und wollen nur etwas fragen, meinetwegen: Gibt es einen Seemannsclub in der Stadt? Kann man sich da impfen lassen? Und es gibt welche, die sich immer wieder melden, weil das Problem anhält.

Ich hatte mit einem Seemann, der von einem Schiff herunter wollte, weil er viel zu lange drauf war, über zwei Monate Kontakt. Er hat sich immer wieder vom nächsten Hafen gemeldet und gefragt, ob wir dort etwas für ihn erreichen könnten. Das waren aber teilweise Häfen in Gegenden, zu denen wir keinen Kontakt hatten, bis er dann in einem europäischen Hafen endlich vom Schiff gehen konnte.

DOMRADIO.DE: In der Seemannsmission hören Sie viele Lebensgeschichten. Welche hat Sie am meisten bewegt?

Ristau: Da gibt es so viele. Eine Geschichte, die mich bewegt hat, war, dass mitten in der Pandemie ein deutscher Seemann auf einem Schiff in Hamburg war und eigentlich zu seiner Familie musste, aber nicht herunter konnte, weil die Reederei wegen der langen Quarantänezeiten keinen Ersatz für ihn kriegen konnte. Selbst innerhalb von Deutschland war es nicht möglich, nach Hause zu reisen.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Matthias Ristau, Generalsekretär der Seemannsmission / © Patrick Lux (Seemannsmission)
Matthias Ristau, Generalsekretär der Seemannsmission / © Patrick Lux ( Seemannsmission )
Quelle:
DR
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